: „Die Stadtklinik“ – eine Tragikomödie
■ Der Roland am Tropf: ein literarisch-medizinischer Bericht über den siechen Stadtstaat von Ingo Sax
Die Debatte um den Fortbestand der Bremer Selbständigkeit läßt auch unsere Literaten nicht ruhen. Ingo Sax, niederdeutscher Dichter mit Wohnsitz zwischen den Stadtstaaten Hamburg und Bremen, hat in einem Einakter alles zusammengefaßt, was es über den Zustand des wankenden Riesen Roland zu sagen gibt. Das Sittenstück „Die Stadtklinik“ erlebte am 20. Januar im Rahmen der „Bremer Eiswette“ seine Bremer Welturaufführung im „Congreß Centrum“. Wir dokumentieren den Urtext in Gänze.
Der Patient Roland wird im Bett hereingerollt, er ächzt und stöhnt, die Tropfflasche ist voller Papier. Der Professor kommt.
Prof: Wen haben wir denn da? (er sieht auf die Karte am Fußende) Ah ja, Riese, Roland, unser Dauerpatient. Na, Herr Riese, wie fühlen wir uns denn heute?
Riese: (brabbelt etwas)
Schwester: Haben Sie das verstanden?
Prof: Nein, aber das können wir uns ja vom Senatspresseamt kommen lassen. Wie ist der Allgemeinzustand?
Schwester: Laut neuestem Börsenbericht schwach, aber nicht hoffnungslos.
Prof: Sehr schön, Optimismus ist schon die halbe Therapie. Was war meine letzte Diagnose?
Schwester: Schwere finanzielle Atemnot, unterentwickelte Mobilität und historisierender Dogmatismus.
Prof: Ach ja, natürlich, das bekannte Hanseatensyndrom, dem ist schwer beizukommen. Hatten wir schon nähere Ursachen ausgemacht?
Schwester: Unter anderem hatte sie einen hypertrophierten unkompensierbaren Speckgürtel festgestellt, der zu permanentem Substanzverlust führt.
Prof: Ach ja, jaja, ich erinnere mich. Absolut inoperabel, außerdem zu Wucherungen neigend. Die einzig mögliche Radikalkur hatte der Patient ja abgelehnt. Was ist heute der aktuelle Anlaß der Einlieferung?
Schwester: Moment, was heißt das? Die in der Aufnahme haben eine Sauklaue, das kann kein Schwein lesen.
Prof: Zeigen Sie mal her. Ach, das hat Dr. Haller geschrieben, das ist Prognosen-Esperanto. Das heißt, Moment ... Spontaner Wiederausbruch der Vorscherfschen Krise.
Schwester: Hört sich ja gefährlich an. Ist das ansteckend?
Prof: Glaube ich nicht, das ist ein intellektuelles Stagnationsleiden, tritt nur lokal begrenzt auf. Wiederausbruch also. Was hatte ich denn damals verordnet?
Schwester: Sechs Milliarden Einheiten Bundesergänzungszuweisung intravenös.
Prof: Ah ja, das galt damals als das Kortison der Finanzpolitik. Wie hat der Patient darauf reagiert?
Schwester: Zunächst mit spontaner Euphorie, dann mit eruptiver Personalaufblähung und schließlich mit chronischem Planungsdurchfall.
Prof: Jaja, diese typischen Nebenwirkungen, davor hat schon der Schiller gewarnt. Haben wir Gegenmittel eingesetzt?
Schwester: Zunächst die Dasa-Injektionen, aber die scheinen auch nur abführende Wirkung zu haben.
Prof: Nun gut, da müssen wir etwas Stärkeres probieren. Wie ist denn der psychische Zustand?
Schwester: Da haben wir hier nur ein etwas älteres Gutachten, darin heißt es: Der Patient leidet an schwerer Dementia insularis und daraus resultiert eine kryptogene Unitaphobie.
Prof: Oh oh, erblicher Inselschwachsinn und unerklärliche Vereinigungsangst, dagegen werden wir medikamentös kaum etwas ausrichten können. Aber das erklärt vielleicht den chronischen Optimismus.
Schwester: Hier steht auch noch „irrealer Hang zu Gigantomanie“. Was heißt das?
Prof: Der Patient hat den Wunsch, ein neues World-Trade-Center in einem Schrebergarten zu errichten.
Schwester: Erstaunlich. Woher kommt sowas?
Prof: Nun, das ist meistens eine direkte Folge einer Anomalie, die wir Hydrocephalus administratis nennen.
Schwester: Verstehe, schwerer Verwaltungswasserkopf. Ist der nicht ventilierbar? So zum Abbau, meine ich?
Prof: Theoretisch schon, praktisch führt das nur in der ersten Phase zu einem Ventilierungsfachbeirat, der wiederum zu einer Ventilierungsabteilung und die zu einem Ventilierungsamt. Und das ist dann wegen erwachsenden Besitzstandes nicht mehr wegzuventilieren.
Schwester: Ich verstehe, damit kommen wir also auch nicht weiter.
Prof: Wie ist der Patient denn heute medikamentiert worden?
Schwester: (sieht in die Tropfflasche) Drei Milliarden Einheiten Förderalismusfonds intravenös.
Prof: Intravenös? Das hat bislang nicht viel geholfen. Vielleicht sollten wir es einmal rektal versuchen? In kleinerer Dosierung?
Schwester: Das kann Probleme geben, da neigt er oft zum Karrieristenstau.
Prof: Wo wir gerade davon reden, wie ist denn der Stoffwechsel heute?
Schwester: (holt eine Bettpfanne unter dem Patienten hervor) Wie üblich, ein Marketingkonzept, ein Standortförderungsplan, ein Investitionsprogramm langfristig, zwei weitere kurzfristig, ein Konkretisierungsvorhaben Promotionpark, ein zustimmendes Gutachten, zwei ablehnende sowie die üblichen Industrieentwicklungsprognosen.
Prof: Also immer noch diese Papyro-Diarrhoe. Nichts Konkretes dabei?
Schwester: Doch, hier! Ein Entwurf für einheitliches Briefpapier, das ist doch schon mal was. Freie Hansestadt Bremen mit blauem Schlüssel.
Prof: Zeigen Sie mal her. Wunderbar, wie zu Kaisers Zeiten. Das ist ein neuer Anfang.
Schwester: Und der Patient, wohin soll der jetzt? Wieder auf die Intensivstation?
Prof: Schieben Sie ihn erst mal in die Psychiatrie, diese Krankheit muß vom Kopf aus geheilt werden.
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