„Lektionen zur Gründung der SED“

Über die Forschungen ehemaliger Mitarbeiter des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED zur „Vereinigung“ von KPD und SPD – vor und nach der Wende. Metamorphosen, Purzelbäume und eisernes Beharren  ■ Von Armin Mitter

„Meine politischen Freunde und ich stehen auf dem Standpunkt, daß bei der ersten Möglichkeit, sich wieder politisch betätigen zu können, über alle Vergangenheit hinweg, der neu zu beschreitende Weg ein gemeinsamer sein muß zwischen KPD und SPD.“

Dieses Zitat stammt nicht etwa, wie man vermuten könnte, von einem Mitglied der KPD-Führung, das in Moskau geschult, bereits Ende April 1945 die Weichen in Richtung Vereinigung stellen wollte. Sondern von dem SPD- Mitglied Max Fechner. Fechner wandte sich mit seinem Appell an Walter Ulbricht. Aus heutiger Perspektive mag es überraschen, daß Ulbricht, sicherlich bereits zu diesem Zeitpunkt von Stalin zum Statthalter in der sowjetischen Besatzungszone bestimmt, auf die Offerte zur Zusammenarbeit nicht reagierte.

Noch verwirrender mag erscheinen, daß die bis Mitte 1945 bei der KPD in dieser Frage herrschende Funkstille von dem SPD-Politiker Otto Grotewohl auf einer gemeinsamen Konferenz des Zentralkomitees der KPD und des Zentralausschusses der SPD am 20. und 21. Dezember 1945 ziemlich harsch kritisierte wurde. Das Protokoll dieser Beratung weist den späteren Mitvorsitzenden der SED, Grotewohl, als deutlichen Skeptiker einer schnellen Vereinigung der beiden Arbeiterparteien aus.

Zwar wurde am Ende dieser „60er-Konferenz“ – von beiden Parteien nahmen jeweils 30 Mitglieder teil – „mit feierlichen Nachdruck“ eine gemeinsame Entschließung angenommen, in der zu lesen stand, „daß die Weiterentwicklung der Aktionseinheit zur politischen und organisatorischen Einheit der Arbeiterbewegung die sichere Garantie unseres Erfolges heute und in Zukunft sein wird“. Aber die Wortbeiträge der Konferenz vermitteln den Eindruck, daß die Verwirklichung dieses hehren Ziels weit, weit entfernt lag.

Die führende Partei im ersten Arbeiter- und Bauernstaat hatte also allen Grund, dieses Dokument bis zur Wende im Archiv des Institutes für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, kurz IML genannt, unter Verschluß zu halten. An der glatten Interpretation von der „historischen Leistung der Herstellung der Einheit der Arbeiterklasse unter Führung der KPD“, den die SED-Gründung darstellte, durfte nicht gedeutelt werden. Allerdings war das Protokoll der 60er-Konferenz im Westen schon seit Beginn der 80er Jahre bekannt. Das mag der eigentliche Grund dafür gewesen sein, daß sich Mitarbeiter des IML 1990 – inzwischen Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung (IfG) – beeilten, dieses Dokument zu veröffentlichen. Der mit einer Einleitung von Hans-Joachim Krusch und Andreas Malycha versehene Band enthält auch das Protokoll der zweiten 60er- Konferenz, die am 26. Februar 1946 stattfand. Zu diesem Zeitpunkt war auch Grotewohl bereits ein glühender Verfechter der Einheit der Arbeiterklasse. Spätestens da wurde klar, daß „Brüder in eins nun die Hände“ auf der unmittelbaren Tagesordnung stand.

Genauso interessant wie die Dokumente liest sich heute die Einleitung von Krusch und Malycha dazu. Sie widerspiegelt einen Teil der Metamorphose, die beide – insbesondere aber Malycha – durchliefen, ein Wandel, der sehr viel Ähnlichkeit mit einem Salto mortale hat. Über der Darstellung der von den beiden Autoren publizierten Elaborate zum Thema SED-Gründung vor 1989 soll schon aus christlicher Nächstenliebe der Mantel des Schweigens gehüllt bleiben. Aber die Einschätzungen aus dem Jahre 1990 sind aus der Perspektive späterer Veröffentlichungen durchaus lesenswert: „Dem Zusammenschluß der beiden Arbeiterparteien gingen demokratisch vorbereitete ordentliche Parteitage der KPD und SPD voraus, auf denen die Delegierten über die Vereinigung und die zur Entscheidung unterbreiteten Dokumente abstimmten.“ Zu den Ursachen für den Wandel vor allem der Sozialdemokraten zwischen der ersten und zweiten 60er-Konferenz heißt es zusammenfassend: „Wenngleich der Ablauf der Vorgänge in der sozialdemokratischen Führung nicht exakt verfolgt werden kann, so lassen doch die zur Verfügung stehenden Quellen den Schluß zu, daß das Einschwenken des Zentralausschusses (der SPD, AM) auf den starken Druck von unten und das Verhalten Kurt Schumachers zurückzuführen ist.“ Den von Grotewohl auf der ersten 60er-Konferenz angesprochenen Meinungsumschwung innerhalb der KPD vom Frühjahr 1945 bis zum Herbst widmen sie nur wenig Aufmerksamkeit.

Nun könnte man einwenden, daß zu diesem Zeitpunkt die Dokumente, aus denen hervorgeht, daß Stalin im Frühjahr die deutschen Kommunisten zurückgepfiffen hatte und strengstens Vereinigungsbestrebungen mit der Sozialdemokratie untersagte, noch nicht bekannt waren. Auf die Rolle der Sowjetischen Militäradministration und deren bewußte Einflußnahme auf den Vereinigungsprozeß im Interesse der Kommunisten hatte jedoch Grotewohl im Dezember 1945 bereits hingewiesen. Krusch und Malycha schreiben jedoch: „Noch schwieriger ist es zu erhellen, wie sowjetische Sicherheitsorgane gehandelt, inwieweit sie in der Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechern zugleich auch politische Opponenten der Besatzungspolitik ausgeschaltet haben.“

Über die konzeptionellen Grundlagen der Politik der KPD in der Sowjetischen Besatzungszone liegen inzwischen eine Reihe von Dokumentenbänden vor. „Nach Hitler kommen wir“, lautet der durchaus zutreffende Titel einer Dokumentation, die den Zeitraum von 1944/45 behandelt. Die darin veröffentlichten Dokumente stammen ebenfalls aus dem ehemaligen IML, das heißt aus dem Parteiarchiv der SED. Wie Malycha und Krusch stammen auch zwei der drei Herausgeber dieses Bandes aus dieser Parteieinrichtung. Mit ihnen hat sich der westberliner Politologe Manfred Wilke zusammengetan, der die gemeinsame Arbeit an diesem Band als „gesamtdeutsches Pilotunternehmen“ deklarierte.

Was die Haltung zur Sozialdemokratie anbetrifft, so zeigen die Dokumente eindeutig, daß wenig Raum für eine tatsächliche Annäherung beider Parteien bestand. Mitnichten hatte die KPD ausweislich der von Peter Erler, Horst Laude und Manfred Wilke veröffentlichten Dokumente im Sinn, was Krusch und Malycha festzustellen glaubten: „Beide Parteien durchliefen dabei einen großen Lernprozeß, der zu einer Annäherung ihrer Standpunkte führte.“

Malycha selbst liefert die schlagenden Beweise dafür, wie unhaltbar diese und weitere von ihm und Krusch noch 1990 vertretene Thesen sind. Der von ihm 1995 edierte Dokumentenband ist zweifellos die fundierteste Quellensammlung zur SED-Bildung. Obwohl die Aktenstücke vor allem die Haltung der SPD betreffen, so finden sich hier auch plausible Antworten auf die bereits angedeuteten Fragestellungen. In einem ausführlichen Vorwort geht Malycha auf sie ein. Von seinen Einschätzungen aus dem Jahre 1990 hat er sich geradezu atemberaubend entfernt.

Jetzt können wir bei ihm lesen: „Wie stark die Entscheidung der Sozialdemokraten von dem Glauben an eine Einheitspartei mit freiheitlich-demokratischem Charakter unter sozialdemokratischem Einfluß auch immer beeinflußt waren, reale Bedingungen zur Umsetzung derartiger Zielvorstellungen existierten aufgrund der stalinistischen Vorprägung der SED nicht.“ Das heißt im Klartext, zu keinem Zeitpunkt nach Kriegsende bestanden realistische Bedingungen für eine tatsächliche Vereinigung von zwei gleichberechtigten Arbeiterparteien in der Ostzone.

Die Gründe werden aus den Dokumenten deutlich. Gerade die Archivalien aus den Regionalarchiven zeigen dies, die Malycha in mühevoller Kleinarbeit gesichtet hat. An der Basis glaubten sich die Kommunisten oftmals keinen Zwang antun zu müssen. Der Grund dafür, weshalb Fechner im Frühjahr die Abfuhr erteilt bekam, bestand darin, daß die Kommunisten zunächst die entscheidenden Positionen in der Verwaltung, aber auch in den gesellschaftlichen Organisationen besetzen sollten. Parallel dazu trieben sie den Differenzierungsprozeß innerhalb der Sozialdemokratie voran. Die sich der KPD-Linie widersetzenden Mitglieder der SPD wurden systematisch isoliert.

Selbstverständlich war der entscheidenste Faktor bei diesen Bemühungen, die umfangreiche Unterstützung durch die sowjetische Militäradministration. Die Dokumente legen ein beredtes Zeugnis dafür ab, wie skrupellos die sowjetische Besatzungsmacht die KPD auf allen Ebenen unterstützte und welche Schwierigkeiten demgegenüber den Sozialdemokraten gemacht wurden.

Der sowjetische Druck war auch der wichtigste Grund, weshalb Grotewohl zwischen der ersten und zweiten 60er-Konferenz umfiel und schließlich mit fliegenden Fahnen in das Lager der Erzfeinde der Sozialdemokraten – als nichts anderes erwiesen sich die Kommunisten in der SED – überging.

Angesichts der doch erdrückenden Beweise für die rücksichtslose Vereinnahmung der Sozialdemokraten durch die Kommunisten in der SED, wie sie bei Malycha deutlich wird, verwundert es schon, wenn ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter des IML beziehungsweise des Instituts für die Geschichte der Arbeiterbewegung (IfG), immerhin der ehemalige Direktor, Günter Benser, den Titel seiner kleinen Broschüre „Zusammenschluß von KPD und SPD 1946“ nennt.

Er hat Protokolle der KPD mitherausgegeben, in denen es auch um die SED-Gründung geht. Im Gegensatz zu seinen ehemaligen Kollegen hat Benser keine Metamorphose durchlaufen. Er räumt zwar selbstkritisch ein, daß die Deutungen der SED-Gründung nach parteipolitischen Gesichtspunkten in der DDR erfolgte, aber von Zwangsvereinigung könne keine Rede sein: „Von den Intentionen her war der Zusammenschluß von KPD und SPD zu einer sozialistischen Einheitspartei der Versuch, einen Irrweg deutscher Geschichte zu beenden.“ Selbstverständlich versteht sich Benser unter den neuen Bedingungen nicht etwa nur als Historiker, sondern in erster Linie als Mitglied einer Partei. Ganz entrüstet hat er jüngst in einem offenen Brief an den Vorsitzenden der Historischen Kommission der SPD die Teilnahme an einer Diskussion zum Thema SED-Gründung abgesagt, weil er sich politisch mißbraucht glaubt: „Ich fühle mich an einen Umgang erinnert, dem ich als DDR-Bürger von westdeutscher Seite häufig ausgesetzt war: Als Mensch sind Sie uns willkommen, Ihre Gremien können wir allerdings nicht akzeptieren oder respektieren.“

Hinter dem Pathos des Parteisoldaten verbirgt sich aber möglicherweise etwas ganz anderes. So berichtete am 6. Februar 1961 ein damals noch kleiner Mitarbeiter des IML der Partei- und Staatsführung über seine Erlebnisse während einer von ihm gehaltenen „Lektion über die Gründung der SED“. Er habe dabei erfahren müssen, daß sich bei einigen Genossen „Unklarheiten“ über die Rolle der SPD gezeigt hätten: „Diese Genossen, die nicht aktiv an der Parteiarbeit teilnahmen, hatten offensichtlich die Entwicklung von 1945/46 auch heute noch nicht begriffen. Sie äußerten, nur deshalb in unserer Partei zu sein, weil bei uns keine SPD existiert.“

Der Lektor für Vereinigungsgeschichte glaubte sich bei der Parteiführung offenbar dafür entschuldigen zu müssen, den Dingen nicht auf den Grund gegangen zu sein. „Da ich zum Zug mußte, konnte ich nicht in Erfahrung bringen, wie diese Fragen in der Parteiorganisation des Betriebes geklärt wurden.“ Die Parteispitze wird nach diesem Bericht dann schon dafür gesorgt haben. Immerhin steht neben Walter Ulbricht im Verteilerschlüssel des Dokumentes auch die Zentrale Parteikontrollkommission. Der Autor der Information war Günter Benser.

Wie heißt es doch so schön, in der von ihm verfaßten Erklärung der Historischen Kommission der PDS „Zum 50. Jahrestag des Zusammenschlusses von KPD und SPD“: „Wir haben alle die erfreulichen wie die unbequemen und beschämenden historischen Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen. Wir dürfen nichts beschönigen, aber wir brauchen auch einem antikommunistischen und antisozialistischen Zeitgeist keinen Tribut zollen.“

„Einheitsdrang oder Zwangsvereinigung. Die Sechziger-Konferenzen von KPD und SPD 1945 und 1946“. Dietz Verlag, Berlin 1990, 276 Seiten.

„Nach Hitler kommen wir“. Dokumente zur Programmatik der Moskauer KPD-Führung 1944/45 für Nachkriegsdeutschland. Hg. Peter Erler, Horst Laude, Manfred Wilke, Akademie Verlag, Berlin 1994, 426 Seiten.

Andreas Malycha: „Auf dem Weg zur SED. Die Sozialdemokratie und die Bildung einer Einheitspartei in den Ländern der SBZ“. Verlag J. H. W. Dietz-Nachfolger, Bonn 1995.

„Dokumente zur Geschichte der kommunistischen Bewegung in Deutschland. Reihe 1945/46. Bd. 3, Protokoll der Reichsberatung der KPD 8./9. Januar 1946“. Hg. Günter Benser und Hans-Joachim Krusch, K. G. Saur, München, New Providence, London, Paris 1995, 553 Seiten.

Günter Benser: „Zusammenschluß von KPD und SPD 1946. Erklärungsversuche jenseits von Jubel und Verdammnis“. hefte zur ddr-geschichte 27, Berlin 1995, 52 Seiten.

Armin Mitter, Jahrgang 1953, ist Historiker und war Mitglied der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Er veröffentlichte unter anderem (zusammen mit Stefan Wolle) „Untergang auf Raten. Unbekannte Kapitel der DDR-Geschichte“. München 1993.