Über die Wunde, die noch da ist

■ Von Osten, Westen und Befindlichkeiten: Die Autoren Kurt Drawert und Uwe Kolbe lesen im Literaturhaus

Wie läßt sich vaterländische Zerrissenheit sechs Jahre danach literarisch bewältigen? In Dresden bzw. in Berlin-Prenzlau aufgewachsen, machten Kurt Drawert und Uwe Kolbe sich früh mit Lyrikbänden in Ost und West einen Namen. Sie wurden mit zahlreichen Preisen geehrt und gehören heute zum Stammpersonal des gesamtdeutschen Literaturbetriebs; Rubrik: Pathos und Geschichte im zerrissenen Dichter-Selbst. Im Unterschied zum „Schattenlyriker“ Durs Grünbein sezieren sie nicht den „feuilletonistischen“ Sprachschrott in neonkalte Bilder, sondern thematisieren – auf je eigene Weise – private Verstrickung in den desillusionierten Nach-Wende-Zeiten.

Zum Beispiel in Kurt Drawerts essayistischem Roman Spiegelland. Ein deutscher Monolog. Der kompromißlos Selbstvergewisserung treibende Ich-Erzähler schildert Verformungen der sprachlichen Innenwelt seiner Kindheit, die sich zwischen hochbeamtetem Dresdner Elternhaus und der Verhinderungsinstanz „Lehranstalt“ zugetragen hat. „Der Raum der Gefährdung war die Sprache, deren Bestandteile die Grenzlinie des Körpers überschritten, um sich in ihn einzugraben und von innen zu verändern.“ Was einmal zuviel Macht über einen hatte, dafür kann man später kein Mitgefühl, keine emotionale Durchlässigkeit mehr aufbringen. Wie ein Schock dringen die Diagnosen in den Text, so daß sie – als könnten sie einfach nicht wahr sein – immer wieder von neuem ausgesprochen werden. Vom Pathos des Österreichers Ransmayer unterscheidet sich die Prosa Drawerts durch den Verzicht auf die allegorische Verschiebung als Konstruktion: Es geht vielmehr um die glasklare Aufdeckung der repressiven Folgen.

Den zwar seichteren, aber kaum weniger „desillusionierten“ Part übernimmt der Wahl-Hamburger Uwe Kolbe. Während Drawerts zermürbende Brillanz seiner Essayistik erst nach der Wende so richtig zum Ausdruck kam, sah es bei Kolbe – wie übrigens bei vielen seiner Kollegen auch – eher anders aus. Drei hochgelobte Lyrik-Bände hatte er bis 1986 im Aufbau-Verlag veröffentlicht, die zwischen Ofen- und Hinterhofromantik und hochmusikalischem Dichterpathos lavierten. Als dann 1990 bei Suhrkamp Vaterlandkanal erschien, entzweiten sich die Kritiker. Hermetischer Gefühlskitsch oder traditionsbewußter Rilke, Baudelaire, Benn, Lorce oder Rimbaud-Schüler: Altmodisch, aber mit RTL, William Burroughs und Lacan und und und im Gepäck: pathetisch, pittoresk und polyphon zurück in die klassische Moderne. Aber das Grundthema ist und bleibt auch bei Kolbe dasgleiche wie bei Drawert: die Wunde, die da ist.

Stefan Pröhl