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■ SURFBRETTJeder darf, auch der Geheimdienst

In zwei Jahren wählt das deutsche Volk eine Regierung. Es wird dann klüger sein als heute. Denn es hat zwei Jahre Zeit gehabt, die Regierung, die es das letzte Mal gewählt hat, im Internet anzuschauen. Nicht, daß sie dort besonders schön zur Geltung käme, sie selbst kommt als solche gar nicht vor, wohl aber der Bundestag. Und nur der kann ja gewählt werden. Unter der einprägsamen Adresse http:// www.bundestag.de ist er leicht zu finden. Das ist vor allem deswegen praktisch, weil er im Fernsehen immer leer ist, wenn er tagt. Hier tagt er nicht, dafür ist er vollständig versammelt, auch Dr. Edzard Schmidt-Jortzig ist dabei, Professor der Rechtswissenschaften an der Christian- Albrechts-Universität zu Kiel und für die FDP (Landesliste) ins Parlament gekommen und zur Zeit als Justizminister der Bundesrepublik Deutschland amtierend. Noch nicht im Internet, nur im Spiegel dieser Woche ist von ihm ein wichtiger Satz überliefert: „Surfen darf jeder.“ Darf es aber auch jede Adresse sein?

Staatsanwälte sehen das anders. Neonazis sind verboten, Kinderpornos auch. Trotzdem darf aber jeder dorthin surfen, sagt Schmidt-Jortzig, ehemaliger Verfassungsrichter im Bundesland Sachsen. Ständig muß dieser Mann über Verbote nachdenken, deswegen ist es schön, daß er sich hier zur Ordnung ruft und sagt: „Nein, surfen darf jeder.“

Schade nur, daß er das wirklich meint. Wenn jeder darf, sagt der Justizminister, dann dürfen natürlich auch die Mitarbeiter der Geheimdienste. Weiß er nicht, daß die anders surfen? Für sie ist das Internet ein wahres Paradies. Alles ist registriert, man muß nur wissen, wo. Sie interessieren sich für öffentliche Adressen, für private Briefkästen, für Datenschlüssel – ob der Justizminister dagegen etwas unternehmen will, sagt er nicht. Jeder darf surfen, das ist alles.

Auch seine Webseite ist etwas wortkarg geraten. Warum ist dort nichts über den liberalen Grundsatz zu lesen, daß nur die Bürger frei sein sollen, nicht aber ihr Staat? Daß zwar alle surfen dürfen, die Polizei aber nicht oder nur in Ausnahmefällen, weil sonst niemand mehr darf? Nichts davon, kaum hat die FDP etwas erlaubt, sitzt schon der Kanther in der Leitung. Schmidt-Jortzig selbst ist Mitglied im Beirat der Freiherr-vom-Stein-Stiftung und Mitglied des Verwaltungsrates der Dr.-Otto-Bagge-Gedächtnis-Stiftung. Wer war Otto Bagge? Spätestens hier hätte der Webmaster einen Link setzen sollen. Außerdem fehlt die E-Mail- Adresse: Schmidt-Jortzig@mdbl.bn .eunet.de.(niklaus@taz.de)

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