„Ich habe moralische Schuld auf mich genommen“

■ Exanwalt Schnur bittet um Gerechtigkeit. Verteidiger sind sich bei Plädoyers uneins

Berlin (taz) – Im Prozeß gegen den ehemaligen DDR-Anwalt und Wendepolitiker Wolfgang Schnur (51) haben seine beiden Verteidiger gestern überraschend unterschiedlich plädiert. Während Schnurs Verteidiger Frank Osterloh, zu DDR-Zeiten selbst hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter, Freispruch verlangte, wollte der Hamburger Anwalt Manfred Rhode nicht völlig ausschließen, daß der Vorwurf des Mandantenverrats berechtigt sei. Rhode plädierte dafür, daß eine möglicherweise zu verhängende Freiheitsstrafe auf Bewährung „deutlich unter acht Monaten“ liegen sollte.

Die Staatsanwaltschaft hatte vor einer Woche eine Freiheitsstrafe von 15 Monaten auf Bewährung und eine Geldbuße in Höhe von 12.000 Mark gefordert. Sie sah es als erwiesen an, daß Schnur, der nach der Wende Vorsitzender des Demokratischen Aufbruchs war, 1988 Informationen über seine Mandanten Freya Klier und Stephan Krawczyk an die Stasi weitergeleitet hat. Die beiden Bürgerrechtler, die im Februar 1988 nach ihrer Inhaftierung die DDR verlassen mußten, seien dadurch der Gefahr der politischen Verfolgung ausgesetzt gewesen.

Im Gegensatz zu früheren Verhandlungstagen, an denen Schnur polemisch von einem „politischen Prozeß“ gegen ihn gesprochen hatte, gab der ehemalige Anwalt sich gestern moderat. In seinem Schlußwort betonte der 51jährige, er habe „moralische Schuld auf sich genommen“. Dazu stehe er. Diese Schuld werde er „abtragen“. Erst im März 1990 war öffentlich geworden, daß Schnur seit den 60er Jahren als Inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi gespitzelt hatte. Der Anwalt war damals als Spitzenkandidat des Demokratischen Aufbruchs zurückgetreten. In der Folge war ihm die Zulassung als Anwalt entzogen worden. Gestern bezeichnete Schnur eben jenen März 1990 als einschneidendes Datum. Erst damals sei er von seiner „eigentlichen Lebenslüge befreit worden“. Das Gericht bat er um eine „gerechte Entscheidung“. Am kommenden Freitag soll das Urteil verkündet werden. flo