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Und Struse muß zu Aldi gehen

Noch nie waren deutsche Tischtennisspielerinnen in Europa so führend wie jetzt: Doch die veränderte Marktlage bedroht ihre Profi-Existenz  ■ Von Jörg Winterfeldt

Bielefeld (taz) -Vor der laufenden Tischtennissaison wechselte Olga Nemes aus dem westfälischen Dülmen zum Lübecker Bundesligisten Team Galaxis. Das bietet Nemes (27) eine andere Dimension, da die junge Mutter im Norden im oberen Paarkreuz jedes Wochenende auf Topspielerinnen trifft. In Dülmen hätte sie als Nummer drei nur die weniger respektable Konkurrenz vorgesetzt bekommen. Weil sich ein Umzug so schnell nicht organisieren ließ, reist Nemes seither lediglich zu den Punktspielen ihrer Mannschaft an. Als sie wegen Trainingsmöglichkeiten zu Hause in Dülmen bei ihrem Ex-Verein vorsprach, witterte der finanziell schwächelnde deutsche Meister eine Gelegenheit zum Abzocken: 700 Mark im Monat habe sie zahlen sollen für die Zulassung zu den Übungsstunden, sagt Nemes.

Zwar ist sie eine von derzeit sechs weiblichen Tischtennisprofis in Deutschland, doch liegt sie weit jenseits der Größenordnungen der Männer. Bei denen kann selbst ein mittelmäßiger Bundesligaspieler noch 100.000 Mark im Jahr einstreichen. Nemes' Honorar dürfte gerade bei der Hälfte liegen und nicht ausreichen, die Ex-Kolleginnen zu subventionieren. Derzeit fährt sie dreimal die Woche nach Coesfeld und übt mit dem dortigen Drittligisten. Die Situation sei so enervierend, gesteht Europas Nummer 18, daß sie sich „diese Saison als Probezeit gesetzt habe“.

Hätte sie „die Olympiaqualifikation verpaßt“, dann wäre Nemes, die bereits mit 14 Jahren auf der internationalen Szene erschien, aus ihrem Sport ausgestiegen. Da es in Manchester unlängst aber geklappt hat, darf sie doch nun als dritte Deutsche nach Nicole Struse (24) und Jie Schöpp (28) in Atlanta in der Einzelkonkurrenz starten. Danach hat sie ihr Pensum drastisch reduziert und stieß dennoch am Wochenende bei den Deutschen Meisterschaften in Bielefeld bis ins Finale vor. Auf dem Weg dorthin fertigte sie in der Vorschlußrunde selbst die Kontrahentin Schöpp locker mit 3-0 ab und mußte sich nur der neuen Meisterin Struse mit 2-3 beugen.

Seit durch die Bosman-Entscheidung auch in Deutschland beliebig viele EU-Ausländer eingesetzt werden können, droht den wenigen deutschen Frauenprofis der Entzug der Existenzgrundlage. Forciert wird die Entwicklung durch die zunehmenden Einbürgerungen spielstarker Asiatinnen, so daß ein Überangebot an qualifizierten Spielerinnen das Gehaltsniveau „um mindestens 50 Prozent“ drücke. So kalkuliert der Langweider Manager Willi Schweinberger und bietet einer schwedischen Topspielerin 8.000 Mark, seiner Angestellten Jie Schöpp 15.000 Mark – für das ganze Jahr. Abwehrspezialistin Schöpp, Europas Nummer drei, hatte bislang fünfmal soviel kassiert und wird womöglich schon morgen, nicht zuletzt von der Dreistigkeit vergrätzt, einen Wechsel, wahrscheinlich zum Zweitligisten Andernach bekanntgeben.

Auch Nicole Struse, Europas Nummer eins, sitzt derweil mitten in ihrer Titelsammlung und hat beschließen müssen, „daß ich entweder nicht mehr Nationalmannschaft spiele oder der DTTB mir Unterstützung geben muß“. Die Vereine, fürchtet sie, „schaffen das nicht mehr alleine“. 126 Tage war sie 1995 im Dienste des DTTB unterwegs, Vereinsunternehmungen müssen noch addiert werden. Bis vor zwei Jahren hatte sie in Steinhagen 120.000 Mark per annum kassiert; bei verbesserter Leistung ist es heute in Dülmen höchstens noch halb soviel. Struse, die ihr Leben lang nur Tischtennis praktiziert hat, kann sich „davon nichts mehr für später zurücklegen“, obwohl sie schon im Aldi Sonderangebote einkaufen gehe. Struse will „Sicherheit“, hat aber von ihrem Klub bisher kein neues Angebot vorliegen.

Den Verband trifft die Zwangslage denkbar ungünstig auf einem sportlichen Höhepunkt: Bei der EM Ende April in Bratislava sind seine Frauen Favoritinnen. Neulich beim European Ladies Team Cup siegten sie selbst gegen Rußland – zum ersten Mal seit 14 Jahren. Und als in der letzten Woche souverän der Einzug in das Europaligafinale gegen Ungarn gelang, schwärmte die FAZ: „Damentischtennis entwickelt neue Blüte“.

Deswegen ist der DTTB sensibilisiert für die Daseinsprobleme seiner Frauen. Die unterschiedlichen Ansätze haben allerdings das Ideenstadium kaum verlassen. Der Verbandspräsident Walter Gründahl favorisiert eine Vermehrung der weiblichen Preisgeldveranstaltungen, seine Cheftrainerin Eva Jeler sieht „die Möglichkeit, die Verluste auszugleichen durch höhere Preisgelder“. Während nämlich der European Nations Cup der Männer mit 125.000 Mark gesamtdotiert ist, werden beim European Ladies Team Cup gerade 18.500 Mark unter die Frauen gebracht.

Seit 1993 beschreitet der Verband zudem einen von vielen anderen Sportarten aufgezeigten Weg, indem er sich bei seinen Ping- Pong-Angriffen auf andere Nationen vom Verteidigungsminister Rühe unterstützen läßt. So sollen im Sommer die beiden Nachwuchsspielerinnen Cornelia Böttcher (18) und Nina Wolf (18) für zwei Jahre beim Kommiß kaserniert werden, um täglich trainieren zu können. Jeler bezeichnet das als „kleine Lösung“, die Bundeswehr als „großen Sponsor“.

Die Bemühungen um den weiblichen Nachwuchs hat der DTTB bitter nötig, denn während bei den Männern einige Talente wie Europas Jugend Top 12-Sieger Zoltan Fejer (17) nicht mehr allzu weit von der nationalen Spitze entfernt sind, treten feminine Perspektivlinge nur spärlich auf. Der Verband trachtet daher auch danach, die Jugend durch postsportliche Reize zu ködern. Momentan würden Programme entwickelt, sagt Jeler, „die den Spielerinnen nach dem Karriereende eine berufliche Alternative“ eröffnen sollen. An dem hehren Ziel jedoch sind vor dem DTTB bereits andere minderprivilegierte Verbände gescheitert.

Das größte Problem der DTTB- Frauen ist freilich die Nicht-Existenz im öffentliche Bewußtsein. Tischtennis in Deutschland? Ist Roßkopf plus ein wenig Fetzner. Wie erfolgreich die Frauen auch sind, die wenigsten kriegen es mit. Am Sonntag in Bielefeld etwa mußte das Männer-Endspiel vor das Frauen-Finale gelegt werden – dem Ansinnen des übertragenden ZDF genügend, das auf höhere Quoten spekulierte, indem es dem Meister werdenden Jörg Roßkopf den Vorzug vor Nicole Struse gab.

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