piwik no script img

Sitzenbleiberin der Geschichte

Die Liedermacherin Barbara Thalheim nahm Abschied von der Bühne. Zu stark das Gefühl, „alles gesagt zu haben“, zu grob der Umgang mit DDR-Biographien. Ein Blick zurück nach vorn  ■ Von Anke Westphal

Im Jahre eins nach dem Mauerfall schrieb Klaus Theweleit über eine archaische Art der Objektwahl, die dem Typus des Wohnens in der gleichen Behausung folgt. Eine psychogeographische Definition von Behausung läßt es nicht so abwegig erscheinen, wenn man einen Menschen, der einen bisher wenig interessierte, plötzlich zu mögen beginnt, nur weil er einen Satz wie diesen sagt: „Seit dem Fall der Mauer verfolgt mich zunehmend das Gefühl, alles gesagt zu haben. Da ist es nur folgerichtig, sich zurückzuziehen. Mein Füllhorn ist leer. Es muß neu gefüllt werden mit Leben. Ich ziehe mich nach 25 Jahren Tournee-Leben, Liedermachen, nach dreizehn Programmen, elf LPs/CDs von der Bühne zurück.“

Die Person, von der die Rede ist, heißt Barbara Thalheim, 1948 in Leipzig geboren, Liedermacherin. Neben Kurt Demmler war sie nicht nur für mich eine der wichtigsten der DDR in diesem Genre. Jenseits aller vitalen Singeklub- Kollektivität, der tönenden „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, formulierten Barbara Thalheim und Kurt Demmler in der Eiszeit der späten 70er und frühen 80er Jahre am deutlichsten den Anspruch des einzelnen, als unheroisches Subjekt wahr- und ernst genommen zu werden, als loser unfähig und unwillig zu sein, ein gesellschaftlich verordnetes und gesichertes Glück zu leben. Das wohl berühmteste Lied Kurt Demmlers erzählte von „Maria“, einer berufstätigen, emanzipierten Frau, die nachts in der Telefonzelle vor Einsamkeit weinte, und Thalheim sang von der „alten Frau im Winter“, die keinen mehr hat – Lieder, in denen schwarze Sonnen scheinen.

Soulmate der Suchenden

Nun ist „Abgesang“ Thalheims letztes Album. Jenes „Wohnen in der gleichen Behausung“ (einer Ost-West-Zwischenwelt), das Thalheim zum Objekt der Sympathie macht, ist dann auch dafür verantwortlich, daß sich Mißtrauen einstellt, weil der „Abgesang“ nicht mit neuen, letzten Mitteilungen über den Stand der Dinge ans Publikum herantritt, sondern „nur“ eine „Best Of“-Sammlung ist. Aber: Warum soll ausgerechnet diejenige neues Material vorlegen, die nichts mehr sagen zu können glaubt? Mit „Abgesang“ signalisiert Thalheim kein Bedürfnis, an der aktuellen Diskussion teilzunehmen, indem sie alte Argumente erneut zu bedenken gibt. „Abgesang“ ist tatsächlich Abschied – und Rückblick.

Barbara Thalheim galt zu DDR-Zeiten als „Bonzen“-Kind, weil ihr Vater Kommunist war und deswegen im Konzentrationslager Dachau gesessen hatte. Dieser biographische Hintergrund – und Thalheims frühe Auflehnung gegen „einen Weg, der sich blind finden läßt“, den DDR-Weg – hat sie sehr früh zur Außenseiterin gemacht und ihr wohl so etwas wie eine Mission aufgeladen. Barbara Thalheim, nach eigenem Bekunden selbst „kaum soziabel“, sah sich als soulmate und Anwältin aller Suchenden, Einsamen und Verunsicherten.

Sehnsucht nach der Schönhauser

Die junge Frau arbeitete als Stenotypistin, Botenmädchen, Theaterinspizientin und Kulturfunktionärin, bevor sie am „Studio für Unterhaltungskunst“ ihren Berufsausweis als Schlagersängerin machte. Eine Tarnkappe, denn hüben wie drüben war ein Schlagersänger nicht gerade eine moralische Instanz.

1972 lernte die Sängerin Fritz Kopka kennen, der Erfahrungen wie Verletzbarkeiten der Thalheim dreiundzwanzig Jahre lang kongenial an die Textoberfläche brachte. Barbara Thalheims Markenzeichen, die Geschichtenlieder über zu lange Arme in der Pubertät, „die erste eigne Wohnung“ und „die Alten“, über die „Sehnsucht nach der Schönhauser Allee“ beinhalten denn auch mehr an emotionaler Tiefe und Intelligenz, als mancher heute wahrhaben will.

Apropos Schönhauser Allee: Nachdem Thalheim in einen weniger anstrengenden Stadtbezirk, als der Prenzlauer Berg es ist, umgezogen war, wurde das Lied als Unehrlichkeit gegenüber dem Authentizitätsprinzip gewertet. Dabei könnte man den Ortswechsel auch als Zeichen dafür lesen, wie sehr Thalheim alle Vereinnahmung durch Fans oder Kritiker zuwider war: Sie ging, bevor der Prenzlauer Berg zum Inbegriff einer Opposition verkam, deren Salons sich in Baufälligkeit gefielen und die eher attributiv denn politisch ausgerichtet war.

Was man für Geld nicht kriegen kann

1980 wurde Barbara Thalheim aus der SED ausgeschlossen – heute ein erstklassiger Persilschein, von dem Thalheim aber so wenig Gebrauch machte wie vom Verbot eines ihrer Programme. Kurzum: Die Kritiker hatten es einfach mit dieser Frau, die es sich selbst so schwermachte, ein Muster, das sich nach der Wende fortsetzte. Die Sängerin nahm auf Symposien und Podiumstagungen neben Gregor Gysi und Hans Modrow Platz und förderte östliche Sammlungspolitik im „Komitee für Gerechtigkeit“.

Damals waren die Biographien stärker vergröbert, aber die Rollen noch nicht so schematisiert, weil noch nicht soviel über jeden „Einzelfall“ bekannt war wie heute. Das Mitsprechen auf der politischen Bühne und explizit politische Lieder wie „Im Osten geht die Freiheit auf“ oder „Aus dem Leben einer (Ost-)Heimkehrerin“ wurden Thalheim von Fans und Kritikern gleichermaßen vorgehalten, obwohl das aller Historizität hohnspricht. Wenn es nie recht ist, egal, ob eine Sängerin bei den gewohnten – privaten – Leisten bleibt oder „in Politik macht“, dann war Thalheims Verhalten natürlich richtig.

She had a dream: „Warum zieht alles mich so an / was man für Geld nicht kriegen kann“. Das „Komitee für Gerechtigkeit“ war wohl die – reichlich naive – Verfolgung dieses Traums mit den Mitteln der Politik, doch so sah sich Thalheim nun einmal – „ein Häufchen Elend, ein Vorwärtsbringer“. Warum soll man sich zum Erfüllungsgehilfen der Kritik machen?

Sicher muß, wer in die Öffentlichkeit geht, mit öffentlicher Verletzung rechnen. Wenn aber Schlagworte – wie sie auch in der taz jahrelang benutzt wurden – die Auseinandersetzung mit Inhalten und deren Zustandekommen ersetzen, hat das nichts mit Kritik gemein, wirft aber Licht auf einen anderen und nicht weniger interessanten Aspekt: Thalheim war ein Mensch, der sich nicht „handhaben“ ließ. Feministinnen konnten nicht mit ihr, der „Sitzenbleiberin der Geschichte im Fach Frauenbewegung“, denn Thalheims Texter, und darauf bestand die Frau, war ein Mann. Unlösbares Problem.

Spröde und mit Igelfrisur

Den Politikern war sie zu emotional, den Gefühlshumanisten plötzlich zu politisch. Dabei war Bar

Fortsetzung Seite 16

Fortsetzung

bara Thalheim aber so gut eingeführt als Künstlerin und so prominent, daß man sie immerhin hätte gut gebrauchen können. Wenn ... die Autorin Gerda Szepansky schreibt nach einigen Treffen mit Thalheim von „einem Gefühl schmerzlicher Fremdheit“ und davon, daß „es ein regelrechtes Ringen ist, mit ihr vertraut zu werden“.

Thalheims Sprödigkeit, lange Jahre auch äußerlich mittels Igelfrisur ausgestellt, nahm zunächst jeden aus den Liedern erwachsenden Eindruck von Intimität zurück – und paßte nicht nur Szepansky nicht. Wie das so geht: Mit abgelehnter Nähe oder Verbrüderung verhält es sich wie mit Kritik – beides wird übelgenommen. Barbara Thalheim mußte sich denn auch gefallen lassen, vor wenigen Jahren und nicht nur in dieser Zeitung als „singende Sozialdemokratin“, „forsche Überlebende der DDR- Singebewegung“, als „launisch“ oder gar „peinlich“ abqualifiziert zu werden. Die „patzig-präsente Liedermacherin“ war da schon ein großes Kompliment.

Vom Recht auf Komplexität

Die Tatsache, daß alle erwähnten Zitate auf den Innenpolitikseiten zu lesen waren und nicht etwa auf den Kulturseiten, zeigt vor allem, daß es schon lange nicht mehr um die Kunst der Thalheim ging, die man im übrigen finden kann, wie man will. (Auch bei den Befindlichkeitsarien einer Erika Pluhar scheiden sich bekanntlich die Geister.) Nein, die Liedermacherin Thalheim ist Modellfall dafür, daß mitunter, wenn einmal Ansichten zu einer Person existieren, es diese mit allen Mitteln zu untermauern gilt.

Auch Barbara Thalheim hat nie etwas anderes eingeklagt als das Recht auf Komplexität, erklärt aus der Schnittstelle von Individualität und Staat – der Biographie. Die Hoffnung, daß Kunst aus einem nicht mehr relevanten Staat tatsächlich mit solchem Aufwand an Reflexionsarbeit verhandelt wird, war vermutlich Thalheims folgenreichster Irrtum. Jetzt will sie nicht mehr.

50 Prozent Publikumsschwund

Das Konservieren all der DDR- Erfahrungen, die nicht nur Barbara Thalheims Leben ausmachten, bleibt natürlich ein biographischer Selbstrettungsversuch, aber ohne ihn könnte man ebenso wenig weiterleben wie ohne Liebe. So sucht die „kollektivsüchtige“ Sängerin „nach Meinungen, die das Zeug haben, zu Gemeinsamkeiten zu werden“, mangelnde Angst vor zu einfachen Sätzen läßt sie Dinge sagen wie: „Im Westen schmeckt die Scheiße nach Schokolade.“ Dieses Auskunftgeben in Stellvertreterfunktion macht vor allem müde und manchmal böse. Nach vier Jahren „Vorwärts und die DDR nicht vergessen“ muß Barbara Thalheim sich gefühlt haben wie eine ausgelutschte Zitrone.

Thalheims Weg seit 1989 illustriert aber noch einen anderen Aspekt von Populärkulturgeschichte: Was nämlich geschieht, wenn sich der gesellschaftliche Referenzrahmen einer Kunst verändert, wie und ob und in welcher Form ein Künstler darauf zu reagieren vermag und in welchem Maße sein Publikum ihm folgen kann und will oder auch nicht. In einem Interview mit der Berliner Zeitung (26. 11. 1995) sprach die Sängerin davon, daß sie mit „50 Prozent Publikumsschwund“ fertigzuwerden hatte. Sicher drängt sich mit Thalheims Abschied von der Bühne eine larmoyante Parallele zum Tod von Heiner Müller und Ruth Berghaus und dem Verschwinden der DDR überhaupt auf, aber das kann es nicht gewesen sein.

Kürzlich stand hier zu lesen, daß „die Zeit nur der Unterton des Lebens ist“. Barbara Thalheim hatte das begriffen. Sie, deren Songs bis dato kammermusikalisch von Cello, Violine und akustischer Gitarre getragen waren, ging 1991 mit der Rockband Pankow ins Studio und spielte ein Album mit einem signifikanten Titel ein – „Das Ende der Märchen“.

Zum Schluß: Die „Peinlichkeit“, die Thalheim immer wieder vorgehalten wurde, betrifft das einfache Formulieren von Erfahrungen und Gefühlen – an und für sich schon „ein diffamiertes und degradiertes Lebensgefühl“. Doch warum soll, was nun einmal existiert und nicht einmal singulär, „peinlich“ sein?

Eine spießige, letztlich linkskonservative Etikette ist es, die der Trauerarbeit die Wahl der Formen vorschreibt. Thalheim ist nicht „peinlich“ in ihrer Ostnostalgie, sondern uncool. Schuld an der Melancholie ist sie auch nicht – so wie der Bote nicht schuld ist an der schlechten Nachricht, die er überbringt. Aber er wird natürlich dafür geköpft.

Angst vor dem Endgültigen

Es gehört schon wieder zu den Hintertreppenwitzen der Geschichte, daß Barbara Thalheim ausgerechnet zu einem Zeitpunkt von der Bühne abtritt, da Moral und Gefühl wieder modern und marktfähig sind. Wenn Modelle wie Ulrich Wickert, Jürgen Fliege oder Hera Lind möglich sind, warum nicht eine Barbara Thalheim?

Daß ihr diese Möglichkeit zu blöd war, macht sie noch einmal sympathisch, zeigt es doch ihre ewige „Angst vor dem Endgültigen / den erreichten Zielen“. 1982 sang Barbara Thalheim in einem wunderbaren Nachruf auf nicht eingelöste Lebensentwürfe „Wir haben den alten Faden verloren“ / „Wir sind im tiefsten Teil der Nacht“. Wenn man das auf die Gegenwart überträgt, dann wissen ihre Kollegen aus dem Westen immerhin, daß dort der Tag am nächsten ist.

Barbara Thalheim, „Abgesang. 25 Jahre Lieder“. Amiga / BMG Ariola.

„Ich habe Fragen. Ich habe Wahrheiten: Barbara Thalheim“ in: „Die stille Emanzipation. Frauen in der DDR“. Hrsg. von Gerda Szepansky, Fischer Taschenbuchverlag, 1995, 333 S.; 16,90 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen