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Durch Rausch in die Tiefe

Halluzinogene sind ideales Hilfsmittel in der Psychotherapie. Comeback für LSD?  ■ Von Christina Berndt

Ran ans Unbewußte! So lautet die Devise jeder Psychotherapie – denn im Unbewußten verbergen sie sich, die Ursachen all unserer Probleme, all das, was wir vergessen oder verdrängt haben. Doch Wege dorthin gibt es viele. Über 300 verschiedene Formen der Psychotherapie zählt man heute. Vergleichen lassen sie sich nur schwer. Mehr noch als in anderen Bereichen der Medizin tritt die Methode hinter die Kunst des Arztes oder Therapeuten zurück. Beschwerlich aber sind die Wege alle. Seelisches wie körperliches Leid tritt zutage, alte Wunden – oft jahrelang erfolgreich verdrängt – reißen auf. Kein Wunder, daß sich die Patienten erst einmal gegen die neuen alten Schmerzen wehren.

Durchschnittlich sieben Jahre lang liegt man bei einer klassischen Psychoanalyse, wie sie Sigmund Freud bereits Ende des vergangenen Jahrhunderts entwickelt hat, mehrere Stunden in der Woche auf der Couch des Analytikers. Selbst danach sind die wenigsten Patienten geheilt. Als Erfolg gilt, wenn sie gelernt haben, mit ihren Beschwerden zu leben.

Durch Rausch läßt sich der Weg zum Unbewußten erheblich verkürzen. Schranken fallen, Berührungsängste und Rollenverhalten schwinden – so mancher Macho wird zum Softie. Aber Drogen schaffen keine neue Persönlichkeit, sie legen nur frei, was bereits im Menschen ist. Besonders wirksam sind Halluzinogene wie Meskalin aus dem mexikanischen Zauberkaktus Peyotl oder das synthetische LSD. Sie ähneln unseren körpereigenen Gehirnbotenstoffen Noradrenalin und Serotonin und führen im allgemeinen zu einer umfassenden Enthemmung. Nicht umsonst werden diese Substanzen auch psychedelisch – „die Seele aufschließend“ – genannt. Menschen im LSD-Rausch werden offener für ihr Gegenüber, der Zugang zum Unterbewußten erleichtert – wichtige Parameter für eine erfolgreiche Psychotherapie.

Eine kontrollierte Freigabe von LSD und LSD-verwandten Substanzen für die Verwendung in psychotherapeutischer Praxis und Forschung forderten Ärzte und Wissenschaftler daher auf dem Zweiten Internationalen Kongreß des Europäischen Collegiums für Bewußtseinsstudien (ECBS), der vor kurzem unter dem Titel „Welten des Bewußtseins“ in Heidelberg stattfand. Ihr Antrag liegt zur Zeit dem Bundesinstitut für Arzneimittel zur Prüfung vor.

Doch diese Idee ist nicht neu. Bereits in den fünfziger Jahren – kurz nach der Entdeckung der ungeheuren psychoaktiven Wirksamkeit von LSD – widmeten sich zahlreiche Psychiater und Psychotherapeuten der Erforschung erweiterter Bewußtseinszustände mit Hilfe dieser Droge. In Deutschland machte sich vor allem der inzwischen emeritierte Göttinger Psychiatrieprofessor Hanscarl Leuner mit beachtlichen Erfolgen bei der Behandlung als ansonsten „therapieresistent“ geltender Patienten einen Namen. Leuner verwendete dabei das dem LSD verwandte, aber schwächer wirkende Psilocybin, das Alkaloid des heiligen mexikanischen Pilzes Teonanacatl. Für die indianischen Völker Mexikos nimmt dieser Pilz schon seit mehr als 2.000 Jahren eine zentrale Rolle als Heilmittel und in religiösen Ritualen ein. Leuner machte Psilocybin in Deutschland vielleicht nicht salon- aber durchaus behandlungszimmerfähig.

Der „War on Drugs“, zu dem die USA Ende der sechziger Jahre aufriefen, änderte dies allerdings grundlegend. Es kam zum umfassenden Verbot aller rauschfördernden Substanzen. Obwohl Halluzinogene nachweislich zu keiner körperlichen Abhängigkeit führen, fielen auch sie unter das Opiumgesetz der Weltgesundheitsorganisation und waren fortan selbst in der Forschung verboten.

Mitnichten will die Ärzteinitiative des ECBS einen Horrortrip im Behandlungszimmer. Kritiker mißverstehen gerne die Bedeutung des LSD oder LSD-verwandter Substanzen für die Psychotherapie. Die Droge ist nicht das Therapeutikum per se, sie dient vielmehr als Hilfsmittel, als eine Art Vehikel zum Transport unterbewußter Vorgänge des Bewußtseins. Eingebettet in eine herkömmliche Psychotherapie mit einer bereits bestehenden Beziehung zwischen Therapeut und Klient, soll das Erlebte gewinnbringend verarbeitet werden. „Unter ärztlicher Aufsicht und sorgfältiger Dosierung kann Psilocybin für die Patienten keine Fahrt in die Hölle sein“, so Leuner. Mehr noch als andere Behandlungsmethoden sei die Psychotherapie mit psychoaktiven Substanzen abhängig von der inneren Einstellung des Patienten und den äußeren Gegebenheiten. Das illegale Milieu des Drogenmißbrauchs sei daher nicht mit der bewußtseinserweiternden Wirkung in der therapeutischen Praxis vergleichbar.

Alle bislang diskutierten Gefahren – Suizidgefahr, Suchtpotential und Erbgutveränderungen – konnten in wissenschaftlichen Untersuchungen widerlegt werden. Zwar gehen den Kritikern die Argumente aus, doch bleiben die Verfechter der Halluzinogen-unterstützten Psychotherapie bislang eine Minderheit. Vielleicht liegen auch hier die Gründe tiefer, denn die extremen Bewußtseinszustände in der LSD-Psychotherapie erfordern noch viel mehr als herkömmliche Therapieformen echte persönliche Hilfe und Anteilnahme durch den Therapeuten. „Man kann mit Patienten ja nur so weit gehen, wie man selbst gekommen ist“, erläuterte Michael Szukaj, Psychiater und Therapeut aus Münster. „Wenn bei den Kollegen die Selbsterfahrung mit und ohne Substanzen nicht vorhanden ist, dann ist ihnen ein Verbot der Substanzen eher willkommen.“

Zu verdenken ist den Kollegen die Angst vor der Selbsterfahrung nicht, denn im LSD-Rausch wird die Welt erschüttert. Bisweilen werden Weltordnung und Persönlichkeitsstruktur so tiefgründig verändert, daß die Patienten zu einer völlig neuen Lebenseinstellung finden. So kann das Streben nach Macht und Reichtum einem ganzheitlichen Denken weichen. – Manch konservativer Geist mag dies als Entwicklung eines neuen psychotischen Wahns mißverstehen.

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