Deutsch-russische Anstrengung

■ Frank Castorf läßt im Malersaal gegen Autor Sorokin spielen

Der erste Eindruck ist spannend: die nicht eben sichtfreundliche Zuschauertribüne im Malersaal steht engumschlossen von hohen Wänden aus sperrigen Umzugskartons. Eine funzelige Lampe wirft mehr Dämmerung als Licht. Schon der Raum wirkt, hat dank Bühnenbildner Bert Neumann Kraft.

Dann robbt eine Frau auf den Kartons wie auf der Höhe einer Mauer, und eine zweite guckt unten aus der Mauer heraus. Ein Dialog beginnt, der eigentlich ein Monolog ist: die Frau ist Mascha, die sich meist in Mascha 1 (Jeanette Spassowa) und Mascha 2 (Carolin Mylord) aufspaltet. Beide haben dasselbe Problem: Sie haben es vom finsteren Osten in den traumhaften Westen geschafft, und mußten feststellen, daß dort auch nur mit Wasser gekocht wird, die Männer sexuell mindestens ebenso neurotisch sind wie in Rußland und das Leben in westlicher Armut auch nicht das Wahre ist. Aber zum Glück können einen die Männer auch weiterbringen: Mascha hat Günther (Bernhard Schütz) kennengelernt, einen deutschen Millionär, und das Leben gestaltet sich bald vor Porsche-Benz-Villen-Hintergrund.

Bei der Planung der Hochzeit kommt allerdings erst einmal die Vergangenheit hoch – und damit wären wir beim Thema des Autors Vladimir Sorokin. „Ein Vaudeville in 5 Akten“ nannte dieser sein Stück „Hochzeitsreise“, und unternahm damit eine Reise in deutsche und russische Alt-Lasten. Während ihre Mutter nämlich eine wegen ihrer Foltermethoden gefürchtete NKWD-Untersuchungsrichterin war, fungierte sein Vater als SS-Oberführer und war mindestens ebenso berüchtigt. Verschieden ist nur der Umgang der beiden mit der Vergangenheit der Sippe: während Mascha scheinbar nicht mehr daran arbeitet, trägt Günther schwerst am braunen Vater, liebt Mascha vor allem, weil sie Jüdin und es natürlich besonders ist, heilend vielleicht, erleichternd, sich von ihr auspeitschen und beschimpfen zu lassen.

Sorokins These vom deutschen Masochismus, der auf Schuldgefühlen basiert und alle Lebensbereiche erreicht, wird bei Castorfs Umsetzung allerdings ebenso verspielt wie die anderen Zutaten der Vorlage, die kein hervorragendes, aber auch kein ganz schlechtes Stück hergibt. Es sind nicht die Castorfschen Straffungen des Sorokin-Textes, die diesen so von sich selbst entfernen. Es ist die Art der Wiedergabe. Castorf will nach alter Manier dem Abend eine punkige Rohheit verpassen, die allerdings nichts Spielerisches hat, sondern nur dazu führt, daß die Bühne von Schablonen bevölkert wird. Und die von Castorf dazugedichteten Ausfälle gegen das Publikum, aus dem Einzelne herausgegriffen und demontiert werden, erinnern doch stark an Erscheinungen aus den späten 60er Jahren. Heute sind sie eher angestrengt.

Thomas Plaichinger