Immer mit offenen Karten gespielt

Hans Koschnick ist als EU-Verwalter von Mostar zurückgetreten. Seine hemdsärmelige Art verschaffte ihm viele Sympathien bei der Bevölkerung, nicht aber bei den Regierungen  ■ Aus Mostar Erich Rathfelder

Etwas genervt erklärte Hans Koschnick in dieser Woche, seine Mission sei jetzt erfüllt. Mostar sei jetzt eine wiedervereinigte Stadt. Die gemeinsame Verwaltung aber müßten jetzt andere aufbauen.

Ohne Zweifel hat Koschnick als Administrator der vom Krieg zerrissenen Stadt Mostar Respektables vollbracht. Wer den sensiblen Politiker aus der Nähe kennt, weiß aber, daß die Umstände, die zu seinem Rückzug führten, ihn schmerzen müssen. Er, der in Mostar als „ehrlicher Makler“ immer mit offenen Karten gespielt hat, mußte erleben, daß wiederholt hinter seinem Rücken gehandelt wurde. Von dem kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman, von den Vertretern der Europäischen Gemeinschaft und auch von der Regierung in Sarajevo.

Als Hans Koschnick im Juli 1994 sein Amt antrat, verbanden sich mit ihm als Person große Hoffnungen auf allen Seiten. Vielerlei an seiner Ernennung war bemerkenswert: zuerst einmal, daß ein Deutscher für diesen Posten auserwählt wurde. Damit wurde die deutsche Politik offen in die internationale Verantwortung für Bosnien-Herzegowina einbezogen. Und zweitens wurde mit Koschnick ein erklärter Antifaschist benannt, der aus dem Aufstieg und Zusammenbruch des deutschen Nationalismus geistige und politische Konsequenzen gezogen hatte. Seine Person, seine politisch-moralische Haltung, schien dazu geeignet, die schwierige Aufgabe zu bewältigen, Mostar wieder zu vereinen, ein „geordnetes“ Nebeneinander bis hin zum „Miteinander“ der Bevölkerungsgruppen zu schaffen.

Gleichzeitig galt er als ein Politiker, der als ehemaliger Bremer Bürgermeister den Wiederaufbau seiner Heimatstadt an verantwortlicher Stelle mitbetrieben hatte. Seine reichhaltige Verwaltungserfahrung sollte zudem einem anderen Experiment zugute kommen. Denn mit dem Aufbau einer Verwaltung der Europäischen Union außerhalb der eigenen Grenzen wurde organisatorisches Neuland betreten. Künftig wirkten Menschen aus mehr als 12 Nationen an der Verwaltung mit. Das Sprachengewirr im Hotel Ero in Mostar – dem Hauptquartier der europäischen Verwaltung – verbreitete ein Flair, das zugleich zum Programm erhoben wurde: Die Stadt Mostar sollte ihre multikulturelle Identität zurückgewinnen.

„Ich will kein Protektor, sondern Administrator sein“, hatte Koschnick bei einem ersten Besuch im Mai 1994 gesagt. Er setzte auf die Rationalität, die Vernunft, den Wunsch aller Beteiligten, neu zu beginnen. Die ausgemergelten Menschen in Ostmostar, die fast ein Jahr lang von kroatisch-bosnischen und serbisch-bosnischen Truppen eingeschlossen gewesen waren, die verwüstete Altstadt, die zerschossene „Stari Most“ – die berühmte, von den Osmanen gebaute, hochgeschwungene Brücke über der Neretva – die Massen von Flüchtlingen auf beiden Seiten, all diese beschwerlichen Hinterlassenschaften eines Krieges sollte Koschnick zum Besseren wenden.

Auch im Westen – dem kroatisch dominierten Teil der Stadt – griff Kriegsmüdigkeit um sich. Denn die kroatisch-bosnischen Truppen HVO waren während des „Krieges im Kriege“ 1993/94 an vielen Fronten in Zentralbosnien von der bosnischen Armee geschlagen worden. Diplomaten der USA und auch Deutschlands versuchten Ende 1993 dem kroatischen Präsidenten Tudjman, der bisher die bosnisch-kroatische Führung zum Kriege ermuntert hatte, von seinem Kurs abzubringen. Nach dem Versprechen, die beiden Mächte würden Kroatien helfen, die Kontrolle über die serbisch-besetzten Gebiete in Kroatien zurückzuerlangen und gleichzeitig Kroatien näher an die Europäische Union rücken, gab Tudjman nach. Der Weg zum Waffenstillstand zwischen Kroaten und „Bosniaken“, wie sich die Muslime zu nennen begannen, war frei.

Mit dem „Washingtoner Abkommen“, das im März 1994 unterschrieben wurde, war eine „bosniakisch-kroatische Föderation“ in Bosnien-Herzegowina ins Leben gerufen worden. Mit der Bildung dieser Föderation sollte nach Wunsch der Amerikaner ein Gleichgewicht der Kräfte hergestellt werden. Langsam sollte die serbische Kontrolle über ein Drittel Kroatiens und über 70 Prozent der Fläche Bosnien-Herzegowinas zurückgedrängt werden. Gegen die Widerstände aus der UNO, Großbritanniens und Frankreichs, begann die amerikanische Seite, sogar Kroatien und Bosnien militärisch zu unterstützen. Die USA und die Europäer waren in bezug auf Mostar in einem tatsächlich einer Meinung: Würde es hier gelingen, Kroaten, Bosniaken und auch Serben wieder zusammenzubringen, dann wäre die bosniakisch-kroatische Föderation zu wirklichem Leben erweckt worden. Und darüber hinaus, so die hochfliegende Interpretation, auch ein Weg zum Frieden für die gesamte Region gewiesen.

Koschnick kannte diesen Zusammenhang und die damit verbundenen Hoffnungen natürlich. Einen Beitrag zum Frieden in der Region zu leisten, reizte ihn ungemein. Er stürzte sich in die Arbeit. Seine hemdsärmelige Art schaffte ihm bald Sympathien bei der Bevölkerung auf beiden Seiten der geteilten Stadt. Die ersten Maßnahmen der neuen Administration waren darauf gerichtet, das alltägliche Leben in der zerstörten Stadt überhaupt erst wieder in Gang zu bringen. Vor allem im Ostteil fehlte es am Grundlegenden: Es gab kein Wasser und keinen Strom, zu wenig Lebensmittel. Die Dächer von 90 Prozent der Häuser der Altstadt waren beschädigt und mußten für den Winter erneuert werden, Heizmaterial mußte herangeschafft werden. Und tatsächlich wurden die Schulen renoviert, die Krankenhäuser verfügten endlich wieder über die nötigsten Medikamente. Die internationalen Hilfsorganisationen unterstützten die Arbeit der Administration mit medizinischer Hilfe, dem Aufbau von Flüchtlingslagern, technischer Hilfe bei der Instandsetzung der Infrastruktur, Freizeitangeboten für Jugendliche, Hilfe für Frauen, psychologischer Betreuung für traumatisierte Kriegsopfer. Und: Koschnick machte ernst mit dem Bau einer Brücke zwischen dem Ostteil und dem Westteil der Stadt.

Doch dann kam der erste Querschuß. Buchstäblich. Im September 1994 zerstörte eine Panzerabwehrrakete einen Teil seines Wohntraktes im Hotel Ero. Nur der Umstand, daß er sich noch spät abends im Restaurant aufgehalten hatte, rettete sein Leben. Der Schuß war wohlgezielt und kam von der kroatischen Seite. Zufall? Das Werk einzelner? Tatsache ist jedenfalls, daß den kroatischen Extremisten in der Führung der sogenannten „kroatischen Republik Herceg-Bosna“ die Aktivitäten der EU-Administration zu weit gegangen waren. Sie erkannten, daß die EU-Administration es ernst meinte mit dem Anspruch, die Stadt zusammenwachsen zu lassen. Die kroatischen Extremisten hatten jedoch für die Teilung der Stadt gekämpft. Die muslimische und katholische Bevölkerung sollte „entmischt“ werden. Mehr als 10.000 Muslime waren während des Krieges über die Demarkationslinie vom Westen nach Osten getrieben worden. Ihr Eigentum war von den Radikalen und Kriminellen geraubt, ihre Wohnungen waren kroatischen Flüchtlingen aus Zentralbosnien zugewiesen worden.

Während die muslimische Führung in Ostmostar an der Vision einer gemeinsamen Stadt festhielt, sollte Westmostar in der Vorstellung der kroatischen Extremisten zur Hauptstadt von „Herceg- Bosna“ ausgebaut werden. Der Schuß gegen Koschnick zielte deshalb auch gegen den eigenen Präsidenten Krešimir Zubak. Der gemäßigte Politiker hatte als Präsident der bosniakisch-kroatischen Föderation die Aufgabe, die Spannungen abzubauen. Er war kompromißbereit. Der Aufbau der Föderation wurde aber von den Radikalen systematisch sabotiert.

Das Klima für die EU-Administration wurde härter, der Anfangselan war verflogen, die Projekte zum Wiederaufbau der Stadt jedoch liefen weiter. Erhebliche Finanzmittel wurden in Brüssel lockergemacht, an die 300 Millionen Mark. Angesichts der Machtstrukturen in der Stadt vermißte Koschnick eigene Machtmittel zur Durchsetzung seiner Politik. Zwar war ihm in Brüssel der Aufbau einer Europolizei zugesagt worden – knapp 200 Polizisten der Westeuropäischen Union wurden tatsächlich tätig – doch diese hatten nur beratende Funktion. Sie konnten bei Konfliktfällen nur eingreifen, wenn die Polizisten beider Seiten zur Zusammenarbeit bereit waren. Wie sollte da der kriminelle Untergrund in der Stadt wirksam bekämpft werden können? Mehr noch als im Osten beinflussen im Westteil der Stadt Kriminelle bis heute die Politik, sie sind mit den nationalistischen Extremisten aufs engste verflochten.

Koschnick verteidigte dennoch die Konstruktion der Europolizei: Noch immer hoffte er darauf, daß sich die Vernunft durchsetzen würde, daß die große Politik das Funktionieren der Föderation erzwingen würde. „Ich kann und will nicht als Diktator auftreten“, erklärte er im vorigen Jahr.

Doch als Demokrat konnte er es auch nicht. Auf beiden Seiten verfestigten sich die Strukturen. Die Massenmedien beider Seiten führten Propagandakriege, Schulen, Universitäten, Theater und selbst Krankenhäuser blieben getrennt. Nicht einmal die erfolgreiche gemeinsame Militäraktion gegen die Karadžić-Serben im Sommer 1995 änderte etwas für Mostar. Die Teilung wurde verfestigt, nicht aufgehoben. In beiden Teilen blieben die autoritären, ja totalitären politischen Strukturen bestehen. Im Westen hat nur die kroatische HDZ das Sagen, im Osten zunehmend die Muslimpartei SDA. Im Osten, aber mehr noch im Westen wurden die demokratischen Alternativen unterdrückt. Die Administration ließ es sogar zu, daß die Bevölkerung von Westmostar im Oktober 1995 an den Wahlen für einen anderen Staat, den Wahlen in Kroatien, teilnehmen konnte.

Erst mit den Verhandlungen in Dayton schien sich ein Befreiungsschlag anzubahnen. Koschnick bestand auf dem Konzept einer einheitlichen Stadt im Rahmen einer gemeinsamen, bosniakisch-kroatischen Föderation. Der Kompromiß, der schießlich Gestalt annahm, sah jeweils drei muslimische und kroatische Bezirke und eine gemeinsam zu verwaltende zentrale Zone vor. Koschnick wurde zu einem Schiedsspruch über die strittigen Punkte aufgefordert, die mit der Größe der gemeinsamen Zone zusammenhingen. Als er dies am 7. Februar tat, organisierte die Westseite eine Demonstration. Die Bilder vom EU-Verwalter, der – im kugelsicheren Auto – von einer lynchbereiten Menge umgeben war, gingen um die Welt. Die kroatische Seite zeigte, daß sie mit Koschnick nicht mehr zusammenarbeiten wollte.

Und der kroatische Präsident Tudjman ergriff die Gelegenheit, bei einem Besuch der italienischen Außenministerin Susanna Agnelli in Zagreb deutlich zu signalisieren, daß Kroatien einen Personalwechsel in Mostar anstrebte. Trotz aller Bekundungen der Solidarität von seiten der internationalen Politiker und Militärs wurden schon vor den Verhandlungen in Rom am 17. und 18. Februar die Weichen gestellt: Ohne Koschnick zu informieren, einigten sich die Führungen in Zagreb und Sarajevo auf ein neues Modell für die gemeinsam zu verwaltende Zone in Mostar. Die Parteien versprachen sich die gegenseitige Respektierung der jeweiligen Machtbereiche. Der ostmostarer Bürgermeister Safet Orućević, der ebenfalls überrumpelt wurde, wollte deshalb zurücktreten. Er wurde von Izetbegović zurückgepfiffen.

Die Grenzen werden vielleicht jetzt sogar durchlässig werden. Blockaden werden abgebaut. Das von Koschnick angestrebte „Miteinander“ jedoch ist in weite Ferne gerückt, ein Zusammenwachsen der Bevölkerung wird es in absehbarer Zeit nicht mehr geben, die Rückkehr der Vertriebenen ist in weite Ferne gerückt. Und all das geschah offenbar mit dem Segen der EU-Präsidentschaft. Da die ursprüngliche Vision der Vereinigung Mostars aus Gründen der „Realpolitik“ von der Europäischen Union nicht mehr gestützt wurde, handelte Koschnick nur konsequent: Er trat vorzeitig von seinem Amt zurück. Und mit ihm ein Teil seines Stabs.