Eine Stunde für Vulkan

■ 6000 demonstrieren auf dem Sedansplatz in Vegesack / Hennemann war auch da - Geschäfte und Ämter dicht

Ein Hauch von Revolution liegt über Bremen-Nord. Bankangestellte, Verkäuferinnen, Schulkinder, Verwaltungsleute, Ladenbesitzer: 6000 Menschen sind am Morgen auf dem Sedansplatz zusammengeströmt, um ihre Solidarität mit den Vulkanesen zu demonstrieren. Vegesack war lahmgelegt. Bis auf wenige Ausnahmen hatten die Geschäftsleute ihre Läden geschlossen. „Eine Region steht auf, eine Region will arbeiten“, rief Werft-Betriebsrat Hasso Kulla der Masse das Motto der Kundgebung zu.

Unter den vielen Schulkindern und den kräftigen Vulkan-Arbeitern mit den orangen Helmen fallen die beiden Handwerker im Blaumann mit dem Signet der Firma Günter Rank nicht besonders auf. Und trotzdem stehen die letzten Mohikaner des einst florierenden Metallbetriebes aus Bremen-Blumenthal für das ganze Elend, das im Falle einer Werften-Schließung über Bremen-Nord hereinzubrechen droht. „Unser Betrieb ist Pleite gegangen, weil der Vulkan seine Rechnungen nicht bezahlt hat“, sagt der eine traurig. Er und sein Kollege seien die letzten der einst zehnköpfigen Belegschaft. Dennoch seien sie noch auf der Werft und arbeiten weiter: „Was sollen wir sonst machen“?

Diese Frage stellten die 6000 auf dem Sedansplatz: „Was soll ohne Schiffbau hier werden?“. „Die Leute können doch nicht von heute auf morgen Versicherungskaufleute oder Architekten werden“, rief Vulkan-Konzernbetriebsrat Kalli Schönberger. Die vielbeschworene Dienstleistungsgesellschaft sei für die Menschen in Bremen-Nord doch nur eine Illusion. Auch die, die heute in die Schule gehen, wollten in dieser Region arbeiten. Die Leute haben doch auf den Schiffbau gesetzt, so Schönberger eindringlich.

„Wir haben unseren Lehrer überredet, daß wir mit demonstrieren dürfen“, sagt ein Zehntklässler aus dem GSZ. Der Schulleiter habe nur die neunten Klassen abordnen wollen. „Aber das geht nicht. Schließlich wollen wir auch mal irgendwo eine Lehrstelle finden“.

Auch die Verkäuferinnen vom Kaufhaus Kramer brauchten nicht lange überredet zu werden, ihren Laden zuzumachen“. „Alle 40 Kolleginnen sind da, auch die, die keine Schicht haben“, sagt eine Frau. Schon in den letzten Jahren sei am Umsatz abzulesen, daß die Nachbarn in Vegesack weniger Geld in der Tasche hätten. Eine Schließung der Werft würden sie voll zu spüren bekommen. Die Frauen, die im warmen Lufthauch an der Kaufhaustür warten müssen, haben durchaus Verständnis für die Aktion der Verkäuferinnen. „Wir wissen schließlich auch, worum es jetzt geht“, sagt eine.

Auch die Volksbank bleibt zu. Das habe die Belegschaft eigenständig entschieden, erzählt ein Banker. Schließlich hätten viele Vulkanesen ihre Konten bei der Volksbank, da wäre die Filiale direkt von einem Arbeitsplatzabbau betroffen.

„Die in Bonn müssen jetzt was machen“, sagte ein Rentner, der 34 Jahre auf den Vulkan-Docks schuftete. Seiner Meinung nach sind die 6000 auf dem Sedansplatz noch viel zu wenig. „Schließlich geht es doch um die Zukunft für die Jugend“, ergänzt seine Frau, „warum kommen da nicht alle?“

Wenn auch nicht ganz Vegesack gekommen ist, so wurde doch ein Prominenter im Hintergrund gesichtet: Ex-Vulkan-Chef Friedrich Hennemann hatte sich ein blaues Stirnband gegen die Kälte über die Ohren gezogen und sah das Aufbegehren seiner einstigen Untergebenen gegen die Zerschlagung seines Lebenswerkes Vulkan-Verbund mit an. Die Meinung des Volkes war bei seinem Anblick gespalten: „Daß der Verbrecher sich hierher traut“, empörten sich die einen. „Der Hennemann ist doch nicht alleine Schuld“, sagten die anderen. Das diktierte der geschaßte Konzernchef auch den Reportern in die Blöcke. Alle Entscheidungen über den Kauf von Unternehmen seien im gesamten Vorstand gefallen und vom Aufsichtsrat abgesegnet worden. Im Übrigen habe er wenig Lust, in der aktuellen Krise über die Schuldfrage zu reden, sagte Hennemann gewohnt souverän. Einen Lösungsvorschlag hatte er auch schon parat: Die Sozialdemokraten müßten sich für die Vulkanesen einsetzen und endlich kluge Industriepolitik machen. Besonders der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder, sei gefragt. Schließlich lebten 40 Prozent der Vulkan-Beschäftigten in Niedersachsen. jof