Körpereigenes Doping

■ Wie sich St. Pauli-Torhüter Klaus Thomforde während eines Spiels aufpuscht und motiviert Von Ravi Sharma

Wenn ein Spiel in den letzten Minuten ist, wird er immer unruhiger. Auf jede Entscheidung des Schiedsrichters gegen sein Team reagiert Klaus Thomforde zumindest mit einem Abwinken. Gelungene Angriffe der eigenen Mannschaft quittiert der Torhüter des FC St. Paulis, indem er eine Faust ballt und leicht in die Knie geht. Kommt jedoch ein Schuß auf sein Tor und ist er auch noch in der Lage, ihn zu parieren, fängt das volle Programm an. Zuerst sägt er mit beiden Armen, indem er die Fäuste vor und zurück bewegt, gleichzeitig schreit er auch seine Anspannung heraus. Nun widmet er sich seinen Mannschaftskollegen und redet eindringlich auf sie ein. Falls ein Gegner noch in der Nähe steht, spendet er ihm Trost, indem er ihm liebevoll den Kopf tätschelt.

Klaus Thomforde hat sich verändert. Er redet mehr im Spiel, nicht nur mit Worten, sondern auch mit seiner Körpersprache. Manchem Beobachter mögen seine Kapriolen im Tor zwar albern vorkommen, aber fest steht: Seine Leistung hat sich verbessert, seitdem er „ausrastet“. In der Hinrunde der Saison 95/96 wurde er sogar zum Rückhalt der St.Pauli-Abwehr.

Wie aber kommt es zu dieser ungewöhnlichen Leistungssteigerung? Für eine gute sportliche Leistung muß jeder Athlet eine bestimmte Art der Anspannung aufbauen, um optimal in einen Wettkampf zu gehen. Klaus Thomforde baut dieses Spannungsniveau bereits vor dem Spiel auf. Im Spiel selbst versucht er, es noch zu steigern. Klaus Thomforde: „Ich will meine Körperspannung und meine Konzentration erhöhen“. So erzeugt er eine künstliche Streßreaktion. Streß kann – in richtiger Quantität – einen Menschen dazu veranlassen, eine Herausforderung mit Elan anzupacken. Streß kann positiv genutzt werden. Positiver Streß bewirkt , daß in der Nebenniere Adrenalin gebildet wird. Adrenalin ist ein Hormon, welches kurzfristig das Herz-Kreislauf-System anregt, den Stoffwechsel beschleunigt. und den arbeitenden Muskeln vermehrt Energieträger zur Verfügung stellt. Dadurch kommt es zu einer Zunahme der Aufmerksamkeit, der Konzentrationsfähigkeit und der Leistungsbereitschaft. Außerdem kann Adrenalin die emotionale Stimmungslage von Angst etwa zu aggressivem Verhalten ändern. Dazu Dr. Klaus – Michael Braumann, Professor für Sportmedizin an der Uni-Hamburg: „ Adrenalin ist ein natürliches Stimulanzmittel„. Adrenalin kann also auch als körpereigenes Dopingmittel bezeichnet werden. Diesen Effekt macht sich Klaus Thomforde zu nutze.

Der ehemalige Finanzbeamte ist schon seit 1983 beim FC St.Pauli. Er hat seitdem zwar alle Auf- und Abstiege mitgemacht, dennoch stand er nie im Rampenlicht. Bei seinem ersten Bundesligaaufstieg 1988 zog der damalige Trainer Helmut Schulte seinen Konkurrenten Volker Ippig vor, der dann zu einer Kultfigur am Millerntor wurde. Erst als sich Volker Ippig schwer verletzte und mit dem Profi-Fußball aufhören mußte, wurde Klaus Thomforde 1990 zur Nummer 1. Seit dieser Zeit galt er als solider Torwart, der aber auch immer mal für einen Fehler gut war. Nachdem St.Pauli 1991 in die 2.Bundesliga abgestiegen war, galten sie in der Saison 92/93. als Aufstiegsfavorit und verloren Spiel um Spiel. Die eigenen Fans waren damals gegen Klaus Thomforde, der auch mehrere schlechte Spiele lieferte.

Dann aber passierte es, während der letzten drei Spiele der Rückrunde. St.Pauli spielte um den Abstieg aus der 2.Liga und um die berufliche Existenz. Diesem Druck konnte sich auch der sonst so ruhige Klaus Thomforde nicht entziehen. So fing er an, sich wie das HB-Männchen im Tor zu benehmen. Nachdem er eher zufällig entdeckte, daß diese Körpergestik einen positiven Einfluß auf seine Leistung hat, begann der 33jährige Torhüter mit dem Co-Trainer Klaus-Peter Nemet, das auch in sein Trainingsprogramm mit aufzunehmen. Von nun an wurde auch im Training gesägt, was das Zeug hielt. Gerade Klaus-Peter Nemet konnte ihm dabei sehr viel helfen. Denn dieser hatte seine Trainerlizenz unter anderem auch für eine Studie über Torwartverhalten in der Bundesliga bekommen und nutzte den Trainingsfleiß von Thomforde, um auch andere Eigenschaften wie das Eins- gegen Eins-Spiel zu verbessern. Wie weit er sich noch steigern kann, hängt von ihm ab.

Trotzdem muß er aufpassen: Streß hat auch negative Auswirkungen. Bei zu großer Anspannung kann es passieren, daß man mit dem Streß nicht fertig wird und nicht mehr abschalten kann. Über einen langen Zeitraum kann Streß sogar einen Menschen chronisch krank machen. Bei Klaus Thomforde sind negative Auswirkungen noch nicht zu sehen, da er zum Ausgleich im Privatleben ein ruhiger Mensch ist. Nur auf dem Fußballfeld will er sich mit aller Macht verbessern. Als nächstes möchte er seine Abstöße trainieren. Vielleicht sehen wir ja in nächster Zeit auch die Säge vor Abschlägen.