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„Keiner kann sagen: Ihr trainiert beschissen“

■ Volker Finke: Überlebensstrategien mit dem „Rattenschwanz“ Vorjahreserfolg

taz: Vor dem Rückrundenbeginn steht der Vorjahresdritte SC Freiburg auf Bundesligaposition 16, was zum Abstieg berechtigt. Wer heult und knirscht mit den Zähnen?

Volker Finke: Das hält sich in Grenzen. Die ganzen Stehplatzbereiche haben bei ganz schlimmen Spielen, wo wieder der Sack nicht zugemacht wurde, der Mannschaft und auch mir in dem Fall den Rücken gestärkt. Die drei Jahre muß wohl Vertrauensvorschuß entstanden sein, daß die lieber mit uns verlieren, als sich von uns zu distanzieren, so nach dem Motto: Wir sind Freiburger und ihr nicht. Was genau in dieser Zeit passiert ist, ist wahrscheinlich auch irrational.

Ihr Ziel heißt „überlebensfähig sein auf mittlere Distanzen“? Das hört sich sehr rational an.

Wenn die ersten drei Jahre überstanden sind, können wir Alltag leben. Bundesliga-Alltag. Mit Jahren, die mal etwas schöner sind, wenn man gut reinkommt in die Saison, eine Phase auch mal träumen kann, 6., 7., 8, uuuh. Dann kommen schlechte Spiele, der Abstieg droht, daß man denkt, oh, jetzt müssen wir wieder ranklotzen. Das ist für mich Bundesliga-Alltag Freiburg.

Mehr wird nicht mehr sein?

Wir haben eine ganz natürliche Einnahmegrenze, die mit der Größe des Stadions zusammenhängt. Das Fernsehen macht zwar den Anteil am Gesamtetat relativ geringer, der aus Zuschauereinnahmen erzielt werden muß, aber im Endeffekt stellt sich immer die Frage: Wo kommt das Geld her, daß andere Vereine ihren Spielern mehr bezahlen können? Wenn wir fünf Topspiele haben und würden statt 300.000 je über eine Million einnehmen, hätten wir für Spielergehälter vier oder fünf Millionen mehr.

Das ist Realismus. Manche träumen lieber und sagen: Letztes Jahr ging es doch auch.

Ja. Aber jedes Überfliegerjahr kann sogar lebensgefährlich sein. Mit dem hängt viel zusammen: Spieler treten in den Vordergrund, werden von anderen Vereinen geködert, automatisch gehen Gehälter in die Höhe usw., usw. Nicht nur ich, auch Stocker [Achim Stocker, der SC-Präsident; Anm. d. A.] hat gesagt: Für uns wäre es viel gesünder, nach dem Klassenerhalt den 15. zu machen, im Jahr drauf den 13. Dann klopft uns jeder auf die Schulter und sagt: Ihr arbeitet super! Mit euren Mitteln! Der Rattenschwanz, der am Erfolg hängt, macht jetzt Probleme.

Mit Platz 3 haben Sie sich das eigene Grab ausgehoben?

(lacht) Furchtbare Vorstellung, aber nicht ganz falsch.

Immerhin: Jetzt ist man weit entfernt vom positiven Extrem, und dennoch haben jene, die die Öffentlichkeit vertreten, den SC Freiburg nie richtig aufgemischt?

Es ist im Endeffekt so, daß die Ansatzpunkte bei uns schwer zu finden sind. An der Trainingsarbeit, die ich seit Jahren mit dem Sarstedt [Cotrainer Achim Sarstedt; d. A.] zusammen mache, kann so schnell keiner kritteln. So daß ein Spieler oder einer von außen sagen könnte: Wir haben kein taktisches Konzept, wir trainieren beschissen! Daß sich Spieler instrumentalisieren lassen und Mitspieler in die Pfanne hauen, oder daß sie vom Präsidenten über den Tisch gezogen worden sind, passiert hier eben alles nicht.

Trostlos für Herrn Beckmann. Wie soll man da anständig Fernsehfußball verkaufen?

Eigentlich dürften wir nur das wenigste Fernsehgeld kriegen. Na, Uerdingen müßte noch weniger kriegen. Aber wir gehören zu denen, die ganz wenig Geschichten liefern, im Sinne von: Da passiert jetzt was.

Wie vermeidet man das?

Da gibt's ein paar Sachen, die einfach wichtig sind: Intern finden wir grundsätzlich erst mal eine Meinung zu den Dingen.

Wer ist wir?

Wir ist ... sind sicherlich Dinge, die ich erst mal alleine ausmache oder mit meinem Cotrainer und Stocker bespreche und dann mit der Mannschaft. Es laufen ja immer die gleichen Szenarien ab. Den Spielern kann man sagen, paß auf, morgen ruft Sport-Bild an. Wenn ihr persönlichen Frust habt, weil ihr zuviel auf der Bank sitzt, laßt euch nicht locken. Macht einen guten Job, aber laßt euch nicht locken.

Keiner läßt sich in Freiburg locken?

Für einen Verein wie den SC Freiburg ist das die Grundlage, um zu überleben. Stellungnahmen ehemaliger Trainer, Manager, Altinternationaler, das könnten wir hier nicht überleben. Interview: pu

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