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Schuften bis zum Umfallen

Um die Rentenkassen nicht in den Bankrott zu treiben, will der Arbeitsminister die Frühverrentung durch gestaffelte Einkommensabzüge erschweren. SPD und Gewerkschaften protestieren  ■ Aus Bonn Karin Nink

Heute abend setzen sie sich wieder zusammen: Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgeber. Diesmal geht es in der Kanzlerrunde um die von Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) vorgeschlagene Reform der Frührenten. Das Thema ist umso brisanter, seit SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler öffentlich orakelte, daß die Rentenkasse im nächsten Herbst leer sein werden, und Blüm ein Defizit von rund 10 Milliarden Mark einräumen mußte.

Zwar will der Arbeitsminister, so heißt es, nach dem Gespräch mit einem Ergebnis aufwarten können. Aber die Gewerkschaften haben deutlichen Widerstand angekündigt. Daß es ihnen ernst ist, zeigt die IG Metall mit einer großen Kundgebung auf dem Bonner Münsterplatz. Neben IG-Metallchef Zwickel werden dort zahlreiche Betriebsräte und Vertreter der Postgewerkschaft ihrem Unmut Luft machen.

Worum geht es? Blüm will die Rentenkassen mit einem Stopp der Frühverrentung deutlich entlasten. Denn dieses Instrument, mit dem die Zahl der Arbeitslosen statistisch niedriger gehalten und die Folgen der Strukturkrisen im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland abgefedert werden konnten, funktioniert viel besser als es dem Arbeitsminister angesichts der Misere der Rentenkasse lieb sein kann.

Waren es 1992 noch 54.000 Frührentner sind es 1995 schon 290.000 gewesen. 100.000 von ihnen kosten allein die Rentenkasse 12,7 Milliarden Mark, und die Arbeitslosenversicherung muß dafür 9,2 Millarden aufbringen. Nur die Betriebe kommen mit 1,8 Milliarden billig davon.

Zwar sehen auch Gewerkschaften und SPD ein, daß eine Neuregelung nötig ist, doch wollen sie sich nicht auf die bisher von Blüm genannten Konditionen einlassen. Die SPD, sowieso leicht verschnupft, weil sie beim „Bündnis für Arbeit“ nicht mit am Tisch sitzt, fordert zudem, die Rentenkasse von versicherungsfremden Leistungen zu befreien, weil dies zu einer deutlichen Entlastung führen würde. Zu solchen Fremdleistungen zählen Kriegs- und DDR- Folgekosten genauso wie die Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Ausbildungsjahre. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft belasten diese Aufgaben die Rentenkasse mit mehr als 33 Milliarden Mark. Wie diese Aufgaben anderweitig bezahlt werden könnten, lassen allerdings auch die Genossen offen.

Blüm sieht sein Heil bislang weiterhin im Stopp der Frührenten: Der Arbeitsminister will, daß Arbeitnehmer, die bis zum 15. Februar keine 57 Jahre alt sind, das günstige Modell mit seiner 100-prozentigen Einkommenssicherung nicht mehr in Anspruch nehmen können. Wer jünger ist, muß mit monatlichen Rentenabschlägen von 0,3 Prozent rechnen, die sich auf einen maximalen Verlust von 18,6 Prozent steigern können. Und zwar unabhängig davon, ob zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer schon eine Abmachung getroffen wurde.

Die Gewerkschaften dagegen fordern unbedingten Vertrauensschutz für ihre Mitglieder. Das heißt jeder, der schon mit der Frühverrentung gerechnet hat, soll auch in deren Genuß kommen. Dies lehnte Blüm bei der jüngsten Kanzlerrunde Ende Januar entschieden ab. Denn das kostet ihn nicht nur 14 Milliarden Mark, sondern die Rentenkasse würde auch erst nach dem Jahre 2.003 entlastet. Die Arbeitnehmervertreter beharren ebenfalls weiterhin darauf, daß das Recht auf Frührente schon ab 55 Jahre gelten soll.

Bei aller Sympathie für Altersteilzeit stößt bei den Gewerkschaften aber auch das vom Minister vorgeschlagene Teilzeitarbeitsmodell als Übergang ins Rentenalter auf Vorbehalte. Blüm plant, daß jeder selbst entscheiden kann, ob er statt mit 63 schon mit 60 Jahre in den Ruhestand gehen will. Wer sich dafür entscheidet, muß aber ebenfalls mit einem monatlichen Rentenabschlag von 0,3 Prozent rechnen. Ab dem 55. Lebensjahr sollen nach den Blümschen Vorstellungen schon Teilarbeitszeiten und Teilrenten als Vorstufe zum Rentenalter möglich sein.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) nennt in einem Eckpunktepapier seine Bedingungen für ein solches Übergleiten in den Ruhestand: Der Arbeitgeber soll Betroffenen 50 Prozent ihres bisherigen Bruttogehalts zahlen, was die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit mit 20 Prozent des bisherigen Bruttoeinkommens bezuschussen müsse. Außerdem sollen die Arbeitgeber den Beitrag zur Rentenversicherung auf 90 Prozent des alten Bruttolohns aufstocken. Diesen Betrag können sich die Betriebe von Nürnberg erstatten lassen, wenn sie für die Teilzeitbeschäftigten der alten Kollegen neue Kräfte einstellen.

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