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Chimäre Nordstaat

Eine effizientere Verwaltung, eine sparsame Flächenpolitik, eine gerechtere Steuerverteilung, eine vernetzte Verkehrspolitik: Die Vorteile eines Nordstaates wären vielfältig und erheblich. Ich wäre dafür. Dennoch ist es höchst unwahrscheinlich, daß er kommt. Chancen auf Verwirklichung hätte ein Regionalverbund für den Unterelberaum. Eine gemeinsame Politik könnte mit einem solchen Verbund bereits ein gutes Stück vorwärts gebracht werden.

Der Widerstand gegen den Nordstaat wird meist beschrieben als ein Geflecht bornierter und eigensüchtiger lokaler und regionaler Interessen: Politiker, die um ihr Mandat fürchten, Parteien, die ihre Erbhöfe bedroht sehen, Städte, die um ihre Bedeutung fürchten. Wenn man dieselben Sachverhalte positiv beschreiben will, dann kann man sie auch Landesidentität nennen. Denn politische Identitäten sind vorwiegend aus solchem Stoff gemacht.

Ohnehin legt das Grundgesetz einem Nordstaat Steine in den Weg, die in absehbarer Zeit nicht aus dem Weg zu räumen sein werden. Dieses sieht drei Wege zur Länderneugliederung vor: durch Bundesgesetz, durch Staatsvertrag zwischen den beteiligten Ländern oder durch ein Volksbegehren. In allen drei Fällen muß die Sache durch einen Volksentscheid bestätigt werden. Und da dieser Volksentscheid Mehrheiten im gesamten Gebiet der betroffenen Länder braucht, scheidet eine Neugliederung etwa durch Zusammenschluß zwischen Hamburg, Schleswig-Holstein und den nördlichen Randkreisen Niedersachsens aus: Warum sollten Hannoveraner oder Göttinger dafür sein, den steuerstarken Hamburger Speckgürtel aus Niedersachsen zu entlassen? Eine schwache Aussicht auf Erfolg hätte nur ein Zusammenschluß aller oder einiger Nordländer in ihrer jetzigen Form.

Auch ohne Nordstaat kann man indes handeln. Um Hamburg herum muß ein Regionalverband geschaffen werdn, der die Stadt-Umland-Probleme behandeln und gemeinsame kommunale Zweckverbände für Verkehr, Müll, Gewerbeflächenmanagement etc. betreiben kann. Das ist durch Staatsvertrag zwischen den drei Bundesländern möglich, indem alle Beteiligten sich verpflichten, bestimmte Hoheitsrechte an diese Körperschaft zu übertragen. Durch einen geeigneten Schlüssel müßte dieser Regionalverband von Hamburg und den Landkreisen mit Finanzmitteln bestückt werden. Und die Bürgerinnen und Bürger sollten eine Verbandsversamm-lung wählen, die Politik und Finanzgebaren des Verbandes kontrolliert.

Das steht nicht gegen einen Nordstaat. Auch wenn es den gäbe, müßte für die Metropolregion ein Regionalverbund her, so wie dergleichen heute für Stuttgart, Frankfurt oder Hannover schon existiert. Um die Stadtstaaten herum ist er nur besonders schwer zu schaffen, wegen der unterschiedlichen Landeszugehörigkeit.

Ein Regionalverband würde auch einen Nordstaat nicht ersetzen können. Aber während dies auf unabsehbare Zeit eine schöne Idee bleiben wird, die vor allem Zeitungsseiten füllt, kann ein Regionalverbund tatsächlich zustandegebracht werden. Er setzt keine Identitätsdebatten voraus, sondern kann aus dem praktischen Regelungsbedarf bei Fortbestand der politischen Einheiten geschaffen werden. Daß darüber irgendwann einmal politische Identitäten sich umformen können, ist eine andere Frage.

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