Von der Großwerft zum Boots-Krauter

■ 2000 Blohm + Voss-Beschäftigte demonstrieren gegen geplante Massenentlassungen

Möwen waren es und keine Pleitegeier, die gestern morgen über dem Werkstor von Blohm + Voss kreisten. Als sich gegen elf Uhr mehr als 2000 Beschäftigte vor dem Tor versammelten, verdrängte die Sonne gerade den Hochnebel. Die Zukunftsaussichten der Belegschaft paßten nicht ins malerische Bild. Wenn der Vorstand sein „Konzept“ realisiert, werden 850 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verlieren – zusätzlich zum bereits verabredeten „sozialverträglichen“ Abbau von 600 Stellen. Und die ehemalige Großwerft verkommt zu einem mittelständischen Unternehmen. Weniger als 2000 Arbeitsplätze bleiben – vorerst – erhalten. Einst zählte die Traditionswerft 20.000 Beschäftigte.

„Bremer Verhältnisse“ auch für die Hamburger Werft beschwor Vorstandsmitglied Helmut Nadler zur Begründung der geplanten Massenentlassungen herauf. 42 Millionen Mark Verlust seien im vergangenen Jahr zu verzeichnen gewesen, die Betriebsgröße müsse an die veränderte Marktlage angepaßt werden. „Randaktivitäten“ werden ausgegliedert. Einige Bereiche, darunter die bundesweit einzige Kesselbaufertigung, werden komplett geschlossen. „Es ist eine bittere Maßnahme, aber es gibt kein besseres Konzept“, meinte Nadler.

Peter Melzer, IG Metall-Funktionär und Aufsichtsratsmitglied bei Blohm + Voss, und die Betriebsräte sind anderer Ansicht: Statt des geplanten „negativen Sanierungskonzepts“ sei eine offensive Marktstrategie erforderlich. Und die lasse der Vorstand vermissen. Ob die wirtschaftliche Lage tatsächlich auch nur annähernd mit der der Bremer Vulkan-Werft vergleichbar ist, müsse erst noch erwiesen werden, so Melzer. Nicht nur er mutmaßte, daß Thyssen Industrie – die 87 Prozent der Blohm + Voss-Anteile hält – möglicherweise die derzeit allgemein als desolat angesehene Lage der Werften ausnutzt, um den eigenen krassen Sparkurs unhinterfragt durchsetzen zu können. Die Belegschaft kommentierte die Ausführungen der Vorstandsmitglieder mit Pfiffen, Buh-Rufen und Spekulationen um abgewiesene Aufträge und Fehlkalkulationen der Konzernleitung in Millionenumfang.

Als „von langer Hand geplant“ bezeichnete ein junger Maschinenbauer gegenüber der taz das Vorgehen von Thyssen. Erst Mitte des vergangenen Jahres war der „sozialverträgliche“ Abbau von 600 Stellen verabredet worden. Im Oktober war Blohm + Voss dann in die unabhängigen Bereiche „Werft“ und „Industrie“ aufgeteilt worden – all dies mit dem erklärten Ziel, die wirtschaftliche Situation zu stabilisieren. „Und jetzt kommen sie damit.“ Auch wenn das vorgestern erstmals präsentierte Vorstandskonzept noch etwas „flatterig“ sei, meinte Industrie-Betriebsrat Matthias Schindler, so werden die Herren trotzdem schon länger darüber nachgedacht haben. „Das sollte man zumindest annehmen.“

Keine lange Bedenkzeit brauchten die Betriebsräte, um zu entscheiden, daß zunächst keine Überstunden mehr genehmigt werden – eine Entscheidung, die der Vorstand akzeptieren muß und umso heftiger kritisierte: Auf diese Weise würden Stammkunden verprellt; die Belegschaft setze damit auch die verbleibenden Arbeitsplätze aufs Spiel. Doch die Mitarbeiter, wissen die Betriebsräte, haben keine Motivation mehr. „Und keine andere Chance.“ Stefanie Winter