Sanssouci: Vorschlag
■ Erika Lewin erzählt von vier Tagen 1943 in der Rosenstraße
„Geschminkt hab' ich mich da unten, im Dunkeln. Ich hab gedacht, wenn ihr denkt, ihr kriegt mich runter, habt ihr euch geirrt.“ Geirrt haben sich die Nazis tatsächlich: Selbst vier Tage Einzelhaft im Keller des Jüdischen Gemeindehauses haben Erika Lewin nicht unterkriegen können. Geirrt aber hatte auch sie sich: Als man sie am 5. März 1943 aus dem Keller holt, dann – so denkt sie – „nur, um mich nach Auschwitz zu bringen“. Statt dessen geht es zurück zur Zwangsarbeit.
Was Erika Lewin erst von ihrer Mutter erfährt: Zu verdanken ist ihre Entlassung dem tagelangen Protest hunderter, manchmal sogar tausender Ehefrauen und Mütter vor dem als Sammellager „arisch versippter“ Juden mißbrauchten Gemeindehaus in der Rosenstraße. Seit Oktober 1995 erinnert ein Denkmal von Ingeborg Hunzinger an diesen „Frauenprotest“. Daß die Bildhauerin sich zuvor immer wieder vergeblich um seine Aufstellung hatte mühen müssen, erstaunt kaum. Denn was „man“ weiß, ist bis heute nicht allzuviel: Um dem Führer die Hauptstadt anläßlich seines Geburtstages „judenfrei“ zu präsentieren, befiehlt Goebbels im Februar 1943, auch die letzten der noch rund 27.000 Juden „nach dem Osten abzuschieben“. Wenn 1.500 von ihnen, darunter auch der „Mischling“ Erika Lewin, die „Judenschlußaktion“ überleben, dann nur dank des verzweifelten Widerstands ihrer Angehörigen.
So singulär dieser Fall zivilen Ungehorsams in Nazideutschland auch gewesen ist – neben dem Putschversuch der Männer vom 20. Juli, diesem „Aufbegehren in einer pleite gegangenen Firma“ (Hannah Arendt), hatte er nie eine Chance. Daß Erika Lewin heute überhaupt darüber sprechen könne, sei nur dem amerikanischen Historiker Percy Stolzfuß zu verdanken: „1987 kam er nach Berlin, um Zeitzeugen zu suchen.“ In Deutschland hingegen gilt: Ohne „Jubiläen“ auch kein Gedenken. 1993 und 1995 kann sich Lewin vor Interviewwünschen kaum retten. Davor? „Nichts. Niemand hat mich gefragt, nicht mal die Jüdische Gemeinde.“ So geradezu human ihre Geschichte im Vergleich zu Auschwitz auch gewesen sein mag – erzählen wolle sie sie. Eine kleine Bemerkung nur verrät, wieviel Mut es braucht: „Den Brief vom Fernsehen wollte ich gar nicht erst annehmen. Woher sollte ich wissen, daß es keine Briefbombe war?“ Dorothee Robrecht
Heute, 16 Uhr, Erzählcafé, Malplaquetstraße 13a, Wedding
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