Fakten lernen laufen

■ "Links, rechts - Information muß in alle Richtungen kritisch sein." Lilli Gruber moderiert "Focus-TV" (21.00 Uhr, Pro7)

taz: „Focus“-Chef Helmut Markwort hat einmal gesagt, heute brauche man Courage, als Journalist nicht links zu sein. Er sprach von einem „moralischen Überwachungsverein“ aus „Süddeutscher Zeitung“, „Spiegel“, „Frankfurter Rundschau“ und taz. Sie gelten als linke Journalistin. Wie kommt es, daß Sie jetzt für ihn arbeiten?

Lilli Gruber: Für Markworts Aussagen bin ich nicht zuständig. Ansonsten könnte ich sagen, daß Herr Markwort seine Liebe zur Dialektik und zum Pluralismus gerade damit beweist, daß er eine Journalistin anstellt, die anscheinend linksgerichtet ist. Aber ich möchte noch hinzufügen, daß ich nicht gelabelt werden will. Das liegt mir sehr am Herzen. Links, rechts – Information muß in alle Richtungen kritisch sein. Das ist es, was ich seit fünfzehn Jahren versuche. Manchmal gelingt es, manchmal gelingt es nicht. Aber man muß die intellektuelle Fairneß und Ehrlichkeit haben, zumindest den Versuch zu unternehmen.

Haben Sie denn als Moderatorin in der „Focus-TV“-Redaktion Einfluß auf die Themen?

Natürlich bin ich involviert in die Themenauswahl. Ansonsten hätte Herr Markwort auch einfach eine Sprecherin engagieren können. Aber das stand nie zur Diskussion.

Sie werden also Akzente setzen können, auch bei der Bewertung der Themen?

Ich hoffe es. Ich werde.

Wenn sich in Deutschland bekannte Journalisten bei einem Privatsender engagieren, dann ist oft ein sehr hohes Honorar der Grund.

Ich habe diese Arbeit nie wegen des Geldes gemacht, sonst wäre ich schon längst in Italien zu einem Privatsender gegangen. Ich glaube, daß man diesen Beruf nicht des Verdienstes wegen ausüben sollte, obwohl ich doch weiß, daß man als Fernsehjournalist sehr viel Geld machen kann. Mich hat die Möglichkeit gereizt, grenzüberschreitend arbeiten zu können. Alle reden vom vereinten Europa, von der globalen Kommunikation, von der Multimedialität der Medien. Das sind Dinge, die passieren nicht im Jahre 3000, sondern übermorgen. Ich glaube, das ist auch ein ganz kleiner Versuch, ein Europa der Kommunikation aufzubauen.

Das versuchen auch andere. Obwohl Thomas Kirch einen großen Teil seiner Pro7-Anteile abgegeben hat, sprechen viele doch immer noch von einem großen Einfluß der Familie Kirch auf den Sender: Pro7-Geschäftsführer Kofler war Büroleiter bei Leo Kirch, Kirch senior wiederum hat Beteiligungen an Unternehmungen Berlusconis, den Sie immer wieder kritisiert haben.

Ich habe einen Vertrag mit „Focus TV“. Außerdem kann man die deutsche Medienlandschaft überhaupt nicht mit der italienischen vergleichen. Wir haben in Italien nach wie vor eine völlig abnormale Situation. Es gibt ein Duopol aus den öffentlich-rechtlichen Sendern auf der einen und den Privatsendern des Silvio Berlusconi auf der anderen Seite. Ich glaube, daß in Deutschland so eine Konstellation nicht möglich ist. In Italien haben wir mit dem Privatfernsehen 1976 begonnen, und 1990 ist das erste Mediengesetz erlassen worden. In Deutschland gab es vorher Gesetze, und dann erst hat man das private Fernsehen zugelassen. Insofern kann man das überhaupt nicht vergleichen.

Bedeutet das Engagement bei einem Privatsender einen grundsätzlichen Umschwung in Ihrer beruflichen Orientierung?

Ich bin nach wie vor eine Verfechterin des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Das große Problem in der nächsten Zukunft wird doch sein, wie man zuerst auf europäischer, dann auf globaler Ebene Medienkonzentrationen und Monopole verhindern kann. Wir können nur weiterhin ersuchen, uns an den Grundregeln unseres Berufes zu orientieren.

Wie ist Ihre Unabhängigkeit gesichert, wenn bei schlechten Quoten mehr Boulevardthemen gefordert werden?

Ich bin vertraglich abgesichert. Außerdem unterliegen nicht nur die Privaten dem Quotendruck. Den haben mittlerweile alle. Die Öffentlichen erst recht – Italien ist diesbezüglich Vorreiter. Die Gefahr liegt in der Gleichschaltung, die in Italien zum Teil schon passiert ist. Ich glaube auch, daß man alle Themen anschneiden kann. Es geht nur darum, wie man es macht. Ich mag keinen und mache keinen Boulevard-Journalismus. Die Quoten sollen eines unserer Mittel sein, um ein gutes Produkt zu liefern. Die Frage ist: Wollen wir dem Zuschauer wichtige Informationen mitteilen, oder wollen wir nur interessante Informationen? Heute ist es im Fernsehen schon so, daß man den interessanten Meldungen oft den Vorzug gibt. Ich bin der Meinung, es sollten die wichtigen Meldungen gebracht werden.

Was bringt „Focus-TV“, interessante oder wichtige Informationen?

Natürlich versuchen wir, beides zu machen. Manchmal wird es uns gelingen, manchmal auch nicht. Der deutsche Fernsehmarkt ist der größte in Europa. Es gibt eine so harte Konkurrenz unter den TV- Magazinen, daß es wirklich schwierig ist, sich etwas Neues einfallen zu lassen. Man kann nur limitiert Neuland betreten – nach journalistischen Kriterien betrachtet, ist es ab einem gewissen Punkt immer dasselbe: Gut recherchierte, kritische Reportagen werden eben nach bestimmten Kriterien gemacht. Da kann man noch bei der Themenauswahl oder beim Zugang phantasievoll sein, aber das ist harte Arbeit.

Ihr Vertrag mit „Focus TV“ ist auf sechs Monate befristet. Wie soll es danach weitergehen?

Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich muß erst sehen, wie sich das ganz konkret organisieren läßt. Das alles ist überhaupt erst möglich dank der Bereitschaft von RAI, mich dieses Angebot annehmen zu lassen. Die Bedingung war, daß ich weiterhin die Hauptnachrichten moderiere. Zunächst bin ich jetzt zwei Wochen lang in München, später werde ich meine zwei freien Tage in der Woche zur Verfügung stellen. Sollte die Zusammenarbeit nicht klappen, dann wird der Vertrag eben nicht verlängert. Interview: Stefan Kuzmany