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Der hohe Preis für den Kinderwunsch

■ Nach wie vor geringe Erfolgsquoten bei künstlicher Befruchtung / Norddeutsche Gynäkologen diskutierten am Wochenende über Risiken der Fortpflanzungsmedizin Von Marco Carini

Die Frage war eher rhetorisch. „Ein Kind um jeden Preis?“ lautete der Titel eines Symposiums der Norddeutschen Fortpflanzungsmediziner zum Thema „Leben aus der Retorte“. Rund 150 ÄrztInnen, zum Großteil GynäkologInnen, pilgerten am Samstag nach Bad Segeberg, um „aktuelle Aspekte aus der Fortpflanzungsmedizin“ miteinander zu diskutieren.

Niedrige Erfolgsquoten und gefährliche Irrwege der Fortpflanzungsmedizin haben die Zunft der sogenannten Reproduktionsmediziner in Verruf gebracht. 1983 klonte der Washingtoner Gynäkologe Jerry Hall erstmals menschliche Embryonen, Frauen im nicht mehr gebärfähigen Alter aber auch Jungfrauen trugen im Ausland bereits im Reagenzglas befruchtete Eier aus. In der Bundesrepublik allerdings verbietet das Embryonenschutzgesetz solche Praktiken.

Kritisch betrachten wollten sie ihre schöpferische Tätigkeit am Samstag schon, die norddeutschen Reproduktionsmediziner. Kritisch – aber systemimmanent. So blieb etwa die feministische These der „Enteignung des Frauenkörpers und der weiblichen Fruchtbarkeit“ durch meist männliche Ärzte vor der Tür. Die in Bad Segeberg vortragenden „Ersatz-Schöpfer“ waren durchweg männlichen Geschlechts. Nur die Beurteilung der psychischen Folgeerscheinungen einer Sterilitätsbehandlung blieb einer Frau vorbehalten.

Gut gewählt hingegen der Ort für das von der Ärztekammer organisierte Seminar: Schleswig-Hol-stein und Hamburg gelten als Mecka der Eizellen-Befruchtung im Reagenzglas, von Fachleuten außerkörperliche Befruchtung oder In-Vitro-Fertilisation (IVF) genannt. Die universitären Frauenkliniken in Lübeck und Kiel gelten neben der in Erlangen als die IVF-Zentren der Republik. In Hamburg werden sowohl am UKE als auch in der Gemeinschaftspraxis Leidenberger/Weise in Altona Retortenbabys angesetzt. Von den gut 10.000 außerkörperlichen Befruchtungen, die in den 43 bundesdeutschen IVF-Zentren im vergangenen Jahr stattfanden, gehen fast zehn Prozent auf das Konto der Altonaer Praxis. 1994 beförderten die dort arbeitenden Fortpflanzungsmediziner Fischer und Näther 914mal die in der Petrischale mit dem Samen des Ehemanns (nur das ist gesetzlich erlaubt!) befruchtete Eizelle zurück in den weiblichen Körper.

Prof. Klaus Dietrich von der Universitätsklinik Lübeck beklagte in seinem Vortrag am Samstag die „immer noch geringe Schwangerschaftsrate nach einer IVF-Behandlung“, die nach wie vor „deutlich unter 20 Prozent“ liege. Zudem komme es bei im Reagenzglas beginnenden Schwangerschaften zu einer „deutlich erhöhten Fehlgeburtsrate“ von knapp 20 Prozent und im „Erfolgsfall“ zu einer stattlichen Anzahl von Zwillings- und Drillingsschwangerschaften. Dietrich: „Diese Zahlen muß ein Paar kennen, bevor es sich mit der IVF auf eine Therapie einläßt, die eine hohe Belastung darstellt“.

Wie hoch die seelische Belastung der Frauen durch die Behandlung ist, vor allem, wenn sie nicht zum Erfolg führt, hat Dietrich zusammen mit der Medizinerin Dr. Anke Rohde untersucht. Für ihre Studie „zu den psychischen Begleit- und Folgeerscheinungen der IVF“, deren Ergebnisse noch nicht veröffentlicht wurden, befragten sie über 500 Frauen, die sich der umstrittenen Behandlung unterzogen hatten.

58,3 Prozent der Frauen, bei denen die Techno-Kopulation nichts fruchtete, gaben hinterher an, enttäuscht oder gar maßlos enttäuscht zu sein. Als verzweifelt, deprimiert oder traurig beschrieben 45,7 Prozent der Frauen ihren Gemütszustand nach mißlungener künstlicher Befruchtung. Anke Rohde: „Wie jedes andere kritische Lebensereignis kann ein erfolgloser IVF-Zyklus zu psychischen Störungen führen.“

Denn die sich fast immer schon jahrelang nach einer Schwangerschaft sehnenden Frauen hätten meist schon vor Behandlungsbeginn, so der Berliner Reproduktionsmediziner Heribert Kentenich, das Vertrauen in ihren Körper verloren: „Mein Körper taugt nichts, weil ich nicht schwanger werde“ – so würden viele der Frauen denken, die sich den Künsten der Fortpflanzungs-Doktoren anvertrauen. Kentenich: „Bei Frauen, die nach der Behandlung kinderlos bleiben, werden vorhandene Depressionen verstärkt.“

Auch bei erfolgreicher Befruchtung und Schwangerschaft kommt es häufig zu Schwierigkeiten, wie Kentenich erläuterte: Fast jedes zweite Retortenbaby wird per Kaiserschnitt zur Welt gebracht, Frühgeburten und damit oft verbundene schwere „Schäden“ und Entwicklungsstörungen der im Reagenzglas gezeugten Embryonen sind weit häufiger als bei mit Lust und Liebe gezeugten Kindern.

Die Frage, ob jahrelange Sterilitätsbehandlungen, von der Hormonstimulation bis hin zur IVF, die Fixierung von Frauen auf die eigene Schwangerschaft als Quell der Seligkeit und primären Lebenssinn zusätzlich verstärken, schwang in den Reflexionen der Frauenärzte nur am Rande mit. Immerhin schwächt sich nach der Studie von Dietrich und Rohde bei jeder sechsten Frau der Kinderwunsch nach erfolgloser Behandlung ab. Doch trotz niedriger Erfolgsquoten, seelischem Frust, trotz hoher Fehlgeburts- und Kaiserschnittsraten, trotz vieler Frühgeburten und Mißbrauch der IVF zumindest in anderen Ländern waren sich die versammelten Fortpflanzungsmediziner in einem einig: „Der Wunsch vieler Frauen nach einem Kind ist anders nicht erfüllbar“.

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