: Nur ein ganz gewöhnlicher Mord
■ Der blutige Konflikt unter Korsikas bewaffneten Nationalistengruppen fordert immer weitere Todesopfer
Paris (taz) – Der Sandwich-Verkäufer starb an seinem Stand. Zwei Männer hatten sich am Montag abend mit dem Händler gestritten, bevor sie ihn mit mehreren Schüssen niederstreckten. Wenige Stunden später war der Mord in der Hafenstadt Ajaccio bereits in den französischen Nachrichten. Tenor: Neues Todesopfer im Bürgerkrieg der korsischen Nationalisten. Gestern folgte das überraschende Polizeidementi. Dieses Mal sei es kein politisches Attentat gewesen, sondern ein gewöhnlicher Mord. Das Opfer habe keiner der verfeindeten nationalistischen Organisationen angehört.
Über 600 Attentate erschütterten in den vergangenen zwölf Monaten die Mittelmeerinsel – darunter zahlreiche kleine Zündeleien, die mehr symbolischen Charakter hatten. Im selben Zeitraum fielen 13 Männer der Gewalt zum Opfer – sie gehörten ausnahmslos nationalistischen Organisationen an. Die Täter, von denen bis heute kein einziger festgenommen wurde, stammen nach der übereinstimmenden Ansicht von Polizei, Angehörigen und Bevölkerung ebenfalls aus dem militanten nationalistischen Lager.
Die beiden vorerst letzten Toten der politischen Mordserie weisen auf eine neue Zuspitzung des Konflikts hin. Am Freitag starb in Ajaccio Jules Massa, Bodyguard des Chefs der „A Cuncolta“, dem legalen Arm der größten bewaffneten Organisation FLNC-Canal historique. Kaum zwei Tage später trafen tödliche Kugeln in Porto Vecchio Charles Andréani, Mitglied der ANC, die seit längerem die „mafiose Entartung“ der anderen Gruppen kritisiert.
Die ANC war zuvor von den blutigen Auseinandersetzungen verschont geblieben, bei der sich im vergangenen Jahr vor allem FLNC-Canal historique und die zweite große Guerilla, FLNC-Canal habituel, bekämpft hatten. Die zwei Organisationen stammen beide aus der Unabhängigkeitsbewegung. Ihr Konflikt ist nicht nur die Demonstration der Stärke gegenüber den korsischen Landsleuten, sondern auch ein Kampf um die stärkste Position gegenüber der Regierung in Paris.
Getreu der Politik seines Vorgängers Charles Pasqua setzt auch der neue französische Innenminister Jean-Louis Debré auf eine Mischung aus viel Geheimdiplomatie und wenig Härte. Als korsischen Partner haben sich seine Unterhändler für die „A Cuncolta“ entschieden. Dem Antrittsbesuch des neuen Innenministers ging eine martialische Demonstration der „A Cuncolta“ voraus. Am 11. Januar hielten über 600 schwerbewaffnete und vermummte Mitglieder (der FLNC-Canal historique) eine „Pressekonferenz“ ab, bei der sie ihre Bereitschaft zu einem „mindestens“ dreimonatigen Waffenstillstand verkündeten.
Die französischen Behörden, vorab über das Spektakel informiert, unternahmen nichts. Im Gegenteil: Anfang Februar verschickte der zuständige Staatsanwalt einen Erlaß an die korsischen Richter, der sie zu mehr „Vorsicht“ bei der Verurteilung terroristischer Aktivitäten auffordert.
Auch Justizminister Jacques Toubon, der am 10. Februar nach Korsika fuhr, gab den dortigen Richtern nicht die gewünschte Rückenstärkung. Statt dessen bestätigte er die Korsika-Politik seiner Regierung, die aus drei Elementen bestehe: Die Bereitschaft der Nationalisten, am politischen Leben teilzunehmen; der Wille der gewählten Insel-Politiker, den Dialog und die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, und die Absicht des französischen Präsidenten, den Frieden auf Korsika zu sichern. Einzige konkrete Unterstützung für die geplagten Inseljuristen war Toubons Versprechen, einen zusätzlichen Untersuchungsrichter zu schicken, der sich um Wirtschaftsverbrechen kümmern werde. Im korsischen Kontext bedeutet das: Er soll vor allem die illegalen Finanzierungspraktiken der bewaffneten Nationalisten verfolgen. Dorothea Hahn
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