"Die Wahlen waren nicht frei"

■ Ebrahim Jasdi, der Vorsitzende der oppositionellen "Freiheitsbewegung" Nehzat-e Azadi, äußert sich zu den Parlamentswahlen im Iran und den politischen Perspektiven der sogenannten Traditionalisten und Technok

taz: Von den 15 nominierten Kandidaten, die Ihrer Partei Nehzat-e Azadi angehören oder ihr nahestehen, sind vier zu den Wahlen am vergangenen Freitag zugelassen worden. Weshalb haben sie ihre Kandidatur zurückgezogen?

Jasdi: Weil uns keine anderen finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten offen standen, kündigten wir kurzfristig drei Wahlveranstaltungen an, um mit den Menschen in direkten Kontakt zu treten. Leider hat das Innenministerium uns die Genehmigung versagt, ebenso wie die Zeitungen nicht bereit waren, unsere Ankündigungen abzudrucken. Auch als wir in den Moscheen zusammenkommen wollten, hat man uns das nicht erlaubt. Sogar der Druck unserer Wahlplakate wurde durch bürokratische Schikanen verhindert. Angesichts dieser Umstände wäre es sinnlos gewesen, die Kandidatur aufrecht zu erhalten.

Es war vorauszusehen, daß Ihnen ein fairer Wahlkampf verwehrt bleiben würde. Weshalb haben Sie Kandidaten benannt?

Die Kandidatur für die Parlamentswahlen ist das Recht eines jeden Iraners. Wir haben unser Recht eingefordert. Die Öffentlichkeit hat gesehen, daß es die Staatsmacht ist, die eine Kandidatur verhindert. Es war sowohl eine Art Test als auch eine Anstrengung, einige der Freiheiten, an die wir glauben, zu erlangen.

Sehen Sie denn da einen Fortschritt? Die Presse hat ausführlich und zum Teil sehr sachlich über Sie berichtet. Ihnen wurden keine Schwierigkeiten gemacht, iranischen oder ausländischen Journalisten Ihre Ansichten zu unterbreiten. Die Nehzat ist auf die politische Bühne zurückgekehrt.

Oppositionelle Parteien wie die Nehzat sind im Iran nur als Potential vorhanden, nicht als tatsächliche politische Kraft. Die Nehzat ist auf dem Weg, eine solche Kraft zu werden. Weshalb wurden unsere vier Kandidaten, welche die Prüfung der Wahlkommission überstanden hatten, von der Wahl wieder ausgeschlossen? Der Grund ist die überwältigende Resonanz, welche die Nachricht von unserer Zulassung ausgelöst hatte. Das hat die Herrscher beunruhigt. Ein Mitglied der Wahlkommission hat uns vorgeladen und verlangt, daß wir eine positive Stellungnahme zur Doktrin der von Chomeini etablierten „Herrschaft der Rechtsgelehrten“ (Welayat-e faqih) abgeben. Das haben wir abgelehnt.

Die Gruppen, die zur Wahl angetreten sind, stehen für sehr unterschiedliche politische Programme und führen in der Öffentlichkeit heftige Auseinandersetzungen. Sind darin Ansätze einer wirklichen Pluralität zu sehen?

Diese Gruppierungen gehören alle zum System, sie alle fühlen sich bestimmten Grundsätzen verpflichtet. Sie waren in den Regierungen der vergangenen 16 Jahren präsent, sie sind in unterschiedlicher Form verantwortlich für die jetzige Lage. Keine von ihnen kann sagen, daß es die anderen waren. Trotzdem gibt es Differenzen zwischen ihnen. Zum Beispiel ist die traditionalistische Rechte eine extremistische Gruppe, die in keinster Weise an die Freiheit und die Demokratie glaubt. In ihrem politischen Verhalten greifen sie zu äußerst groben Mitteln. Für die Situation in den Gefängnissen sind Angehörige dieser Gruppe verantwortlich. Wirtschaftspolitisch vertreten sie die Interessen der Händler und des Großkapitals und stehen einer Industrialisierung im Wege. Was ihre religiösen Ansichten betrifft, so sind sie äußerst dogmatisch und legalistisch.

Sie haben sich in vielen Bereichen durchgesetzt, viele Machtzentren des Staates haben sie in ihrer Hand, die Komittees, viele der Stiftungen, das Kulturministerium, die iranische Nachrichtenagentur, das Fernsehen. Selbst treueste Anhänger der bestehenden Ordnung registrieren mit zunehmendem Entsetzen, mit welchem Fanatismus diese Leute jede Meinungsäußerung, jedes Buch, das nicht ihrer Linie entspricht, bekämpfen.

Geben Sie den sogenannten Technokraten, die eine dezidiert andere Politik — vor allem in wirtschaftlichen und kulturellen Fragen — vertreten, eine Chance?

Sie waren und sind ein Teil des bestehenden Systems, und es fällt ihnen von daher schwer, die Menschen von sich zu überzeugen. Sie haben sich den aufklärerischen Kräften angenähert, aber erst sehr spät und nicht entschlossen genug. Hätten sie beispielsweise die Zulassung oppositioneller Parteien zu den Wahlen schon vor Monaten unterstützt, wäre vielleicht ein anderes Resultat herausgekommen.

Dabei bewegen wir uns auf einen sehr gefährlichen Punkt zu. Die Rechte möchte nicht nur eine bestimmte Politik durchsetzen. Sie will das System veränden. Weil es einen religiösen Führer gibt, bedarf es ihrer Überzeugung nach keines Staatspräsidenten mehr. Der Präsident soll so etwas wie der Leiter des Büros des religiösen Führers werden, sein ausführendes Organ. Die Minister wären dann direkt dem Führer unterstellt. Durch eine solche Veränderung des Systems würde das Land immer weiter auseinanderbrechen.

Das Problem der Technokraten ist: Das Scheitern der Wirtschaftsprogramme fällt in die Verantwortung von Präsident Rafsandschani und damit auch in ihre Verantwortung, denn sie haben diese Programme initiiert. Das schwächt die Technokraten. Die Rechte hat es verstanden, die Schuld allein den Technokraten zuzuschieben.

Ein Interesse an guten Beziehungen zum Westen haben allerdings beide Lager. Die Slogans mögen sich unterscheiden, aber hinter den Konservativen steht das Kapital der Händler, des Basars. Die wollen das Öl in Ruhe verkaufen, um mit dem Geld ungestört Waren einzuführen. Die Technokraten unterscheiden sich von den Konservativen allenfalls darin, daß sie ausländische Investitionen im Iran fördern wollen.

Wenn es ihnen gelänge, ihren Einfluß, den sie ohne Zweifel in vielen Bereichen haben, soweit zur Geltung zu bringen, daß sie im Parlament eine Mehrheit erlangen und verhindern, daß Nateq Nuri (ein Traditionalist, d. Red.) erneut zum Sprecher des Parlamentes gewählt wird, dann wäre davon auszugehen, daß der nächste Staatspräsident nicht Nateq Nuri heißt.

Wie ist Ihr Eindruck vom Verlauf der Wahlen?

Im Iran gibt es ein Sprichwort: Der große Berg dröhnt und dröhnt, und am Ende kommt nur ein winziger Krater hervor. – Die Wahlen waren nicht frei und nicht fair. Ich glaube nicht, daß diese Art von Wahlen dem Ansehen der Regierung irgendwie nützen kann.

Bedauern Sie, nicht teilgenommen zu haben?

Wir haben doch teilgenommen, nur nicht bis zum Ende. Unser Ziel war es nicht unbedingt, Sitze im Parlament zu bekommen.

Sind Sie wählen gegangen?

Nein. Interview: Navid Kermani