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Heirat der Rüstungsgiganten

Auf Weisung des Präsidenten entsteht in Frankreich mit der Fusion von Dassault und Aerospatiale Europas zweitgrößter Rüstungskonzern  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Von der Rakete über den Satelliten und das Kampfflugzeug bis hin zum Raumschiff wird Aerospatiale-Dassault so ziemlich alles im Sortiment haben, was eine moderne Armee benötigt. Sie wird an die 60 Milliarden Francs (zirka 17 Milliarden Mark) Jahresumsatz machen und Frankreichs größte sowie Europas zweitgrößte Rüstungsschmiede sein. Und sie soll den US-amerikanischen Konkurrenten Paroli bieten – immer vorausgesetzt, die von Staatspräsident Jacques Chirac angeordnete Fusion der beiden französischen Giganten der Branche klappt.

Der Chef des traditionsreichen Familienunternehmens Serge Dassault war der erste, der die Information bestätigte: Auf Weisung aus dem Elysee-Palast muß sein Unternehmen mit dem 100 Prozent staatseigenen und hochverschuldeten Staatsbetrieb Aerospatiale bis Juni die Modalitäten für die franko-französische Hochzeit erarbeiten, die spätestens in zwei Jahren zu erfolgen hat.

Die umfassendste Militärreform aller Zeiten

Gleichzeitig wird der staatliche Konzern Thomson, der in der französischen Militärelektronik führend ist und weltweit an siebter Stelle der Rüstungsunternehmen steht, zum Jahresende privatisiert. Sein langjähriger Chef Alain Gomez, der grenzüberschreitende europäische Kooperationen favorisiert hatte und bereits über konkrete Pläne mit der britischen GEC verfügte, mußte am Mittwoch seinen Rücktritt einreichen.

Die Umstrukturierung der Rüstungsindustrie begleitet die umfassendste Reform des Militärsektors, die Frankreich je erlebt hat. Sieben Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, und nachdem fast alle europäischen Länder ihre Verteidigungskonzepte geändert haben, wollte der oberste französische Militärchef, Staatspräsident Chirac, gestern abend im Fernsehen seine Präferenzen bekanntmachen.

Das offizielle Paris und das französische Militär rechneten seit längerem damit, daß Chirac bei der Gelegenheit die Abschaffung der Militärpflicht und die Einführung einer radikal verkleinerten Berufsarmee ankündigen würde. Auch eine Modifizierung der atomaren Verteidigung Force de frappe wurde erwartet. Im Mittelpunkt wird die langfristige Abrüstung der nach Osteuropa gerichteten landgestützten Atomraketen auf dem Plateau d'Albion stehen.

Unklar war vor Chiracs Fernsehauftritt, ob er statt des Militärdienstes einen mehrmonatigen Zivildienst einführen würde, zu dem Frauen wie Männer herangezogen werden würden.

In den Reihen der konservativen Regierungsparteien ist die Abschaffung des Militärdienstes ebenso umstritten wie die Frage, ob dazu ein Referendum nötig sei. Aus dem Elysee-Palast verlautete, daß Chirac keine Volksbefragung vor der großen Umstrukturierung durchzuführen gedenke. Eine rüstungsindustrielle Gigantenhochzeit hatten seit Mitte der 70er Jahre schon zahlreiche andere — linke wie rechte — französische Politiker angedacht, jedoch nie zu realisieren gewagt. Auch ein französisches „Dreieck“ von Aerospatiale, Thomson und Matra war zwischendurch im Gespräch. Der weitestgehende staatliche Schritt in Richtung von Dassault war der Aufkauf von Aktien in dem Familienunternehmen, den der konservative Premierminister Raymond Barre 1976 begann. Doch gegen eine Fusion hatten sich die beiden feindlichen Brüder Aerospatiale und Dassault stets gewehrt. Vor allem Dassault, dessen inzwischen verstorbener Gründer Marcel Dassault ein enger Freund der Familie Chirac ist und die politische Karriere des gegenwärtigen Präsidenten von Anfang an unterstützt hat, wäre lieber ausländische Bündnisse eingegangen.

Den Garaus machte dem Unternehmen das 200 Milliarden Francs schwere Programm zum Bau des „Rafale“. Der teure Kampfflieger, der am Ende doppelt soviel kosten wird wie die „F 16“ der US-amerikanischen Konkurrenz, ist selbst bei französischen Militärs umstritten.

Das große Vorbild für die französische Fusion ist der US-amerikanische Rüstungskonzern Lockheed-Martin, der seit Ende vergangenen Jahres auch das Unternehmen Loral einschließt. Weltweit hat es den größten Umsatz im Rüstungsgeschäft, gefolgt von dem ebenfalls US-amerikanischen McDonnell Douglas und dem britischen Aerospace. Im Gegensatz zu Frankreich, wo die Regierung Angst vor den zu erwartenden sozialen Protesten hat, ging in den USA die Lockheed-Martin-Fusion binnen weniger Monate über die Bühne.

Arbeitsplatzabbau ist absehbar und gewollt

Die neue Aerospatiale-Dassault soll Frankreichs steten Niedergang im internationalen Rüstungsgeschäft aufhalten. Die Fusion ist gleichzeitig eine Antwort auf die ausländische Konkurrenz und eine Absage an den Überfluß, in dem Frankreichs Rüstungsindustrie seit den 50er Jahren gelebt hat. Als Negativbeispiel gilt die Giat-Industrie, die auf die Herstellung von Schußwaffen spezialisiert ist und keinerlei wirtschaftliche Reformfähigkeit gezeigt hat. Ihre Verluste allein in den letzten fünf Jahren bezeichnet Verteidigungsminister Charles Millon als „nationale Katastrophe“.

Die Fusion wird, das ist absehbar und gewünscht, Tausende von Arbeitsplätzen vor allem in den strukturschwachen Gebieten im Westen Frankreichs kosten. Schon jetzt ist die Angst in die Werkhallen eingezogen. In seltener Einigkeit mobilisieren Gewerkschafter, Lokalpolitiker und Geschäftsleute jedweder politischen Couleur gegen das Regierungsprogramm. Und Olivier Dassault, Abgeordneter der einst von Chirac gegründeten RPR und Mitglied der Rüstungsfamilie, erklärte am Mittwoch: „Noch ist nichts geklärt.“

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