: Der Familie die eigenen Interessen geopfert
■ Sieben Jahre lebt die Chinesin Shuying bereits in Berlin. Redakteurin war sie in Peking, hier geht sie für ihre Familie putzen. Den Mann zieht es zurück, der Sohn will hier bleiben
„Das kann ich keinem meiner Kollegen in China erzählen, daß ich hier putzen gehe. Das ist unglaublich.“ Für einen Moment schwindet Shuyings* freundliches Lächeln aus ihrem Gesicht. Sie schämt sich. „Na, erzähl ruhig deine Geschichte“, sagt ihr Mann. Das macht Shuying Mut, denn die deutsche Sprache hat sie auch nach sieben Jahren Aufenthalt in Berlin noch immer nicht richtig gelernt.
Sie war ihrem Mann aus Peking an die Spree gefolgt, der 1988 mit mehr als 100 anderen Chinesen von der Regierung ihres Landes zum Studium nach Deutschland geschickt worden war. Als Shuying 1989 mit ihrem Sohn nach Berlin kam, hatte sie selbst noch große Pläne und Hoffnungen.
Chinesische Sprach- und Literaturwissenschaften hatte sie in Peking studiert und sie hatte eine gute Stelle als Verlagsredakteurin dort. Deutschland sollte für sie nur eine Zwischenstation werden – ein oder zwei Jahre – bis ihr Mann sein Studium beendet hätte und sie gemeinsam nach China zurückgekehrt wären. Sie hätte Deutsch gelernt, vielleicht sogar als Redakteurin arbeiten können.
Aus den wenigen Jahren wurden mittlerweile sieben. Eine Rückkehr in die Heimat ist wegen ihres Sohnes, der hier zur Schule geht, nicht in Sicht.
Shuying arbeitet deshalb weiter als Putzfrau, und Deutsch ist für sie noch immer eine Fremdsprache, mit der sie sich schwer tut. Ihr Schicksal teilt sie mit den anderen Chinesinnen, die 1989 ebenfalls ihren Männern nachgereist waren. Sie alle sind hochqualifizierte Akademikerinnen, fast alle gehen putzen. Und das aus dem Grund, da ihre Männer nur umgerechnet 810 Mark von der chinesischen Regierung als monatliches Stipendium bekamen.
Davon eine dreiköpfige Familie, wie im Falle Shuyings, zu ernähren, ist kaum möglich. Also war es klar, daß Shuying Geld verdienen mußte. Ohne Arbeitserlaubnis bleibt da nur die Schwarzarbeit, ohne deutsche Sprachkenntnisse gibt es nur Putzjobs.
Schwarz arbeiten muß Shuying inzwischen nicht mehr. Nach sechs Jahren Aufenthalt bekam sie im letzten Jahr eine Arbeitserlaubnis und eine feste Halbtagsstelle. Für 1.000 Mark pro Monat putzt sie jetzt täglich ein Büro. Ihr Mann hat sich 1992 nach seiner Promotion mit einem Dienstleistungsbüro selbständig gemacht. Er bahnt Geschäfte zwischen China und Deutschland an. Auch er würde gerne nach China zurückkehren: „Hier bleiben wir immer Ausländer, aber China ist unser Vaterland.“ Darin ist sich das Paar einig. Allerdings: ihr 13jähriger Sohn sieht das anders.
Er wurde hier eingeschult, spricht lieber deutsch als chinesisch, hat die vierte Klasse übersprungen und besucht jetzt ein Gymnasium. „Wir haben ihm gesagt, du mußt zurück nach China, weil du Chinese bist“, sagen die Eltern. Doch dagegen weiß sich ihr Sohn zu wehren. Zweimal, 1993 und 1994, war Shuying bereits mit ihm in Peking und schulte ihn ein. Aber weder kam er im Unterricht mit – eigentlich müßte er dort wieder in der ersten Klasse anfangen – noch verstand er sich mit seinen Mitschülern: „Ich weiß überhaupt nicht, über was ich mit denen reden soll. Die sind ganz anders.“ Er ist in Deutschland aufgewachsen und kommt mit der Mentalität seiner chinesischen Mitschüler nicht klar.
So fuhr Shuying mit ihrem Sohn nach Berlin zurück. Sie richtet sich jetzt darauf ein, weitere sechs Jahre hierzubleiben, bis ihr Sohn sein Abitur gemacht haben wird. „Dann muß er endgültig mit nach China kommen.“
Vielleicht schafft sie es ja in diesen Jahren, noch richtig Deutsch zu lernen und eine bessere Arbeit zu finden. Ihr Traum wäre, als Lektorin in einem Verlag, etwa für asiatische Literatur, zu arbeiten. Bisher hat sie ihre eigenen Interessen für die Familie geopfert. Daran, daß Männer und Frauen gleich sind und das Recht auf gleiche Arbeit haben, wie sie es einmal gelernt hat, glaubt Shuying nicht mehr.
Jedenfalls nicht hier in Deutschland. Aber aufgegeben hat sie noch nicht: „Ich hoffe immer“, antwortet sie auf die Frage, ob sie an eine Veränderung ihrer Situation glaube, und lächelt dabei in sich hinein. Petra Welzel
* Name von der Redaktion geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen