Pater Johannes, patriotischer Waffenhändler

Auch aus Deutschland wurden Waffen nach Bosnien-Herzegowina geschmuggelt – trotz des Embargos. Ein kroatischer Priester wurde deshalb zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Begleitpapiere stammten von Caritas  ■ Von Thomas Deichmann

Die Kroatische Katholische Kirchengemeinde in Ludwigshafen wird Weihnachten 1995 in zwiespältiger Erinnerung behalten. Zwar waren alle Schäflein beisammen, den Segen gab es aber von einem gestraften Sünder: Pater Ivan Sesar, kurz Pater Johannes, Franziskaner aus Kroatien und Leiter der Pfarrei. Der 51jährige war am 7. Dezember vom Wirtschaftsschöffengericht Saarbrücken zu 18 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden.

Ihm wurde angelastet, zwischen November 1992 und Januar 1993 insgesamt 45 Lkw-Transporte mit Handfunkgeräten, Stahlhelmen, Schlafsäcken, Feldküchen und Militäruniformen im Gesamtwert von 5,1 Millionen Mark an das bosnische Militär organisiert und somit gegen das deutsche Außenwirtschaftsgesetz verstoßen zu haben. Ein raffiniertes Manöver: Der Geistliche hatte seine guten Beziehungen zum Caritasverband über die Diözese Speyer ins Spiel gebracht und von dort die notwendigen Begleitpapiere für die Militärguttransporte erhalten.

Seit Sommer 1992 war das Zollfahndungsamt Saarbrücken dem Verstoß gegen das UN-Waffenembargo bereits auf der Spur. Beobachtet wurden Aktivitäten des renommierten Geschäftsführers Edelmann aus St. Ingbert, der seit dem Mauerfall im legalen Handel mit NVA-Material rührig war. Bei Routinekontrollen des Zollamts Bad Reichenhall an der deutsch- österreichischen Grenze schnappten Fahnder am 28. November 1992 und 11. Januar 1993 zu: Sichergestellt wurden zwei mit Caritas-Papieren versehene Lkw-Ladungen mit militärischen Ausrüstungsgegenständen. Bei Durchsuchungen der Wohnungen und Firmenräume des St. Ingberter Handelsunternehmens, auf dessen Gelände verladen wurde, des Caritas- Büros in Speyer und der Räume der Kroatischen Gemeinde in Ludwigshafen wurde weiteres Beweismaterial sichergestellt.

Im Janaur 1995 erfolgten die ersten Festnahmen: Ein beim Handelsunternehmen Edelmann angestellter 31jähriger Beauftragter des bosnischen Militärs saß ab dem 6.Januar ein, Pater Johannes ging am 23.Januar in Untersuchungshaft. Im März folgten ihnen der 56jährige Geschäftsführer und zwei weitere Angestellte des Unternehmens. Gegen vier weitere Hauptverdächtige aus dem ehemaligen Jugoslawien wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Der Haftbefehl gegen den Militärbeauftragten wurde allerdings gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Anwalt Teusch aus Saarbrücken bestätigte, daß die Zahlung der Kaution in Höhe von 100.000 DM über die Bonner Botschaft Bosnien-Herzegowinas veranlaßt wurde.

Der Prozeß gegen den Pater ging rasch über die Bühne. Am 29. November 1995 wurde gegen den Anfang April gegen Kaution aus der U-Haft entlassenen Franziskaner Anklage erhoben, eine Woche später durfte er das milde Urteil vernehmen. Staatsanwalt Pattar sah keinen besonders schweren Fall des Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz, weil Pater Johannes „im wesentlichen aus patriotischen Gründen und ohne eigene wirtschaftliche Interessen“ gehandelt habe. Verteidiger Morweiser aus Ludwigshafen ergänzte, beim Angeklagten handele es sich nicht um einen Kriminellen, sondern um einen Priester, bei dem der „humanitäre Gedanke“ im Vordergrund stand.

Das Gericht hielt ihm vor, versäumt zu haben, beim Außenhandelsamt um eine Genehmigung der Transporte angefragt zu haben. Obwohl seit Jahr und Tag über das Waffenembargo gegen Exjugoslawien gestritten wird, gab sich Pater Johannes unwissend ob solch bürokratischer deutscher Formalitäten. Das vom bosnischen Militärbeauftragten bestellte Material sei ohne sein Wissen ans Militär weitergeleitet worden, und er sei davon ausgegangen, daß auch Zivilisten Gebrauch davon machen könnten. Mit den Gepflogenheiten in Kroatien kannte sich Pater Johannes besser aus. Er gab zu Protokoll, die Einfuhrerlaubnis vom kroatischen Verteidigungsministerium eingeholt zu haben.

Während Pater Johannes mit einem blauen Auge davonkam, wurden gegen andere Embargobrecher in Saarbrücken zuvor bereits herbe Urteile gefällt. Im August 1994 verurteilte die Große Wirtschaftskammer am Landgericht einen Spediteur aus Luxemburg und seine Lebensgefährtin zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft ohne Bewährung. In 27 Fällen hatten sie nicht etwa Militärgerät nach Serbien, sondern tiefgekühlte serbische Himbeeren, Himbeereis, Damenblusen und andere Waren im Wert von rund 1,2 Millionen DM nach Deutschland eingeführt. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Landgerichts allerdings teilweise wiederaufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.

Mit mildernden Umständen wie im Falle des katholischen Paters dürfen auch die übrigen Verdächtigen des aktuellen Schmuggelfalls nicht rechnen. Das Zollfahndungsamt hat den Abschlußbericht über die Aktivitäten des St. Ingberter Unternehmens bereits an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Anwalt Teusch erwartet, daß auch die Ermittlungen gegen seinen Klienten aus den Reihen des bosnischen Militärs demnächst abgeschlossen werden. In diesem Monat ist mit der Anklageerhebung und im Mai oder Juni mit der Prozeßeröffnung zu rechnen.

Pater Johannes, dem vor Gericht bescheinigt wurde, sein Verfahren habe nichts mit dem bevorstehenden gegen die St. Ingberter Embargobrecher zu tun, ist vorzeitig aus dem Schneider. Mit ihm freuten sich auch der Caritasverband Speyer und die Katholische Bischofskonferenz Deutschlands: Der rasch und unspektakulär durchgezogene Prozeß diente dazu, Caritas und die katholische Kirche aus den Schlagzeilen zu nehmen.

Zweifelsohne zählt Caritas zu den wichtigsten Hilfsorganisationen für die Menschen auf dem Balkan. Allein von der Diözese Speyer wurden seit Juni 1991 mehrere hundert Transporte nach Kroatien und Bosnien-Herzegowina geschickt. Die Caritas-Hilfe aus Deutschland schaffte im internationalen Vergleich den größten Posten an humanitärer Hilfe nach Bosnien und Kroatien. In Speyer und in der Caritas-Hauptzentrale in Freiburg war man daher besorgt, daß der gute Ruf der Hilfsorganisation wegen der Machenschaften des katholischen Paters leide. Nach den Funden beim Zoll in Bad Reichenhall wurde strikte Anweisung gegeben, alle Ladungen, die von Caritas autorisiert wurden, sorgfältig zu kontrollieren.

Der in Speyer für die Transporte zuständige Auslandsreferent Rupert Immersberger zeigte sich enttäuscht von Pater Johannes, der seit etwa zwanzig Jahren in Ludwigshafen tätig ist und freundschaftliche Beziehungen zur Caritas pflegte. Er hat nun das Gefühl, hinters Licht geführt worden zu sein.

An einer offenen Diskussion über möglicherweise weiterreichende Hintergründe des Delikts und die Rolle der einzelner Franziskaner in Kroatien und Deutschland zeigt Immersberger kein Interesse. Die Caritas in Speyer war vor allem darum bemüht, jegliche Verantwortung für den Embargo- bruch von sich zu weisen. Anzeichen für eine bewußte Caritas- Verstrickung in den Embargo- bruch existieren tatsächlich nicht. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Caritas-Referenten wurde eingestellt. Die Transporte wurden von der kroatischen Gemeinde organisiert, aber immerhin erhielten sämtliche Ladelisten und die Ausfuhrpapiere nach Kroatien Stempel und Unterschrift vom Caritas- Referenten in Speyer.

Mitarbeiter der bosnischen Hilfsorganisation Merhamet würdigen die humanitäre Hilfe von Caritas, zeigen sich jedoch verwundert angesichts der Nachlässigkeit der „Profiorganisation“ und mitunter auch verärgert über die Art, wie der Vorfall von Caritas behandelt wurde. Daß Dutzende von Lkw-Transporten mit Blankounterschriften ins Kriegsgebiet geschickt wurden, ist für die Mitarbeiter im Hilfstransportgeschäft nicht nachvollziehbar.

Bei Merhamet Deutschland, der größten bosnischen Hilfsorganisation im Lande, seien drei Mitarbeiter darauf angesetzt, die Korrektheit aller Lieferungen und der Papiere zu überprüfen, erklärt ihr Vorsitzender Irfan Coković. Man wisse, daß in Deutschland Mafia- banden aktiv seien, um Waffen auf den Balkan zu schleusen.

Merhamet fühlt sich von Caritas und den Medien unfair behandelt, weil der eigene Name bei den Diskussionen über Pater Johannes und Caritas immer wieder auftauchte und der Eindruck entstand, Merhamet sei Drahtzieher im Hintergrund gewesen. Caritas- Justitiar in Speyer, Dietrich Liebhaber, erklärte in diesem Sinne, der Franziskaner sei Ende 1992 an die Diözese in Speyer herangetreten und habe um Unterstützung für Hilfstransporte der noch im Aufbau befindlichen Merhamet- Organisation gebeten. Fakt ist, daß die bosnische humanitäre Organisation, deren Bundesdachverband in Bonn sitzt, im Prozeß gegen Pater Johannes keine Rolle spielte.

Irfan Coković liegt es fern, Caritas anzuschwärzen. Daß seine Organisation aber immer noch im Zusammenhang mit dem Caritas-Fall in Speyer genannt wird, wertet er als unschöne Geste von Caritas. Coković bestreitet, daß seine Organisation in den Fall verwickelt ist. Zum Vorwurf, Merhamet sei auf einigen Frachtpapieren als Empfänger aufgetaucht, erklärte er, jeder könne einer beliebigen Organisation in Zagreb etwas spenden und dies in den Papieren notieren. Das bedeute aber noch nicht, daß die Ladung beim offiziellen Adressaten ankomme.

Angaben des Zollfahndungsamts Saarbrücken zufolge liegen gegen Merhamet Deutschland keinerlei Verdachtsmomente vor. Anders verhält es sich jedoch bei der Mutterorganisation in Sarajevo. Im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Prozeß gegen das St. Ingberter Unternehmen spielt Merhamet Bosnien- Herzegowina keine unbedeutende Rolle. Ein Sprecher des Zollfahndungsamtes bestätigte, daß die Schmuggler nach der Beschlagnahmung der beiden Caritas-Lieferungen in Bad Reichenhall ihre Taktik änderten, um die Zollfahndung weiter zu täuschen. Vor den Funden wurde auf den Frachtpapieren mit Caritas-Stempel und Unterschrift aus Speyer das Caritas-Büro in Zagreb als Adressat angegeben. Fünf dieser umstrittenen Transporte seien irrtümlicherweise bei Caritas angekommen, die übrigen 40 jedoch direkt nach der Grenze ans bosnische Militär umgeleitet worden.

Nach dem Fahndungserfolg der Zollbeamten in Bad Reichenhall habe man dann mit Blankopapieren der Hilfsorganisation Merhamet Bosnien-Herzegowina gearbeitet. Diese Papiere seien in Sarajevo vorbereitet und von dort nach St. Ingbert gebracht worden, wo die letzten Eintragungen wie Tonnage und Name des Fahrers vorgenommen wurden. So entstand weiter der Eindruck, es handele sich um offizielle Hilfslieferungen, die im Auftrag von Merhamet von der St. Ingberter Firma ausgeführt wurden. Nach der Zwischenlagerung in Zagreb wurden die an Merhamet adressierten Lieferungen ans bosnische Militär weitergeleitet. Im April und Mai 1993 schnappten die Zollfahnder in Bad Reichenhall erneut zu und deckten auch diese Arbeitsweise auf: Sie stellten zwei weitere Lkws mit Militärgütern sicher.