Und wennst dich nicht beherrschn kannst?

■ Das Schauspielhaus zeigt die neue Komödie von Franz Xaver Kroetz: „Der Drang“

In der Ehe von Hilde (Gundi Ellert) und Otto (Peter Brombacher) ist alles vertrocknet, und Triebimpulse gibt es höchstens noch in den Pflanzen der Gärtnerei, die die beiden führen. „Wenn man verheirat is, vergeht eim als erstes die Natur“, meint Otto, und gibt natürlich Hilde die Schuld. Erst die Ankunft von Fritz (Edmund Telgenkämper), Hildes Bruder, beendet diese Situation des „Rien ne va plus“. Der kommt eben aus dem Knast, wo er als Exhibitionist einsitzen mußte. Mit Tabletten ruhiggestellt, soll er bei Schwester und Schwager ein Zuhause finden und in der Gärtnerei nützlich sein. „Der Fritz ist eine Figur, die das Gute will und das Böse auslöst“, erklärt Regisseur und Bühnenbildner Wilfried Minks, der „Der Drang“, Franz Xaver Kroetzens neues „Volksstück“, im Schauspielhaus inszeniert. „Nicht der Exhibitionismus ist das Thema, Medikamente haben Fritz ja kaltgestellt. Trotzdem löst er bei den Menschen seiner Umgebung eine hysterische Reaktion aus.“ Und die hat sich gewaschen: Der im Alltag längst untergegangene Drang meldet sich zurück, ist stärker und könnte fast wie Leidenschaft aussehen. Schonungslos bildet Otto mit Mitzi, der Gehilfin (Marion Breckwoldt), für den kurzen Moment eines Rauschs, ein ungleichschenkliges Dreieck, in dem es brunftig zugeht bis zum bitteren Ende. Nur Fritz bleibt ausgespart, unberührt durch die chemischen Reaktionen, die er selbst auslöst.

„Dieses Stück ist eine Komödie“, so Minks, „und das ist bemerkenswert, denn in Deutschland weiß man nicht so richtig, was eine Komödie ist. Hier fehlen die Klassen, die man dazu bräuchte.“

Zehn Jahre nach „Bauern sterben“, das damals ebenfalls Minks in Hamburg inszenierte, ist Kroetz mit „Der Drang“ wieder zum Theater zurückgekehrt – und hat ein fulminantes Rentrée geschafft: mit weniger Ideologie, weniger Überbau ist er heute mit seiner bayerischen Kunstsprache einfach bös-komisch. In den bisherigen Aufführungen des Stücks ist allerdings genau der Umgang mit diesem Element der Sprache interessant bis problematisch gewesen: „Da Schriftsprache grau ist und Dialekt Farbe bedeutet, soll er gesprochen werden“, verlangt Kroetz, und hat den aus verschiedenen Ecken der Republik kommenden Schauspielern bei seiner eigenen Münchner Uraufführung einen Dialekt geschaffen, in dem jeder „sein eigenes Maul“ hatte. Wurde bei der hannoverschen Inszenierung versucht, ein Pseudo-Bayerisch auf die Bühne zu bringen, verläßt Minks sich eher auf die geschriebene Version von Sprache. Ohne Komödiantenstadl-Anklänge dürfte die Hamburger Version dieser hervorragenden Komödie mit ihren 27 Umbauten in eindreiviertel Stunden zu einem bemerkenswerten Theaterabend geraten.

Thomas Plaichinger

Premiere im Schauspielhaus, Freitag, 16. Februar, 20 Uhr