: Gericht zweifelt Drittstaatenregelung an
■ Weil Polen und die Tschechische Republik Flüchtlingen nicht die erforderliche Sicherheit bieten, stoppten Richter Abschiebungsverfahren aus Deutschland
Berlin/Frankfurt (Oder) – (taz) Das Verwaltungsgericht in Frankfurt (Oder) hat gestern abermals die Verfassungsmäßigkeit der Drittstaatenregelung in Zweifel gezogen. In einem Eilverfahren stoppten die Richter die Abschiebung eines Mannes, der aus Bulgarien über Polen in die Bundesrepublik einreiste und einen Asylantrag stellte. Normalerweise hätte er zurück nach Polen gemußt. Aufgrund von Berichten des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) bezweifelten die Richter, daß Polen ein sicherer „Drittstaat“ sei. Zwar sei Polen dem Internationalen Flüchtlingsabkommen beigetreten, problematisch bleibe aber, ob sie zum Asylverfahren zugelassen würden. Theoretisch sei es zwar möglich, einen Asylantrag an der Grenze zu stellen, aber mehrfach hätten Flüchtlinge berichtet, daß ihre Anträge nicht angenommen worden seien, stellt der UNHCR fest. „Wir haben große Zweifel, ob der polnische Verwaltungsapparat Asylverfahren ordnungsgemäß durchführt“, begründet Birgit Bastian, Sprecherin des Frankfurter Verwaltungsgerichts, die gestrige Entscheidung. Das Gericht zweifelt auch, daß Bulgarien als sicheres Herkunftsland bezeichnet werden kann. Der Mann hatte gestern gesagt, er sei von bulgarischen Polizisten erpreßt und bedroht worden. Als er sich an die vorgesetzte Behörde gewandt habe, sei er dort um ein Schutzgeld angegangen worden.
Bereits im Oktober 1995 hatte das Verwaltungsgericht Berlin ebenfalls in einem Eilbeschluß entschieden, Polen sei kein sicherer „Drittstaat“. Stefan Keßler von amnesty international (ai) sagte gegenüber der taz, ihm seien mehrere Fälle bekannt, daß nach Polen Zurückgeschobene auf sich allein gestellt seien. Der UNHCR lehnt derzeit eine Rückführung nach Polen „aufgrund eines dortigen Transitaufenthalts“ ab.
Obgleich das deutsche Asylverfahrensgesetz Abschiebungen in „sichere Drittstaaten“ wie Polen ausdrücklich verbietet, habe sich das Gericht zu diesem Schritt entschieden, um den Betroffenen Rechtsschutz zu gewähren, sagte die Gerichtssprecherin. In einem anderen Fall hatte das Frankfurter Verwaltungsgericht vorgestern ähnlich entschieden. Die Richter unterbrachen die Abschiebung eines staatenlosen Palästinensers, der über die Tschechische Republik einreiste. Es gebe UNHCR- und ai-Erkenntnisse, daß Asylbewerber ohne rechtliche Verfahren von dort sofort in ihre Heimat geschickt würden.
Im Bonner Innenministerium schweigt man zu beiden Entscheidungen. Ein Sprecher sagte zur taz, er sei sicher, daß der Asylkompromiß ohne Tadel das Bundesverfassungsgericht passieren werde. Annette Rogalla
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