Um den feig-frohen Freßnik Falstaff menschelt es mächtig

■ Thomas Langhoff inszenierte „Die Geschichte von Heinrich IV.“ im Deutschen Theater in Wohnstubenformat

Ein melancholischer König, der am Ende stirbt. Ein liebenswerter Freßbold, der verbannt wird. Ein Rebell, der in seinem gerechten Zorn ziemlich allein dasteht. Und ein lasterhafter Königssohn, der sich vor seiner Krönung wandelt, aber dabei auch recht freudlos wirkt. „Die Geschichte von Heinrich IV.“, wie Shakespeares Stück am Deutschen Theater in der Übersetzung von Wolfgang Swacynna genannt wird, erzählt in Thomas Langhoffs Regie vor allem davon, wie sich die Figuren wider ihr Naturell in den Verhältnissen quälen.

Dabei geht es eigentlich um politische Moral. Heinrich IV., der den Thron dadurch errang, daß er Richard II. ermorden ließ, wird am Ende seines Lebens von Gewissensbissen geplagt. Schon vor Jahren wollte er eine Sühnereise nach Jerusalem antreten, doch dazu ist es nie gekommen. Nun kann ihn nichts mehr aus seiner Resignation befreien – nicht einmal, daß seine Söhne eine Rebellion niederschlagen, die einstige Helfer gegen ihn betreiben. Das Stück ist ein Abgesang voll politischer Reflexion.

Ganz wenig davon bei Langhoff. Hier menschelt es vor allem, was sich gleich am ritualisierten Anfang zeigt: Die Noblen des Dramas versammeln sich im Dunkeln an der Rampe. Dort setzen sie alle ihr Pappkrönchen ab und zünden ein oder mehrere Lichtlein an. Die Noblen des Dramas? Nicht alle. Michael Maertens als Königssohn Harry hat Besseres zu tun. Er kommt erst später vorbei, angetan mit langen Unterhosen, einem elfenbeinfarbenen Strickjäckchen, Perlenketten und etlichen Glitzerringen an den Händen. Ganz Bübchen und reizendes Enfant terrible schwankt er somnambul über die Bühne, rülpst, grinst fieslich und verschwindet wieder.

Mit seinen hängenden Schultern, seinem verschlagen schlingernden Gang, seiner Stimme stets nahe am Privatton und dem ganzen androgynen Charme ist Maertens ein höchst angenehm mißratener Königssohn. Aber wie dieser Prinz von Wales dann doch zum väterlichen Throne findet, kann er leider gar nicht deutlich machen. Es geht ihm doch prima bei seinen Kumpanen Falstaff und Poins in der Schenke Zum Wilden Schweinskopf. Er kann seinen Kopf an Kurt Böwes Falstaff- Bauch kuscheln, läßt sich („Na, ihr Schlingels“) von Volkmar Kleinert das Wänglein knutschen und alle sagen ihm Artigkeiten – zumindest, wenn er da ist.

Dieser Wonneproppen soll zum Krieger werden? Soll seinem Vater (Eberhard Esche) im Kampf gegen die von Percy Heißsporn (Götz Schubert) angeführten Rebellen beistehen? Das glaubt man nicht und sieht man auch nicht. Tändelnd führt Maertens das Schwert, und als er Heißsporn im Zweikampf ersticht, triumphiert er nicht, sondern legt rasch den Kopf auf dessen Bauch. Nicht Ehrgeiz, sondern täppische Erotik verbirgt sich hinter allem, was dieser Prinz macht – und nicht der Wille zur Macht ist es, der ihn erotisieren kann, sondern allenfalls ein bißchen Eitelkeit. Und weil man ihm die herzlich gönnt, geht die Tragödie auf Socken.

Kommen wir zu Falstaff. Diese Figur des alternden, feigen, lebensfrohen Freßniks wäre durchaus ein Grund, die längliche Geschichte hinzunehmen. Ein sonniger König der Gosse, Gegenstück zum schuldgebeutelten Heinrich und nicht zuletzt ja auch der Ziehvater des Prinzen. Der Nachwuchs ergo zwischen Lust und Ordnung, gesellschaftlicher und politischer Moral und Unmoral.

Aber auch davon nichts auf der schön leeren Bühne von Pieter Hein. Nicht nur, daß Eberhard Esche im königlichen Seidenhemd nur müde vor sich hin greint und zu Kurt Böwe kaum ein Gegengewicht bildet, ist dessen Falstaff auch nicht, was er sein könnte. Mal tänzelt er mit überschnappender Stimme die alternde Tunte, mal stelzt er mit hohem Ton die Würde in Lumpen. Und bei alldem wird die Falstaffsche Maßlosigkeit nur durch den wippenden Wattebauch behauptet. Böwe strahlt nichts Dämonisches, sondern nur Freundlichkeit aus. Hier schlüpft die Tragödie auch noch in den Hausschuh.

Und so schlurft sie denn dahin, das Staatsensemble watschelt in bewährter Zuverlässigkeit hinterher und im Parkett wird gleichmäßig geatmet. Einmal allerdings merkt man noch auf. Da zeigt Thomas Langhoff ein herrlich reduziertes „Schlachtgewimmel“: eine Feuersäule, ein Trommler, ein Ritter beim slow-motion-Schattenkampf. Doch statt daß sich nun ironisch stilisierte Abziehbilder der so called Politikverdrossenheit und Mittelmäßigkeit abwechseln, wird doch wieder gleich alles ganz ernst und von der menschlichen Seite her genommen. Shakespeare auf Wohnstubenformat verkleinert, im Schlafrock gar – deutet sich hier ein neues Biedermeier an? Petra Kohse

„Die Geschichte von Heinrich IV.“, Regie: Thomas Langhoff, wieder am 24./25. 2., 18 Uhr, Deutsches Theater, Schumannstr. 13 a