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Über den Unfug des Winters Von Susanne Fischer

Es nimmt und nimmt kein Ende. Erst läuft die Nase, dann die Blase. Dann gibt es Frostbeulen überall. Schließlich reißen die Hände auf. Nun die Beine und dann alles. Als waidwundes Wrack verwest man in einer schlecht beheizten Sofaecke und fragt sich, wieso man eigentlich immer noch lebt.

Im Haus frieren unbemerkt Rohre und Hähne ein, von deren Vorhandensein man bis vor fünf Minuten noch gar nichts geahnt hatte. Bei Brammers soll sogar das Klo vereist sein, doch das mag ich mir noch nicht einmal vorstellen. Aber zum Beispiel meine Heizung ist in der Zeit, die ich für diesen Artikel brauche, siebenmal eingefroren und dreimal explodiert. Um die Sofaecke wälzen sich Wassermassen, die bald zu Eis erstarren und kurz darauf das Haus platzen lassen. Neue Wassermassen ergießen sich auf das Eis. Es ist furchtbar. Ich warte auf den Tag, an dem der Liebste sagt, ich könne jetzt leider nicht schlafen gehen, weil das Bett soeben einfroren sei. Als ich neulich unter meinem eindrucksvollen Hügel aus sieben Bettdecken schnatternd lag, träumte mir, mein Schlaf sei vereist und deshalb heute nur mit einer „Zwei minus“ zu bewerten. Danach träumte ich lieber vom Mittelmeer.

Aufwachen muß ich dann doch; und schon springt das Auto nicht an. Falls es doch anspringt, schliddert es gegen das Stop-Schild an der ersten Ecke. Das tut es jeden zweiten Morgen. Es hat Beulen, und bald platzt es wahrscheinlich.

Die Enten auf dem Teich im Park um die Ecke schnattern laut und fröhlich um die armen dummen Karpfen, die sich im Eis haben einschließen lassen und mit weit aufgerissenen Augen ihren eigenen Tod anstarren. Da greift sich Väterchen Frost die Entenfüße und hält die höhnischen Tierchen fest, bis die Polizei kommt und ihrer vornehmsten Aufgabe nachgeht, nämlich dem Entenretten. Mit dem Schweißbrenner werden die Tiere gerettet. Ein Medien- Hype: Wenn das nur gut geht. Merke: Die Polizei friert niemals ein!

Bekümmert ist dagegen das Eichhörnchen, dem es nicht gelingt, seine frisch erbeutete Walnuß im hartgefrorenen Boden zu verscharren. Unschlüssig sitzt es mit seiner Beute da und weiß nicht recht, wie weiter vorzugehen sei. Denn die Polizei hilft niemals den Eichhörnchen in Not, sondern nur den eingefrorenen Enten, weil die ihnen nicht entkommen können, wenn's ans Pressefoto geht. Ein Pressefoto mit einem Eichhörnchen in Not (hinterm Baum, nicht im Bild) und einer eingegrabenen Walnuß (im Boden, nicht im Bild) will auch der publicitygeilste Unterkommissar nicht von sich verbreitet wissen. Winter sei eben Natur, höre ich immer wieder von Leuten, deren Heizung nicht explodiert, so wie meine. Was aber sagt das Eichhörnchen? Es verscharrt seine Walnuß unter einem Haufen dürrer Blätter, sehr dürftig getarnt und vom nächsten Polizeihund ganz schnell geklaut. Sind Polizeihunde etwa Natur? Oder Schweißbrenner?

Solche Dispute sind nur noch schriftlich zu erledigen, da zu Hause die mündliche Kommunikation eingestellt wurde. Letzte Experimente ergaben, daß der Liebste mich wahrscheinlich nicht hören kann, weil er nicht da ist, was ich wiederum nicht sehe, weil ich Eisblumen auf den Brillengläsern habe. Oder die Schallwellen sind bundesweit vor langer Zeit vereist.

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