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Ein bißchen Zeitgeist

Fotostrecken für „junge Leute“: „Sibylle“, die „Zeitschrift für Mode und Kultur“, schmuggelte etwas Glamour in den DDR-Alltag. Auch der weibliche Blick wurde angestrebt  ■ Von Brigitte Werneburg

Vorne wurde die Mode im Foto für heilig erklärt, um auf den nachfolgenden Seiten kein Thema mehr zu sein – so sah zuletzt Sibylle aus, die „Zeitschrift für Mode und Kultur“. Sie hätte auch Zeitschrift für Kunstfotografie und Kultur heißen können. Es war ein bißchen der Traum von den 60er Jahren, der in den letzten Heften der ehemaligen DDR-Frauenzeitschrift noch einmal hochkam, vor ihrer endgültigen Einstellung vor einem Jahr. Der Traum von freigestellten Fotografien, die kein Layout, keine Schrift, keine Information behelligt. Der Traum von den Bildern eigenen Rechts.

Ihm ist der Fotohistoriker Andreas Krase in seiner Ausstellung in der Kommunalen Fotogalerie Friedrichshain gefolgt. Sie heißt „Die Zeitschrift Sibylle 1956 – 1995. Fotografie“. Nicht: Modefotografie.

Die volkseigene Textilindustrie (PGH Mode) äußerte natürlich Bedenken: „Ist die Sibylle eine fotografische Fachzeitschrift oder eine Unterhaltungszeitschrift mit modischen Einlagen?“ Es muß das erste Heft des Jahrgangs 1963 gewesen sein, laut Krase der Höhepunkt in der Geschichte der Zeitschrift überhaupt, auf das sich die Nachfrage bezog. Arno Fischer hatte für das Titelbild das Model vor eine Wand aus pastellfarbenen hölzernen Verpackungskisten gestellt, die mit „Export Leipzig 1963“ gestempelt waren.

Im Inneren fiel die Fotostrecke „Junge Leute“ auf. Das Aufmacherbild an der Galeriewand zeigt eine junge Frau mit schmaler Hose und schlichtem V-Pullover, die sich aus einem Pulk wartender Motorradfahrer löst und fröhlich triumphierend den rechten Arm in die Höhe streckt. Das Foto ging weit über das hinaus, was sich die herrschende Klasse unter Modefotografie vorstellen wollte. Es war eigentlich ein echter twen. Und damit tatsächlich Modefotografie.

Kurz nach dem Mauerbau, so scheint es, sondierte eine Gruppe junger Gestalter aus dem Umfeld der Kunsthochschule Berlin-Weißensee noch einmal mit neuem Elan die eigenen Möglichkeiten. Und weil die Gruppe vielleicht noch mehr eine Clique war, kam sie in der Formulierung ihrer eigenen Identität der westlichen Legende, die das Sujet der Clique ebenso liebte wie sie das Klischee lebte, so nahe wie nie.

Der Aufbruch in Richtung eines wenigstens zeitgeistpunktierten Alltags war schon im Heft 4/62 zu beobachten gewesen, mit dem Foto einer jungen Frau, die im Fischgrätmantel vor einem Gasometer stand. Das Foto des Weißenseer Kunsthochschuldozenten Arno Fischer sollte schon wenig später als eine Ikone der DDR-Modefotografie gelten. Als „wirklich zeitgemäße Modefotografie“, die „die Technik unseres Zeitalters, die dynamische Bewegung unserer Zeit, eine junge Frau unserer Tage“ zeigte, wie der Autor Peter Thömmes das Bild vier Jahre später noch einmal lobte. Und es war großformatig über die ganze Doppelseite gezogen, nur sparsam stand im Himmel hinter dem Gasometer „Herbstmode in Berlin“.

Doch da die Ausstellung letztlich die Fotografie mehr meint als die Zeitschrift, läßt sich die Entwicklung des Layouts, die Plazierung von Fotos und Schriften und deren Neugestaltung nicht direkt verfolgen. Es ist das alte Elend der Zeitschriftenfotografie. Um sie als Kunst potent zu machen, kastriert man sie als Kommunikationsmedium. Immerhin, wer im letzten Jahr in München den Begleitband zur Ausstellung über twen erwarb, findet im Beitrag von Andreas Krase, „Abseits von Schock und Klamauk“, die wesentlichen Punkte der Sibylle-Geschichte als die „twen-Rezeption in der DDR“ zusammengefaßt.

Entsprechend war „Jazz und Junge Leute“ nach der Fotostrecke über die Mode der jungen Leute natürlich das gegebene Kulturthema und Jewgenij Jewtuschenkos „Monolog der Beatniks“ der poetische Höhepunkt der Jugendrevolte.

Ein fotografischer Höhepunkt des gleichen Hefts ist das Porträt einer jungen Kranführerin von Evelyn Richter. Sie fotografierte 1977 eine Serie, die man sich ganz genau anschauen muß. Die Leipziger „academixer“ postierten sich „Mit einem Bein auf dem Boden der Wirklichkeit“ vor einem monumentalen Tübke. In ihrer Lesart sah „Das Bündnis von Arbeiterklasse und Intelligenz“ so aus, daß sie einer Figur des Gemäldes den Autoschlüssel übergaben, denn worum ging es sonst? Einem anderen flüsterten sie konspirativ ins Ohr, und ein prächtiges Mädel packten sie zum Tanz. Daß sie sich von einer vierten Figur Geld zustecken ließen, kam nicht ins Heft.

„Frauen fotografieren“ war überhaupt ein wichtiges Thema, dem Sibylle nicht nur mit ihren weiteren Fotografinnen Sibylle Bergemann und Ute Mahler in der Praxis Vorschub leistete, sondern dem auch Mitte der 60er Jahre einige fotohistorische Beiträge galten. Die Sibylle der Nachwendezeit griff das wieder auf. Noch das letzte Heft im Februar 1995 galt dem weiblichen Blick.

Aber ob weiblich oder nicht, der Blick der Sibylle-Fotografen wie Günter Rössler, Roger Melis, Rudolf Schäfer, Werner Mahler oder Hans Praefke war gerne schwarzweiß, was ja immer auf die Ambition zur Kunst deutet, und selbst wenn er fröhlich bunt war, wollte er über die angewandte Fotografie hinaus.

Die fotografische Idee war auch zuletzt am wenigsten von Zeitgeist, Subkultur und Mode stimuliert. Die Mode gab sogar bei den neu dazugestoßenen jungen Westfotografen wie Joachim Gern oder Ulrike Schamoni nur Anlaß für ein Inbild von Schönheit und Vollendung. Was recht besehen aber das Ende der Mode und ihrer Fotografie bedeutete. Denn Dissonanz und nicht Versöhnung ist es, was die Mode letztlich will.

Bis 13. April, Helsingforser Platz 1, Berlin-Friedrichshain

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