■ Normalzeit: „Angst mit Mut balancieren“
Der „Überlebenslauf“ von Oskar Huth verhält sich zum „Versuch über die Schwierigkeit, nein zu sagen“ von Klaus Heinrich wie Hegels „Phänomenologie“ zu Marx' „Kapital“. Alle vier lehrten in Berlin. Der „Überlebenslauf“ (1994) ist jedoch, wie auch schon „Für den Fall der Nüchternheit“ (1978), genaugenommen ein Buch über Oskar Huth: Seine „Ansichten und Erinnerungen“, aufgezeichnet vom Maler Alf Trenk, der ebenso wie der Autor des ersten Buches Fan des Klavierstimmers Oskar Huth ist.
Es gibt mindestens drei Fankreise in Berlin: im „Lusiada“, bei „Hoek“ und im „Zwiebelfisch“ am Savignyplatz. Nur dort kann übrigens der „Überlebenslauf“ auch käuflich erworben werden. Der Begriff der „Balance“ ist darin zentral. Insbesondere gilt dies für die „Nazizeit“ des 1946 von den Amerikanern zum „Event of Anti-Nazi-Activities“ Erklärten. Oskar Huth selbst spricht 1975 von einer „artistischen Balancemeierei – unvorstellbar!“ Und erklärt sie wie folgt: „Was mir dazu geholfen haben muß, durchzukommen, ist wohl, daß mich die Leute hinsichtlich meiner Nervenfestigkeit, meiner physischen Kraft und (wenn ich's mal ein bißchen eitel sagen darf) auch, was die Sache eines gewissen Witzes angeht, unterschätzt haben...“ Später wird man ihm immerhin eine Stelle im Kultursenat antragen. Der „freischaffende Kunsttrinker“ zieht es vor, selbständig zu bleiben.
Im Gegensatz zu dem Mitbegründer der Freien Universität, Klaus Heinrich, der 1971 ebenda Professor für Religionsphilosophie wird. In dessen bereits 1964 vorgelegter Habilitationsschrift, „Versuch über die Schwierigkeit, nein zu sagen“, geht es recht eigentlich um eine „Balance“ des Protests – die sich heute (1982 erfolgte eine Neuausgabe im Verlag Roter Stern) wie ein Resümee der 68er-Protestbewegung liest. Nicht einmal der schon unvermeidlich gewordene „Exkurs über Buddhismus als Ausweg“ fehlt in diesem „Frühwerk“, das den „induktiven Verfahren“ den Vorzug gibt: „Erst die Mittel heiligen den Zweck!“
Oskar Huth war pro forma als Zeichner im Botanischen Garten angestellt, 1941 tauchte er mit falschen Papieren unter. Am Breitenbachplatz betrieb er dann im Keller eine Druckwerkstatt, in der er Pässe und Lebensmittelkarten herstellte. Damit ermöglichte er fast sechzig Menschen, überwiegend Juden, die sich in Berlin versteckt hatten, das Überleben, dazu gehörte ab 1944 auch der jüngst verstorbene Freiherr von Hammerstein: „Alles hing natürlich an einem seidenen Faden. Wer wirklich Leute versteckte, das waren die Proletarier untereinander. Die Ärmsten halfen den Armen. Und die Leute, die wirklich Möglichkeiten hatten – da war nichts, gar nichts.“
Tagtäglich war Oskar Huth zu Fuß unterwegs auf Buttertour zu den Versteckten, er selbst spricht von seinem „monsterhaften Latsch durch die Stadt“ – zeitweilig auch bewaffnet. Einen besonders „widerwärtigen Nazi und Einpeitscher“ brachte er sogar um: in den letzten Tagen des Krieges in einem Luftschutzkeller, wo der, im Rollstuhl sitzend, alle dort Schutzsuchenden herumkommandierte. Oskar Huth und ein arbeitsverpflichteter Franzose redeten dem Nazi schließlich ein: „Da hinten wär noch eine Tür offen. Wohin sie führt, das wollten wir jetzt mal ausprobieren. Er sollte mal mitkommen, die Sache überschauen. Wir nahmen den also mit. Aber diese Tür, die schon heiß war – dahinter gab es nichts mehr, da brannte es schon. Die machten wir auf, und weg mit dem Stuhl. So. Da war einer weniger da.“
1989 meint Oskar Huth im Café Hegel dennoch: „Aber der Spielraum, aus sich was anderes zu machen, als einem prädestiniert ist, der ist ein lächerlich geringer.“ Auch über die ewige Wiederkehr ist er sich – am Ende des Buches – nicht sicher: „Wenn es nach diesem Dasein nichts mehr gibt, dann hab' ich versäumt, etliche Kanaillen abzumurksen...“ Oskar Huth starb 1991, er wurde auf dem Jerusalemer Friedhof, nicht weit von E.T.A. Hoffmann, begraben. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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