Point 'n' Click: Puffreis und Plastiktrash
■ Offensive der computeranimierten Comic-Adventures: „Chewy – Esc von F5“
Da lacht das Douglas-Adams- kompatible Humorverständnis: eine intergalaktische Springratte, die wirklich alles (am liebsten Metall) frißt und deren Blähungen der Schrecken des Universums sind. Die Verdauungsstörungen des sonderbaren Tierchens retten am Ende sogar die Menschheit vor der Versklavung durch die bösen Borks: extraterrestrische Krautköpfe mit roten Glubschaugen, Reißzähnen und Urgeräusch-Kommunikation.
In dem parodistischen Science- fiction-Adventure „Chewy – Esc von F5“ wechseln sich, comedy- technisch gesehen, originelle und vorhersehbare Scherze, subtile und platte Gaga-Einlagen munter ab. Das Drehbuch des Games wirkt jedenfalls so, als habe man alles, was einem beim bierseligen Pointen-Brainstorming eingefallen ist, in das Spiel eingebaut (kann ja auch seinen Reiz haben): Die Skurrilitäten-Palette des Comic-Kosmos reicht vom philosophierenden Computer-Terminal, das sich zum Atheismus bekennt („Ich weiß heute, daß Bill Gates nie existiert hat“), bis zur B-Film- Actrice, deren Karriere als „Scream Queen“ aufgrund einer Schrei-Blockade gerade einen Durchhänger hat.
Der Held des Adventures ist ein pinkfarbener außerirdischer Gnom namens Chewy, den man schon deshalb mögen muß, weil sein sehnlichster Wunsch ein Lendenschurz mit zwei großen Taschen ist. Ähnlichkeiten mit einem sitcom-altgedienten Zottelwesen vom Melmac sind nicht von der Hand zu weisen, auch wenn Chewys coole Sprüche nicht immer Alf-Qualität erreichen. Allerdings kann Chewy mit exotischeren Schauplätzen als der Tannerschen Wohnhölle aufwarten: Nach gelungener Flucht von der Borks-Homebase, dem Planeten F5 (so erklärt sich auch der kryptische Untertitel), verschlägt es den rosaroten Sternenkobolt in irdische Gefilde, wo ihm die bizarre Handlung so unterschiedliche Locations wie ein ländliches Kürbisfest, ein kakerlakenverseuchtes Hotelzimmer, ein Fernsehstudio oder eine Western-Geisterstadt beschert (die genretypischen Puzzles sind trotz verdrehter Logik für Adventure-Profis etwas zu leicht geraten!). Im Dschungel von Amazonien entdeckt der kosmische Pink-Panther-Ersatz sogar eine Maya-Pyramide, in der er immerhin Dänikens Die-Götter-waren-Astronauten-Theorie verifizieren kann.
Mit „Chewy“ startet gewissermaßen eine Offensive deutscher Softwarefirmen in Sachen witziges Comic-Adventure. Das in Mülheim/Ruhr ansässige Blue- Byte-Label, durch Spiele wie „Battle Isle“ oder „Die Siedler“ bislang eher den Strategie-Fans bekannt, lehnt sich bei seinem ersten Gehversuch allerdings noch recht eng an die Genre-Vorbilder aus den USA an. So ist die stilistische Orientierung an dem LucasArts-Hit „Day of the Tentacle“ unübersehbar: expressionistisch- schräge Comic-Graphik meets Zeichentrick-Slapstick à la Tex Avery. Auch „Chewy“ zitiert in den zahlreichen, animationstechnisch hervorragend umgesetzten Zwischensequenzen ausgiebig die Standardfloskeln des Großmeisters der klassischen Warner- Brother-Cartoons um Bugs Bunny, Daffy Duck & Co. (weggeschossene Köpfe, die sofort wieder nachwachsen etc.). Darüber hinaus finden sich ganze Szenen mit Déjà-vu-Effekt, etwa wenn sich unser pinkfarbener Held an einem schlafenden Hofhund vorbeischleichen muß, der seine Zähne im Wasserglas neben der Hundehütte aufbewahrt.
Das grundsätzliche Gestaltungsprinzip aller Adventures – pure Aneinanderreihung grotesker Episoden, beliebige Folge absurder Situationen, durch Rätselaufgaben miteinander verknüpft – wird in „Chewy“ weiter auf die Spitze getrieben. Das Game entwickelt auch nicht mehr ansatzweise eine Geschichte, die ganzen Effekte dienen einzig dazu, eine durch aberwitzige Sprünge, waghalsige Wendungen gekennzeichnete Handlung in Gang zu halten. Fortgang – Bewegung ist alles; die Spannung des Spielers speist sich unmittelbar aus der Neugier auf den nächstfolgenden Schauplatz: „Wie groß ist die Stadt?“ – „Etwa 15 Locations“. – „Oh, da haben wir ja 'ne Menge Arbeit.“
Auch wenn nicht jeder Gag zündet: „Chewy“ hat für mich den Charme einer Wundertüte, in der prinzipiell alles drin ist: genialer Plastik-Trash und Puffreis (als Pointen-Füllmaterial). Den Puffreis nimmt man gern in Kauf (keine Wunder ohne Puffreis!) – werden einem doch im Gegenzug Leckerbissen wie diese angeboten: Die Eroberung der Erde feiern die Borks mit einem psychedelisch angehauchten Punkkonzert. In einer Kneipe im Dschungel stolpern wir über den liebeskranken Indiana-Jones-Verschnitt Indigo rown, der mit Helge-Schneider-artiger Sprachausgabe ewige Lieblingssätze wie „Barkeeper, noch 'n Eimer Tequila!“ von sich gibt. Ulrich Hölzer
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