Mutter Natur soll gedopt werden

Landwirtschaftsminister Borchert: „Chancen der Gentechnik bei nachwachsenden Rohstoffen nutzen“  ■ Von Volker Wartmann

Schöne Aussichten: Um umweltbewußt zu leben, brauchen wir bald nicht mehr Bahn zu fahren, sondern können CO2-neutral mit einer Öko-Karosse über die Autobahn donnern. Wir brauchen auch keine umweltfreundlichen Mehrwegverpackungen mehr zu benutzen, denn es gibt ja noch umweltfreundlichere Einwegalternativen.

„Diese bequemen Alternativen haben nur einen Fehler. Es gibt sie nicht. Es sind hohle Versprechungen. Balsam für das schlechte Gewissen, das sich langsam in uns regt, vielleicht doch zu unbekümmert mit den Ressourcen umgegangen zu sein“, sagt Harald Kächele, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Landesverband Berlin. „In der heutigen Situation untätig warten zu wollen, ob vollmundige Versprechen, die im Zusammenhang mit nachwachsenden Rohstoffen gemacht werden, stimmen oder nicht, hieße, viel Zeit zu verschwenden. Zeit, die wir gar nicht mehr haben.“

Der Anbau nachwachsender Rohstoffe boomt. Dies sind Pflanzen, die nicht zum Zweck der Ernährung angebaut werden. Mit ihnen sollen begrenzt vorhandene Rohstoffe ersetzt werden. 1993 wurden in Deutschland nachwachsende Rohstoffe auf 300.000 Hektar Ackerfläche angepflanzt, 1995 schon auf 500.000 Hektar. Diese Zunahme hat eine wesentliche Ursache: „Den Bauern geht die jährliche Stillegungsprämie von durchschnittlich 750 Mark pro Hektar nicht verloren, wenn sie auf stillgelegten Flächen nachwachsende Rohstoffe anbauen“, sagt Stefan Mann, Refererent für Öffentlichkeitsarbeit bei der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) mit Sitz in Gülzow, Mecklenburg- Vorpommern. Die Arbeit der Agentur wird vom Bundeslandwirtschaftsministerium jährlich mit etwa 50 Millionen Mark unterstützt.

1995 hat sich der Anbau auf den stillgelegten Flächen mit rund 360.000 Hektar gegenüber 1994 mehr als verdoppelt. „Insgesamt werden inzwischen nahezu 5 Prozent der gesamten Ackerfläche Deutschlands mit nachwachsenden Rohstoffen bebaut“, so Mann. „Vorreiter in Sachen nachwachsende Rohstoffe sind Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt.“ Laut Agrarbericht Brandenburg 1995 waren im Land Brandenburg 1994 erst 1,6 Prozent der Ackerfläche des Landes mit nachwachsenden Rohstoffen bebaut.

Die „Triebkraft“ der Arbeit der FNR liegt nach Angaben Manns darin, angesichts der Verknappung fossiler Ressourcen umweltfreundliche Vorsorgestrategien zu entwickeln. „Nach unseren Berechnungen können in Deutschland 6 bis 9 Prozent des Wärmeenergiebedarfes durch nachwachsende Rohstoffe abgedeckt werden, wenn die politischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen würden. So könnte eine beachtliche Minderung der CO2-Belastung erreicht werden.“

Die nachwachsenden Rohstoffe können grob in zwei wesentliche Bereiche eingeteilt werden: Industriepflanzenanbau auf der einen, Energiepflanzenanbau auf der anderen Seite. Das meistgewonnene Produkt aus nachwachsenden Rohstoffen ist Kraftstoff (Biodiesel), hergestellt aus Raps. An zweiter Stelle steht Stärke aus Kartoffeln, Weizen und Mais. Eine bedeutende Rolle spielen des weiteren technische Öle und Schmierstoffe aus Raps, Sonnenblume und Lein.

Auch Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, setzt auf die nachwachsenden Rohstoffe. Zu den Möglichkeiten der Forcierung der Entwicklung sagte er auf der diesjährigen „Grünen Woche“ in Berlin: „Wir müssen die Chancen, die die Gentechnik gerade bei der Entwicklung nachwachsender Rohstoffe bietet, intensiver nutzen.“

In den Bereichen Fasern, biologische Werkstoffe und Festbrennstoffe hält Stefan Mann von der FNR Zuwächse allerdings auch ohne den Einsatz von Gentechnik für möglich. „An den Ausgangsstoffen, vor allen Dingen Fettsäuren aus bestimmten Pflanzenölen, an denen die chemische Industrie jedoch hauptsächlich interessiert ist, ist eine höhere Wertschöpfung viel effizienter mit Nutzung der Gentechnik machbar.“

Nicht nur Gegner der Gentechnik sind gegenüber einer solchen Form der Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen skeptisch. Das Umweltbundesamt (UBA) hat 1993 eine Ökobilanz zu Rapsöl und Rapsölmethylester (RME) veröffentlicht. Ergebnis: „Die Förderung des Einsatzes von Rapsöl und RME als Ersatz von Dieselkraftstoff ist aus Umweltsicht nicht zu befürworten. Um das CO2-Minderungspotential von Rapsöl und RME auszuschöpfen, ist ein erheblicher finanzieller Aufwand erforderlich. Technische Alternativen zur CO2-Minderung sind kostengünstiger und schneller verfügbar.“ Derzeit wird auf über 250.000 Hektar Raps zur Kraftstofferzeugung angebaut. „In Fachkreisen gilt die Studie jedoch als umstritten. Es gibt beispielsweise vom Bauernverband erstellte Gegengutachten“, erläutert Mann.

„Die Analyse der ökologischen Aspekte der Verwendung nachwachsender Rohstoffe im Energiebereich hängt maßgeblich von den Systemgrenzen ab, die man mit in die Betrachtung einbezieht. Im allgemeinen werden diese Grenzen zu eng gezogen“, sagt Harald Kächele, Agrarökonom und Experte für nachwachsende Rohstoffe des BUND. Er meint, das Thema werde zur Zeit so aufgebauscht, um Argumente zu haben, die Landwirschaft weiter zu subventionieren. „Das derzeitige Förderungssystem ist unsinnig. Es kommt nur der Bauernlobby zugute.“ Auch für das starke Engagement der Industrie hat er eine Erklärung: „In die Gentechnik wurden enorme Mittel gesteckt. Gentechnisch behandelte Nahrungsmittel werden von den Verbrauchern jedoch nicht akzeptiert. Jetzt sieht die Chemiebranche im Bereich nachwachsende Rohstoffe ein neues lukratives Betätigungsfeld.“ Nachwachsende Rohstoffe sind nach seiner Überzeugung zur Zeit nur für Nischenbereiche „eine sinnvolle Sache“. Zum Beispiel, wenn damit Stoffe mit einem hohen Gefahrenpotential wie beispielsweise Asbest ersetzt werden können.

„Wir haben doch in Deutschland nur deswegen Flächen übrig, weil wir eine so intensive Landwirtschaft betreiben. Dies geschieht unter hohem Einsatz von mineralischen Düngemitteln und Pestiziden.“ Der Energieaufwand für die Nahrungsmittelproduktion ist zweieinhalbmal so hoch wie in den USA. Die vermeintlich freien Flächen würden für eine nachhaltige Landwirtschaft benötigt. „So gesehen kann in Deutschland unter ökologischen Gesichtspunkten keine Fläche für den Anbau nachwachsender Rohstoffe erübrigt werden.“ Er erinnert daran, daß allein für den Anbau der Tierfuttermittelimporte der EU eine Fläche von der Größe eines Zehntels der landwirtschaftlichen Fläche der EU benötigt werde. „Populistisch gesagt: Zehn Prozent der hiesigen landwirtschaftlichen Nutztiere grasen quasi am Rio Grande“, so Kächele, der auf sanfte Technologien und extensive Landwirtschaft setzt.

Auch unter dem Gesichtspunkt Klimaschutz würden die derzeitigen Subventionen in den „falschen Bereich gepumpt“. Es sei viel sinnvoller, mit diesem Geld Energiesparmaßnahmen zu fördern: „Würde das Geld beispielsweise in die Altbausanierung gesteckt, könnte mit der gleichen Summe eine zehnfach größere CO2-Reduzierung erreicht werden.“

Kächeles Fazit: „Erst wenn der Bedarf an Naturschutzflächen, Futterflächen und Flächen für extensiveren Nahrungsmittelanbau bereitsteht, sollte über den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen in größerem Rahmen nachgedacht werden.“