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Stellensuche ist ein Glücksspiel

Schulabgänger hoffen auf eine berufliche Zukunft. Doch Berufsberater können nichts versprechen. Die freien Plätze im Handwerk sind uninteressant  ■ Von Torsten Teichmann

„Mein Vater wollte, daß ich im Finanzamt anfange“, erzählt Sandra. Dort verdiene die 15jährige viel Geld, und der Job wäre sicher, habe er zu ihr gesagt. Besonders jetzt, wo das Sparen den Alltag dominiert. Doch seit ihrem siebten Lebensjahr hat Sandra keinen anderen Wunsch, als Erzieherin zu werden. Ein Beruf, für den zur Zeit der Einstellungstopp gilt.

Sie und ihre Klassenkameraden der Klasse 10c der Hugo-Gaudig- Oberschule in Tempelhof schreiben die letzen gemeinsamen Aufsätze und Physikklausuren, bevor sie im Sommer die Schule in Richtung „unsichere Zukunft“ verlassen. Denn kaum einer der Schüler weiß genau, ob seine Ausbildung ihm später einen Arbeitsplatz garantieren kann. Und auch die Berufsberater zucken nur mit den Schultern.

Sandra hat sich um eine fünfjährige ErzieherInnenausbildung beworben, nach der sie einen Zusatzkurs belegen will, um irgendwann mit taubstummen Kindern arbeiten zu können. „Die Idee kommt von meinem Berufsberater“, sagt sie. 174 Berufsberater gibt es für Berlins Schulabgänger. Sie wüßten, wie miserabel das Angebot von Ausbildungsplätzen auf dem Lehrstellenmarkt ist, und müßten trotzdem die Schüler motivieren, auch nach 50 Bewerbungen nicht aufzugeben, klagt Jürgen Thiel, Abteilungsleiter für Berufsberatung beim Arbeitsamt sechs. Sie könnten für einzelne Berufe keine Zukunftsprognose abgeben, Schulabgängern keine sichere Branche mit guten Arbeitschancen empfehlen. Auch das Institut für Ausbildungs- und Berufsfeldforschung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg „kann keine Vorhersage für die Zukunft machen“, erklärt Mitarbeiter Hans-Joachim Schade, denn der Arbeitsmarkt sei wie ein Börsenspiel, und „wer sich nur an den aktuellen Informationen orientiert liegt schief“.

Die Nachrichten über Entlassungen und Lehrstellenmangel beeinflussen die Schüler bei ihrer Ausbildungswahl: Er habe sich um eine Lehre als Kaufmann beworben, erzählt der 15jährige Baik- Yiub, dieser Beruf biete Sicherheit. So habe seine Mutter viele Inserate in der Zeitung gelesen, in denen kaufmänische Angestellte gesucht werden. Sein Mitschüler Markus (16) möchte Ingenieur werden und hofft, daß es eine „Stellenlücke“ gibt, wenn er mit der Ausbildung fertig ist. Auch er habe darüber schon in der Zeitung gelesen.

Trotzdem will keiner von ihnen einen Beruf lernen, der Sicherheit bietet, aber keinen Spaß macht. Ein Lehre beim Handwerk zieht kaum ein Schüler in Betracht, auch wenn es dort Jahr für Jahr noch offene Ausbildungsplätze gibt. Das sei draußen und schmutzig, erklärt Abas (17). Das Arbeitsamt versucht die Jugendlichen auch auf solche Berufe umzuorientieren. Doch die Motivation ist wichtig. Wenn sie jeden Tag zur Arbeit gehe, aber es gefalle ihr nach wenigen Tagen nicht, platzt Melanie (15) heraus, „kann ich die Arbeit nicht gut machen“.

„Deshalb richten wir uns bei der Beratung der Schüler auch nach Interessen und Fähigkeiten“, begründet Thiel die stete Gültigkeit der alten Formel. Lehrlinge mit Motivation seien bereit, sich weiterzubilden, und gehörten seltener zu denen, die eine Ausbildung abbrechen.

Zu Melanies Lieblingsfilmen zählen die „Police Academy“- Streifen. Sie dreht sich beim Erzählen etwas verlegen die blonden Locken um die Finger. „Ich habe mich um den mittleren Polizeidienst beworben“, erklärt sie. Eigentlich war ihr Traumberuf Kriminalkommisarin, aber „dafür fehlt mir das Abitur“.

Ein Viertel der Schulabgänger der Realschule Hugo Gaudig entschieden sich, aufs Gymnasium oder eine Fachschule zu wechseln. „So viele wie noch nie“, kommentiert Schulleiter Günther Rolles. Das sei ein Ergebnis der Unsicherheit, und die Schüler versuchten mit einem höheren Abschluß ihre Chancen zu erhöhen, vermutet er.

Doch ein guter Realschulabschluß, da sind sich alle einig, sei mehr wert als ein schlechtes Abitur. Nur René ist sich nicht sicher, denn er denkt an seine Einstellungstests bei den Banken. Er sitzt unruhig auf seinem Stuhl und erzählt, daß „wir bei einem Test nur zwei Realschüler waren, aber 25 Abiturienten“. Bei den meisten Geldinstituten wurden an ihn die gleichen Anforderungen gestellt wie an die Abiturienten. Die Jobs gingen immer an die anderen. Jetzt will René weiter die Schulbank drücken, um auch das Abitur zu machen.

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