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Es regnet Firecracker vom Himmel

■ Eine rührende Pekingoper der Straße: Wu Tianmings „Bianlian“ im Forum

Selbst in Hongkong werden Filme produziert, die ohne Killer, Kämpfer und all die anderen einsamen Gespenster ans Herz rühren. Dreimal habe er bei „Bianlian“ weinen müssen, meinte ein Kollege, und man war schon von der Story her gewarnt: Alternder chinesischer Maskentänzer sucht in den Armenvierteln von Sichuan einen männlichen Erben, der die Tradition der Familie fortführen soll.

Daraus entwickelt sich eine Art Pekingoper der Straße. Es regnet Firecracker vom Himmel, bunte Papierdrachen ziehen durch die Stadt, und selbst die Gosse erscheint für einen Moment in Regenbogenfarben. Die Kamera folgt jedem noch so schwach schimmernden Licht. Bald ist die Welt in mattem Blau gehalten, dann leuchten einige rote Weinkrüge am Rande auf und schließlich taucht der Nebel eine 60 Meter hohe Buddhastatue in verwaschenes Gelb. Wie beim schnellen Maskenwechsel scheint sich die triste Wirklichkeit mit einem Handstreich in Glück zu verwandeln.

Das gilt auch für die Menschen. Auf dem Kindermarkt werden dem König der Masken nur Mädchen angeboten, die nicht zum Erben taugen. Als er endlich einen Jungen findet und immerhin fünf Dollar für ihn bezahlt, entpuppt sich der Kleine nach einer kurzen Zeit der Zuneigung als Fälschung. Er hat keinen „Teekannenhenkel“, wie man in China zu Beginn des Jahrhunderts so sagte. Großvater verdonnert seine „Doggie“ zur Küchenarbeit, zögert und bringt ihr schließlich doch unfaßbar akrobatische Kunststückchen bei, nur um das Kind dann umso hartherziger zu verstoßen.

Damit er sie ein bißchen noch liebhat, stiehlt sie schließlich einen Stammhalter für ihn. Dafür landet der Alte als Kidnapper im Gefängnis. Das Schicksal bohrt sich von Tiefpunkt zu Tiefpunkt ins Gemüt und zum allgemeinen Leid redet der Mann mit den Masken noch mit buddhistischer Demut davon, daß er die Strafe der Götter gut verstehen kann: Doggie ist eben kein Junge. Und das Mädchen frißt alle Verzweiflung über ihr Geschlecht durch langsame Großaufnahmen schluchzend in sich hinein.

Daß am Ende die Güte siegt, hätte man bei der Eindringlichkeit des ausgestellten Elends, das so rasch zwischen zarter Liebe und tragischer Hoffnungslosigkeit springt, beinahe nicht mitbekommen. Dann starrt man doch etwas ungläubig auf eine Leinwand, die sich in zartem Rosa färbt. Harald Fricke

„Bianlian“ („Der König der Masken“). Hongkong 1996, 90 Min, Regie: Wu Tianming. Mit Zhu Xu, Zhou Renying, Zhang Riuyang

Heute um 15 Uhr im Arsenal

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