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Ich sehe was, was du nicht siehst!

An das Kinderspiel muß die Kunsthistorikerin Hanna Gagel gedacht haben, als sie 200 Künstlerinnen- und Künstlerbilder verglich. Mit durchschlagendem Erfolg: Was „weibliche Bildsprache“ ist, bleibt vorläufig ihr Geheimnis  ■ Von Petra Welzel

Den eigenen Augen trauen“ nennt die in Zürich lebende und arbeitende Kunstwissenschaftlerin Hanna Gagel ihr neues Buch „Über weibliche und männliche Wahrnehmung in der Kunst“. Seit gut 20 Jahren zählt sie zu Deutschlands bekanntesten feministischen Kunsthistorikerinnen. Immer auf der Suche nach einer weiblichen Bildsprache, hat sie sich mit ihren Untersuchungen durch alle Jahrhunderte bewegt. Frau und mann tut jetzt allerdings gut daran, sie beim Wort zu nehmen. Wer nämlich tatsächlich seinen eigenen Augen traut, wird sich bereits nach den ersten Seiten die Frage stellen, mit wessen Wahrnehmung hier etwas nicht stimmt: mit der der Autorin oder der der Leser- und BetrachterIn.

An und für sich ist es nichts Neues in der feministischen Kunstwissenschaft, die Werke von Künstlerinnen und Künstlern auf ihre Unterschiede hin abzuklopfen. Und nicht zu bestreiten ist auch, daß es durchaus Unterschiede gibt. Worin diese aber bestehen, darüber streiten sich die KunsthistorikerInnen ohne Ende. Für die einen liegen sie auf der Hand: Die Kunstwerke von Frauen seien eindeutig anders, hätten andere Inhalte, seien insbesondere früher qualitativ schlechter gewesen oder nach wie vor irgendwie weiblich. Die anderen hingegen können keine benennbaren, vor allem keine geschlechtsspezifischen Besonderheiten weiblichen Kunstschaffens feststellen.

Hanna Gagels Buch wird nun bestimmt das allerletzte sein, das zur Klärung der Auseinandersetzung Wesentliches wird beitragen können. Da sie aber die Diskussionen der feministischen Kunstwissenschaft im wesentlichen mitbestimmt, wird an ihrem Buch für diejenigen kein Weg vorbeiführen, die in Zukunft über Kunst von Frauen mitreden wollen. In fünf Kapiteln, in denen sie sich mit dem Blick der KünstlerInnen auf sich selbst, ihrem Blick auf die Frau, dem Blick auf den Mann, dem Blick auf das Geschlechterverhältnis und dem Blick auf die Dinge beschäftigt, reiht sie wahllos eine Betrachtung an die nächste. Recht schnell beginnt diese Parade undurchsichtig zu werden. Was man da liest, will sich einfach nicht mit dem decken, was einem die Abbildungen zeigen. Da hilft es auch nicht, daß sich Gagel auf Platon beruft, dem wir den bereits seit der Antike bestehenden Geschlechterdualismus zu verdanken hätten. Was hilft einem der weise Platon, wenn man einfach nicht versteht, warum sie beispielsweise einen rosa Eierkopf von Meret Oppenheim aus den 30er Jahren mit Albrecht Dürers Madrider „Selbstporträt“ von 1498 vergleicht?

Es ist Gagels erstes Vergleichsbeispiel und für sie gleichzeitig ein Exempel par excellence unterschiedlicher weiblicher und männlicher Selbstwahrnehmung. Dabei stört es sie nicht, daß niemand weiß, ob es sich bei Meret Oppenheims sehr stilisierter Halbfigur mit gefalteten Händen überhaupt um ein Selbstporträt handelt. Der gesichtslose Eierkopf ist der Künstlerin auch nach 60 Jahren nicht ähnlicher geworden, was grundsätzlich auch keine Voraussetzung für ein Selbstporträt sein muß. Aber dann möchte man doch bitte schön von der Künstlerin überliefert wissen, daß es sich um ein Bildnis ihrer Person handle. Meret Oppenheim hat das jedenfalls nie behauptet.

Immerhin entdeckt man nach diesem ersten Überraschungsmoment, daß Oppenheims Figur, ähnlich wie Dürer, ihre Hände gefaltet auf einer Brüstung abgelegt hat. Für Gagel ist damit bewiesen: Diese Künstlerin sei formal eindeutig dem männlich tradierten Künstlerselbstbildnis verpflichtet, ihr Eierkopf aber eindeutig eine ironisch-surrealistische Absage an diesen Bildtypus. Der Autorin die hundert anderen Beispiele und mehr aufzuzählen, die sich ebenfalls mit überlieferten Bildtypen in ernster, ironischer oder kritischer Weise auseinandergesetzt haben, und das nicht erst, seit Eierköpfe in der Kunst Gesichter ersetzt haben, wäre vermutlich vergebene Liebesmüh.

Wer wie Gagel behauptet, „der Vergleich der Selbstbildnisse von Malerinnen und Malern führt uns über bekannte Feststellungen zu nachweisbaren Bild-Tatsachen, die von größter kulturhistorischer Evidenz und Tragweite sind“, überschätzt seine Fähigkeiten in erster Linie selbst – und die der von ihm ausgewählten Kunstwerke insbesondere.

Gagels Bildbetrachtungen geraten dabei geradezu schräg und fragwürdig. Und wenn es zudem dazu dient, zu zeigen, wie einmalig und innovativ Künstlerinnen gewesen sind, ist ihr jedes Mittel recht. Im selben Kapitel über die KünstlerInnenselbstporträts finden sich weitere Beispiele, in denen eben mitnichten Selbstdarstellungen verglichen werden. So schreibt sie zu dem „Selbstbildnis als Malerin“ der italienischen Barockmalerin Artemisia Gentileschi: „Energie und Kraft, die als männliche Qualitäten gelten, verbindet sie sehr selbstverständlich mit vitaler Weiblichkeit.“ Leidenschaftlich sachbezogen sei ihr Bild, in dem sich die Künstlerin ganz ihrem Werke hingegeben habe. Das sprühe nun vor Lebenskraft. Dem setzten Künstler ihre „Hingabe an Leiden und Pathos“ entgegen. Weshalb sich Gentileschis italienischer Kollege und Zeitgenosse Caravaggio beispielsweise seinen Kopf in der Rolle des Goliath von David abschlagen lasse. Daß es sich bei dem Kopf Goliaths überhaupt um ein Porträt Caravaggios handelt, sei auch hier dahingestellt. Daß der Künstler sich aber im Leiden seine Identität sichere und somit sich selbst erhöhe, ist in diesem Fall sicherlich am Schopfe Goliaths herbeigezogen.

Die Liste haarsträubender Bildbetrachtungen und -vergleiche ließe sich endlos fortsetzen. Gagel konstruiert ihre Gegensätze zudem an Beispielen, die jeglichen wissenschaftlichen Kriterien widersprechen. Es ist durchaus erlaubt, ein vollendetes mit einem unvollendeten Bild zu vergleichen. Gagel tut dies mit zwei Selbstbildnissen von der österreichischen Malerin Anna Dorothea Therbusch und dem englischen Maler Thomas Gainsborough aus dem 18. Jahrhundert. Das darf sie aber nicht zu dem Schluß führen, daß der Künstler bewußt durch die Zurücknahme seines Körpers mehr Distanz zur BetrachterIn schaffe als die Malerin. Daß sein Körper einfach unvollendet geblieben ist und deshalb zwangsläufig auf dem Bildgrund verblaßt, ignoriert die Wissenschaftlerin bewußt.

Um zu zeigen, wie tatsächlich Künstlerinnen- und Künstlermythen entstanden sind, bedarf es ein bißchen mehr kunsthistorischen Geschicks. So sah sich eben selbige Anna Dorothea Therbusch 1767 in einen handfesten Skandal anläßlich der öffentlichen Ausstellung ihres Porträts des französischen Philosophen Denis Diderot verwickelt. Mit nacktem Oberkörper hatte er ihr Modell gesessen, und als das Bild schließlich im Pariser Salon von 1767 zu sehen war, löste es einen Sturm der Entrüstung aus. Daß man ihm den Vorwurf machte, er habe mit „einer nicht eben hübschen Frau“ geschlafen, konnte er nicht auf sich sitzen lassen.

In seinem Salonbericht rächte er sich mit einer diffamierenden Kritik an der Künstlerin, mit der er einst sehr gut befreundet war: „Die Künstlerin ist Autodidaktin, und ihre Technik, die durchaus kühn und männlich ist, zeigt das deutlich. ... Sie besitzt einiges Talent. (Aber) es fehlt ihr an Jugend, Schönheit, Bescheidenheit, Koketterie. Sie hätte vom Verdienst unserer großen Künstler schwärmen, bei ihnen Unterricht nehmen, mehr Busen und eine ansehnlichere Hinterpartie haben und beides den Künstlern anbieten müssen.“

Nicht allen Künstlerinnen wurde und wird so übel mitgespielt wie Anna Dorothea Therbusch durch den schwer beleidigten Diderot. Doch exemplarisch zeigt ihre Geschichte, daß sich die Kritik an Künstlerinnen nicht in erster Linie an ihren Werken manifestierte. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede, die Kunsthistorikerinnen wie Gagel heute in Kunstwerke hineininterpretieren, blieben den jeweils zeitgenössischen BetrachterInnen meist verborgen. Männlich und weiblich waren lediglich Synonyme für gut oder schlecht. Es ist deshalb kein Wunder, wie Gagel meint, daß das Verhältnis vieler Künstlerinnen zu ihrer eigenen Gestaltung so distanziert wirkt, ihnen vielfach das Bewußtsein für die Qualität ihrer Blickweise fehlt. Diese ist vielmehr Gagels eigene zielgerichtete Betrachtungsweise, die in Bildern sichtet, was sonst wohl niemand sieht.

Hanna Gagel: „Über weibliche und männliche Wahrnehmung in der Kunst“. anabas Verlag 1995, 264 Seiten, 68 DM

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