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Die Grenzen des Möglichen

■ Seit fünf Jahren bringt der Pfarrer Hans-Dieter Winkler Hausbesetzer und Besitzer in Prenzlauer Berg an einen Tisch. „Als Christ in der Gesellschaft präsent sein“

„Als einzelner kann man nicht viel erreichen, aber man kann einen Tropfen beigeben auf eine Stelle, wo es ätzt.“ Hans-Dieter Winkler, Pfarrer der evangelischen Zachäus-Gemeinde in Prenzlauer Berg, spart nicht mit solchen Tropfen zur Linderung der gröbsten Konflikte. Im Umfeld seiner Gemeinde hat sich der Pfarrer mit den Behörden der DDR angelegt und nach der Wende zwischen Politik, Eigentümern und Hausbesetzern vermittelt. Seit 1990 moderierte Winkler die über 50 Sitzungen des Runden Tischs Instandbesetzung in Prenzlauer Berg.

Reden statt räumen war das Motto: Hier wurden die ersten Verträge für besetzte Häuser nach der Wende ausgehandelt. Auch als nach 1990 nach der Berliner Linie keine weiteren Besetzungen geduldet werden sollten, setzte man sich in Prenzlauer Berg unter Winklers Leitung zusammen, anstatt neubesetzte Häuser zu räumen. Der Gottesmensch bedauert, daß die Christdemokraten sich nur selten am Runden Tisch einfanden: Da fehle es an Toleranz.

Manchmal reichen aber auch Winklers Tropfen nicht aus: Für die jugendlichen Obdachlosen, die nach einem Brand in einem besetzten Haus im Januar mehrere Wochen bei Eis und Schnee auf dem Helmholtzplatz campierten, konnte auch der Pfarrer kein Ausweichquartier besorgen. Er unterstützte den Willen der Gruppe, zusammenzubleiben: „Ich bejahe zutiefst, daß dieses Zusammenleben eine Kraft ist, die wirken kann“, bedauert Winkler das Scheitern an den Bezirkspolitikern, die an einer kleinteiligen Lösung festhielten. Er organisierte eine Beerdigungsfeier für die Brandopfer, auch wenn die Bierflaschen und Punkmusik der Trauergäste selbst Winkler irritierten.

In seiner Gemeinde stößt sein Engagement auf wenig Resonanz. „Die kriegen das meistens gar nicht mit, außer wenn es mal in der Zeitung steht.“ So muß er auch selten seine Arbeit mühsam rechtfertigen. Er bedauert die „fehlende Wachheit“ der Menschen, die nur Angst hätten zu verlieren, was sie haben, und daher sein Engagement für Jugendliche mit zerrissenen und dreckigen Hosen nur schwer verstünden.

„Wenn man in die Zukunft schaut, muß man eigentlich resignieren“, meint der Vater von vier Kindern. Für ihn als Christ sei aber das Reich Gottes durch Jesus Christus in die Welt gekommen. „Das muß mich prägen und durch mich in die Welt strahlen.“ So sieht er sich auch in der Pflicht, nicht nur in der Gemeinde, sondern auch in der Gesellschaft präsent zu sein. „Viele verstehen das nicht. In dem Sinne ist man einsam“, bedauert Winkler.

Doch aufgeben will er nicht. Schon zu DDR-Zeiten versuchte der 61jährige die Grenzen des Machbaren auszuloten. Er organisierte Jugendfahrten, auch wenn sie nicht genehmigt waren. „Wir sind mit Fahrrädern durch Bulgarien gefahren, haben uns privat einquartiert. Bis die uns bemerkt haben, waren wir schon wieder weg.“ Kurz vor der Wende setzte er gegen die Kritik seiner Gemeinde durch, daß sich eine Gruppe Ausreisewilliger in den Kirchenräumen treffen durfte. Nach der Wende gab es wieder Kritik an ihm, weil er offen auch mit den Blockflöten der Ost-CDU zusammengearbeitet hatte.

Distanz hat sich Winkler auch gegenüber dem neuen System bewahrt. Als „Kernpunkt, der das kapitalistische System so menschenunfreundlich macht“, hat er die Geldwirtschaft ausgemacht. „Nach einer Erbschaft habe ich gemerkt, daß ich hohe Zinsen bekomme, bloß weil ich viel Geld habe.“ In dem zur Zeit gemeinsam von der evangelischen und katholischen Kirche bundesweit erarbeiteten Papier zur wirtschaftlichen und sozialen Lage komme das Stichwort Geld jedoch gar nicht vor. Dies will Hans-Dieter Winkler nun durch einen eigenen Beitrag ändern.

„Bis zu den Wahlen im Mai 1990 hatten wir die Gewalt des Volkes im Stadtbezirk verwaltet“, erinnert sich der Pfarrer an die Zeit der Runden Tische. „Das konnte aber nur eine Übergangszeit sein.“ Heute allerdings fragt sich Winkler wieder, ob außerparlamentarische Demokratie notwendig ist. „Was soll denn dieser Quatsch“, regt sich der auf Ausgleich Besonnene über die „persönlichen Querelen“ bei der langwierigen Bezirksamtsbildung auf. Dabei seien drängende Probleme wie Obdachlosigkeit und Leerstand längst nicht gelöst. Winkler will daher eine neue Runde zusammentrommeln, um mit Obdachlosen und Sozialamt präventiv ein langfristiges Projekt zu initiieren. Ein passendes, leerstehendes Haus dafür hat er schon ins Auge gefaßt. Gereon Asmuth

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