Symbol für die neue Konfrontation mit der Chemie

■ Die modernste Sondermüllverbrennungsanlage der Welt, der „Ofen“ des Basler Chemiegiganten Ciba, sorgt für einen Grenzstreit im Dreiländereck

68 Jahre alt ist Andrée Meyer Benjamin, doch „im Kopf funktioniert noch alles“, betont sie. Daran zweifelt auch niemand, der die energische Dame kennengelernt hat, die seit Jahren in der Elsässer Grenzgemeinde Hüningen kein Blatt vor den Mund nimmt. „Sechs Jahre habe ich über den Sondermüllofen informiert und unbequeme Fragen gestellt“, so Meyer Benjamin. Doch Hüningen, wie das ganze Dreiländereck am Rheinknie, hängt fast vollständig von der Chemie ab. Auch wenn die umstrittene Verbrennungsanlage heute in Betrieb ist und eine starke, geeinte Umweltbewegung der drei Länder fehlt – die Opposition, so die Aktivistin, habe sich gelohnt. Statt nur über Straßenbegrünung hatte der Gemeinderat erstmals über Dioxinwerte und Müllvermeidung zu diskutieren.

Schon der Zeitpunkt war denkbar ungünstig gewählt: Nur fünf Monate nach der Sandoz-Chemiekatastrophe in Schweizerhalle reichte im März 1987 der Basler Chemieriese Ciba das generelle Baugesuch für eine Regionale Sondermüllverbrennungsanlage (RSMV) ein. Bereits Mitte 1986 hatte sich aufgrund von Informationen über die Ciba-Pläne ein Verein SMOG (Sondermüllofen- GegnerInnen) gebildet, zu dem sich nach dem Lagerbrand von Schweizerhalle die Aktion Selbstschutz gesellte.

„Der Ofen“, wie er in Basel kurz genannt wird, wurde zum Symbol für eine neue Art der Konfrontation mit der im Dreiländereck allmächtigen Chemie. 450 Einwendungen nicht nur aus der Schweiz, sondern auch aus dem benachbarten Deutschland hagelte es gegen die Pläne, jährlich 16.000 Tonnen hochgiftige Abfälle auf dichtbesiedeltem Stadtgebiet einzuäschern – allen voran Weil am Rhein, als Wortführer der südbadischen Gemeinden. Der kleine Grenzkonflikt war geboren.

Ciba kam unter Zugzwang und verzichtete auf ein Zwischenlager, die Abwässer werden in einer eingangs nicht vorgesehenen eigenen Kläranlage gereinigt. Mindestens so wichtig wie technische Zugeständnisse sind für SMOG-Präsident Hans-Georg Heimann der Wandel zur gläsernen Fabrik. Anders als bei Roche oder Sandoz erhalten bei Ciba heute auch NormalbürgerInnen jede gewünschte Umweltinformation. Und als Bonbon erhielt die Opposition Mitspracherecht im Ofenbeirat – eine für private Großprojekte wohl einmalige Institution, die Einblick in alle Betriebsdaten erhält.

Wieviel dies wert ist, werden die Debatten um Grenzwertfestsetzungen zeigen müssen. Warum sich die Badener letztendlich mit diesen Maßnahmen zufrieden gaben, anstatt weiter auf Radikalopposition zu setzen? Die Antwort ist einfach. Basel drohte damit, die Hausmüllverbrennung für die deutschen Nachbarn einzustellen, falls diese nicht einlenkten.

Ende gut, alles gut? „Der modernste Sondermüllofen der Welt“, so Ciba über ihr Projekt, ist zwar seit ein paar Monaten im Normalbetrieb, aber erst zu zwei Dritteln ausgelastet. Um die ursprünglich für die Schweiz reservierte 120 Millionen Franken (etwa 145 Millionen Mark) teure Anlage auszulasten, verhandelt Ciba derzeit mit Sondermüllproduzenten in Südbaden und im Elsaß.

Doch beim Preis wird Ciba Kompromisse eingehen müssen. Denn die 2.000 Franken (etwa 2.400 Mark) Verbrennungskosten pro Tonne Giftmüll sind selbst vielen Anlieferern aus der Schweiz zuviel. So bringt etwa das Basler Malergewerbe seine Farbschlämme lieber zu einem Bruchteil des Preises in ein Zementwerk. Pieter Poldervaart, Basel