: Mit Härte gegen Frauen
■ Schnelle Scheidung: Zwei Frauen sollen zurück in die Türkei – wo sie niemand will
Wenn Esin an die Zukunft denkt, schießen ihr unwillkürlich Tränen in die Augen. „Alle sagen mir, es hat keinen Sinn, in die Schule zu gehen, weil ich bald wieder weg muß“, sagt die zierliche 20jährige. „Weg“, das heißt zurück in die Türkei. Trotzdem geht Esin jeden Tag zur Schule. Vor kurzem hat sie den Hauptschulabschluß bestanden, nun paukt sie für den Realschulabschluß. Ob sie den aber machen kann, das ist so ungewiß wie der Rest ihrer Zukunft: Die junge Türkin ist nach kurzer Ehedauer vor ihrem gewalttätigen Mann geflüchtet. Nun steht sie vor einem Scherbenhaufen: „Meine Eltern wollen mich nicht zurück. Eine geschiedene Tochter verletzt ihre Ehre.“ In Deutschland bleiben darf sie aber auch nicht – weil die Ehe keine drei Jahre bestand. SozialarbeiterInnen schimpfen: „Die Frauen haben die Wahl, sich prügeln zu lassen oder zu den Eltern zurückzukehren, die sie womöglich bestrafen.“
Vor gut zwei Jahren bekam Esins Leben die ersten dicken Risse: Ihre Eltern und Schwiegereltern einigten sich über ihre Verheiratung – gegen Esins Willen. „Ich wollte meine Ausbildung zu Hause abschließen“, sagt Esin. Aber dann habe sie den Schlägen der Eltern nachgegeben. Es folgte die Hochzeit mit einem 23jährigen aus Vegesack, für den Esin bis dato wie für einen Bruder empfand. Das änderte sich, kaum daß sie den Fuß in seine Wohnung gesetzt hatte. „Gleich am ersten Tag hat er mich geschlagen.“ Nach ein paar Monaten flüchtete die junge Frau blaugeschlagen vor ihrem Mann und seinem Messer.
Ausländerrechtlich betrachtet verspielte sie damit ihr Aufenthaltsrecht. Hätte Esin den Ehemann nicht wegen schwerer Körperverletzung angezeigt, wäre sie vielleicht schon wieder in der Türkei. „Ohne Ausbildung, als geschiedene Frau.“ Dank der Strafanzeige gegen den Ehemann darf Esin bis zur Gerichtsverhandlung bleiben. Weil man die Strafverfolgung nicht durch eine Abschiebung vereiteln dürfe, findet Dieter Trappmann, der Leiter der Bremer Ausländerbehörde. Auch er steht dem Paragrafen 19 des Ausländergesetzes kritisch gegenüber. „Es dürfte angebracht sein, die Härte, die darin liegt, zu ändern“, sagt Trappmann. Ihm sind eine Reihe von Fällen bekannt, in denen Frauen verfolgt wurden, weil man ihnen unterstellt, sie hätten den strengen Ehrenkodex der Heimat gebrochen.
Yasemin könnte so ein Fall werden. Wie Esin hat sie den Weg zur Grohner Unterstützergruppe gefunden. Zu ihr gehört auch die Sozialarbeiterin Nihail Homburg. „Allein im Bürgerhaus Vegesack sucht einmal pro Monat eine junge Frau in ähnlicher Situation Hilfe“, berichtet sie. Die Zahl der Frauen, die einfach in die Heimat zurückgeschoben würden, ohne daß jemand von deren Schicksal erfahre, liege jedoch um ein Vielfaches höher. „Die Frauen schämen sich doch für ihr Unglück.“
Das sieht man Yasemin an. Zusammengesunken sitzt sie im Grohner Bewohnertreff. Deutsch spricht sie kaum. Vor knapp zwei Jahren war sie dem Ehemann gegen den Willen der eigenen Eltern nach Deutschland gefolgt. Doch der Traummann und seine Familie erwiesen sich als ein wahrer Schlägertrupp. Yasemins FreundInnen bestätigen, die ganze Familie sei über die 23jährige hergefallen. Die verlor deswegen ein Kind. „Aber sie hat im Krankenhaus nichts gesagt. Sie wollte sich doch mit ihrem Mann wieder versöhnen.“
Pech für die junge Frau, daß das Gesetz eine Versöhnungsfrist für junge TürkInnen nicht zuläßt: Mit dem Datum des Auszugs gilt die Ehe als getrennt. Dann könne das Ausländeramt eine bereit gewährte Aufenthaltserlaubnis abkürzen, bestätigt Trappmann. Genau das droht Yasemin: Kaum hatte sie bei Freunden Unterschlupf gefunden, seien Mann und Schwiegervater zur Ausländerbehörde gelaufen, um zu melden, daß sie ihn verlassen habe.
Mit Hilfe deutscher Behörden werde ein Frauenrecht massiv verletzt, kritisiert die Grohner Gruppe. „In manchen Kreisen ist es ein offener Tip, daß man mit Hilfe der Behörde seine Frau schnell los wird“, sagt auch Peter Wührmann vom Grohner Bewohnertreff. a ede
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