Wühltisch
: Modem zum Sakralen

■ Der Computer als Hausaltar: Auf seinen vielen Pfaden ist gut wandeln. Kultisch vernetzt sich das Ich im Cyberspace zu erdumspannender Erstkommunion

Wir werden uns bald wie die Kinder auf den komfortabel ausgebauten Datenautobahnen fortbewegen. So jedenfalls träumt es Norbert Bolz, was er uns im Auftrag der Telekom zur Zeit beinahe jeden Abend via Werbefernsehen mitteilt. Der Mann versteht sich auf die Sprachen des Unbewußten und läßt nicht ab, es allen zu erzählen. Als mein akademischer Lehrer hatte er seinerzeit sogar versucht, mir die Philosophie Martin Heideggers beizubringen – mit mäßigem Erfolg. Als Angehöriger der „78er Kohorte“ war ich noch nicht reif für die Technik-Kehre, von der Bolz mit sakraler Feierlichkeit kündete. Nun trägt er erlösend nach, man lerne in der Schule ohnehin nicht ausreichend für das Leben. Einer wie er weiß: Man wird alt wie eine Kuh und lernt immer noch dazu. Wohlgenährt und sichtlich älter geworden, trägt er nach wie vor die knallbunten Krawatten, mit denen er früher die Kommilitoninnen faszinierte.

Bei dem Bemühen, die Gutenberg-Galaxis wenigstens versuchsweise zu verlassen, spielte mir kürzlich mein neuer PC einen Streich. Kaum daß alles eingestöpselt und die ersten Arbeitsdateien kopiert waren, gab der Rechner aufgeregt blinkend Alarm. Ein Virenerkennungsprogramm, das der Hersteller gratis im Softwarepaket mitgeliefert hatte, kam prompt zum Einsatz. Der herbeigeeilte Service- Mann mahnte, in Zukunft besser nichts mehr von fremden Rechnern zu kopieren. Diskettenpromiskuität sei im Online-Zeitalter schließlich nicht mehr nötig. Er glaubte, in mir einen Raubkopierer erwischt zu haben, und meinte, für diese Sünde treffe mich die Geißel des Computergottes völlig zu Recht. Unschuldsbeteuerungen halfen wenig, ich mußte einen Ablaß entrichten.

Modem samt Installationsanleitung waren nach kurzer Einführung mein. Die Initiation in die digitale Gemeinde stand noch bevor, aber mich beschlich sofort dieses unheimliche Gefühl wie seinerzeit nach der Erstkommunion: Ich gehörte dazu.

„Hausaltarhaft stehen die Geräte auf unseren Schreibtischen“, schreibt Online-Freak Peter Glaser in seinem Einführungsbuch über digitale Welten und versteigt sich dann zu einer ausgewachsenen Kirchenkritik. „Längst erfüllen die westlichen Kirchen ihre Pflicht, das Kultische lebendig zu halten, nicht mehr. [...] Unfähig und starr haben die Kirchen die geradezu phantastische Andachtsbereitschaft der Computerbenutzer verschenkt“ (Peter Glaser: „24 Stunden im 21. Jahrhundert“. Zweitausendeins, Frankfurt/ Main 1995). Die Informationsgesellschaft ist also gar nicht auf Informationen und deren schnelle Verarbeitung aus. Im Cyberspace zirkuliert das Kultische. Schamane, Gott und Drogen werden digital. „Die Netze“, schwärmt Glaser, „ermöglichen dem einzelnen rauschhafte Gefühle von Omnipotenz, in denen er sich aufblähen kann zu erdumspannender Größe.“ Online miteinander verständig zu sein schafft erhabene Gefühligkeit.

Dank des Ethnologen Roger Callois wissen wir, daß das Heilige nicht zuletzt zur Segnung des Profanen eingesetzt wird, und in diesem Sinne ist auf den vielen Pfaden des Internets gut wandeln. Was als bedrohliches Gebetsmurmeln erscheint, sind kaum mehr als die Verlautbarungen einer gigantischen Leserbriefseite ohne Zeitung und Redaktion. In den zahlreichen Newsgroups werden Autorenträume jenseits orthographischer Reglementierung wahr. Irgend jemand zwischen New York, Bombay und Berlin wird's schon lesen. Die Leichtigkeit der Kinder, von der Professor Bolz träumt, ist ohnehin eine christliche Basisqualifikation. In der Heiligen Schrift heißt es an irgendeiner Stelle: „Und wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet Ihr nicht in das Himmelreich einkehren.“ Wer die genaue Bibelstelle kennt, wählt bitte: http:www.prz.tu-berlin.de/ -taz. Harry Nutt