piwik no script img

Das Duell der Doppelgänger

Er kauft sich einen alten Mercedes – die Limousine von Konrad Adenauer. Hat er Zweifel an der Echtheit? Er sucht Unterlagen über den Wagen. Und das wird zu einer Irrfahrt durch die Bürokratie. Mit im Fond: Daimler in Stuttgart, eine MP, das Bonner Haus der Geschichte  ■ Christopher J. Bjerknes

Am 8. Mai 1956 wurde eine Mercedes-Benz-Limousine mit Sonderausstattung an den westdeutschen Kanzler Konrad Adenauer geliefert. Die Limousine war vom Typ 300C mit verlängertem Radstand und einer Trennwand – der ersten ihrer Art. Diesen Wagen kaufte ich im August 1988 bei einem kleinen Gebrauchtwagenhändler in Hillsboro, Texas. Das war der Beginn einer langen Odyssee, die mich dreimal nach Europa und in eine Welt der Geheimnisse und Täuschungen führte.

Der Wagen steckte voller Extras: Vorhänge an den hinteren Türen, ein kleiner Klapptisch an der Rückseite der Trennwand, ein Feuerlöscher neben dem Fahrersitz, Geheimfächer in der rechten hinteren Tür, Handgriffe, Haken, Batterien von Knöpfen, Schaltern und Hebeln. Besonders auffällig war ein kompliziertes System aus Ösen und Rollen, mit dem eine Schnur vom Fahrersitz entlang der Decke zu einem Vorhang am Rückfenster geführt wurde.

Ich wälzte Bücher über Mercedes-Benz-Autos und schaute mir viele Mercedes-Benz 300 an, die zum Verkauf angeboten wurden. Aber ich fand keinen einzigen, der meinem Wagen auch nur entfernt ähnlich war – bis ich nach Deutschland kam. In einer Buchhandlung in Würzburg stieß ich auf das Buch „Sterne, Stars und Majestäten“. Es enthielt ein Bild von einem Auto, das dem meinen ähnelte: Konrad Adenauer und Dwight D. Eisenhower standen aufrecht im Wagen in der Öffnung des Schiebedachs und winkten in die Menge. Adenauer-Biographien lieferten mir viele weitere Bilder, Bilder genau meines Wagens.

Eine deutsche Freundin und ich beschlossen, das Mercedes-Benz- Museum in Stuttgart-Untertürkheim zu besuchen und Mercedes an der Freude meiner Entdeckung teilhaben zu lassen. Zu unserer Überraschung fanden wir im ersten Stock des Museums Adenauers Mercedes-Benz-Limousine von 1959, mit Schiebedach, Trennwand, Tisch, Vorhang am Rückfenster mit Leine und Rollen zum Fahrersitz etc. Wir beschrieben einem Herrn Auffahrt meinen Wagen und wiesen auf seine Ähnlichkeit mit dem Exemplar von 1959 hin. Wir erzählten ihm, wir hätten Bilder meines Wagens mit Adenauer bei Paraden gesehen. Ich nannte ihm die Seriennummern meines Wagens. Herr Auffahrt ging nach hinten und kehrte mit einem Buch zurück: „Mercedes- Benz-Personenwagen 1886–1986“. Beim Abschnitt über die 300er Limousine wurde er ganz aufgeregt und las laut eine Stelle über Konrad Adenauers langen 300C vor. Ich fragte Herrn Auffahrt, ob ich die Originaldokumente für meinen Wagen haben könnte. Er schrieb sich die Seriennummern meines Wagens auf. Er sagte, er würde bald von sich hören lassen.

Etwa eine Woche später rief mich Herr Auffahrt in Deutschland an. Er sagte, wegen der deutschen Datenschutzgesetze könne er mir leider nicht mitteilen, wer der ursprüngliche Eigentümer meines Wagens gewesen sei. Er sagte, Herr Maier führe das Kommissionsbuch, und Herr Maier wolle ihm keinen Einblick gewähren. Herr Auffahrt sagte, er sei sicher, daß mein Wagen nicht Adenauers Wagen sei, denn Adenauer habe nur drei Wagen gehabt, und alle drei stünden in Museen. Ich bat Herrn Auffahrt, mir die Fotokopien über Adenauers langen 300C zu schicken.

Die Datenkarte, die Herr Auffahrt mir zuschickte, führte die beiden Hauptseriennummern auf, die meinen Wagen identifizieren: Aufbaunummer A186017-6500153; und Fahrgestellnummer 186017- 7500034; sowie den Liefertermin, 5. Februar 1957. Dieses Dokument kehrte in leicht veränderter Form als Lieferschein wieder. Dies sind tatsächlich die Aufbau- und Fahrgestellnummern meines Wagens heute. Der Wagen wurde jedoch 1956 ausgeliefert, das Fahrgestell 1957 ersetzt. Das ergibt sich aus den Nummern. Die Nummer für den Aufbau setzt sich aus den folgenden Bestandteilen zusammen: Die ersten sieben Stellen bilden die Nummer des Modells oder Baumusters, A186017 (in diesem Fall bedeutet die Baumusternummer eine Limousine vom Typ 300C mit einem durchgehenden Webasto- Schiebedach); die beiden nächsten Ziffern 65 stehen – umgekehrt – für die beiden letzten Ziffern des Produktionsjahrs: 1956. Enstprechend läßt sich die Fahrgestellnummer in ihre Bestandteile auflösen: Die ersten sechs Ziffern enthalten die Modell- oder Baumusternummer, 186017 (wieder für eine Limousine vom Typ 300C mit einem durchgehenden Webasto-Schiebedach), die nächsten beiden Ziffern sind wieder in Umkehrung die beiden letzten Ziffern des Herstellungsjahres, 75 gleich 1957.

Das ein Jahr später als der Aufbau hergestellte Fahrgestell muß daher ein Ersatzteil sein. Es ist unmöglich, daß der Wagen als Neuwagen 1957 mit einem Aufbau ausgeliefert wurde, der Anfang 1956 hergestellt worden war. Folglich muß der Wagen 1956 ausgeliefert worden sein und erhielt 1957 ein anderes Fahrgestell.

Ich glaube nun, Mercedes-Benz will die Sache verschleiern. Weil mein Wagen jetzt ein Ersatzfahrgestell von 1957 hat und weil die Wagen nach ihren Fahrgestellnummern registriert werden, behauptet Mercedes, mein Wagen sei als Neuwagen erst 1957 ausgeliefert worden.

Die Presse und das Haus der Geschichte in Bonn gaben als Fahrgestellnummer von Adenauers langem 1956er Mercedes-Benz 300C an: 186017-6500372. Diese Nummer paßt recht gut zu der Aufbaunummer meines Wagens: A186017-6500153. Konrad Adenauers 1956er 300C war die erste – als Prototyp – gebaute lange Ausführung eines 300C. In die Normalproduktion ging dieses Modell erst nach Juli 1956. Ein nach Juli 1956 bestellter Wagen hätte demnach eine weit höhere Aufbaunummer als mein Wagen. Daher muß A186017-6500153 der erste lange 300C sein, der gebaut wurde.

Fassen wir zusammen: Mein Wagen hat den Aufbau des ersten gebauten langen 300C; Konrad Adenauers Wagen hatte den Aufbau des ersten gebauten langen 300C; folglich ist mein Wagen der Wagen Konrad Adenauers.

Das Buch „Mercedes-Benz- Personenwagen 1886–1986“ erwähnt – genau wie Herr Auffahrt – nur drei von Adenauers Wagen: den 1956er langen 300C und den 1959er 300D im Mercedes-Benz- Museum. In Wirklichkeit hatte Adenauer in seiner Amtszeit sechs Mercedes-Benz-Limousinen vom Typ 300, 300B, C und D: 1951, 1952, 1955, 1956, 1959 und 1962.

Offensichtlich war da etwas von Grund auf falsch. Statt sich über den Nachweis eines neu entdeckten Schatzes zu freuen, hatten sie mir, wie ich glaube, falsche Informationen geliefert. Aber warum? Auf der Suche nach Antworten gingen meine Freundin und ich zum Adenauer-Haus in Rhöndorf. Dort sagten wir, ich besäße Dr. Adenauers Wagen. Wir fragten, ob sie vielleicht Bilder davon hätten. Sie sagten uns, sie hätten keine, und schlugen vor, wir sollten zu Willy Klockner gehen, Adenauers Fahrer.

Er lebte in Linz, nicht weit von Rhöndorf entfernt. Dort fragten wir eine nette ältere Dame, ob sie wisse, wo Willy Klockner lebte. Wir dachten, weil Linz eine so kleine Stadt ist und Willy Klockner eine Art Berühmtheit, könnte sie das vielleicht wissen. Zuerst verneinte sie, dann beschrieb sie uns das Haus. Sie sagte, sie hätte da einmal Kaffee getrunken oder Karten gespielt oder sonst etwas.

Es war das richtige Haus. Ein alter Mann mit einem Stock ging gerade ins Haus. Wir riefen ihn an. Er winkte uns, wir sollten herunterkommen. Wir sagten, wir suchten nach Willy Klockner. Er sagte: „Herr Klockner ist verreist. Was wollen Sie von ihm?“ Wir beschrieben meinen Wagen. Er sagte: „Kommen Sie herein. Ich bin Willy Klockner.“

Wir redeten lange miteinander. Er erklärte viele der Besonderheiten des Wagens und die Gründe, warum sie da waren. Willy hätte lieber ein Kabriolett gehabt, aber die Sicherheitsleute waren dagegen. Das durchgehende Schiebedach war ein Kompromiß. Ich fragte ihn nach der Leine vom Vorhang am Rückfenster zum Fahrersitz. Herr Klockner grinste breit und erklärte, daß das Fenster auf der Fahrt von Rhöndorf nach Bonn nach Südosten lag. Wenn Adenauer die 59 Stufen durch seinen Rosengarten hinuntergeklettert war, hielt er gerne ein kleines Nickerchen. Willy schloß dann mit der Leine den Vorhang am Rückfenster, damit die Sonne nicht den Schlaf des Kanzlers störte.

In Willy Klockners gemütlichem Heim gab es einen riesigen Fernseher, und entweder der oder der Videorekorder war ein Telefunken. Wie auch immer, jedenfalls wurde mir klar, warum mein Wagen eine Sonderanfertigung von Telefunken besaß, im Unterschied zu den meisten 300ern, die Beckers haben. Wir plauderten über Staatsoberhäupter und Würdenträger aus den fünfziger Jahren; die Königin von England, Nikita Chruschtschow, Papst Johannes XXIII, den er besonders mochte, etc. Wir sprachen darüber, wie wichtig es war, daß Adenauer nicht auf das Angebot der Russen eingegangen war, Deutschland wiederzuvereinigen, falls Westdeutschland aus der Nato austräte.

In Bonn suchte ich mehrere Archive auf. Ich kaufte alte Pressefotos und fotokopierte Artikel über Adenauers Mercedes-Benz-Limousine von 1952, die das Haus der Geschichte 1988 einem Amerikaner abgekauft hatte. Ein Flugzeug der Luftwaffe beförderte den Wagen 1989 zurück nach Deutschland. Kanzler Helmut Kohl gründete das Haus der Geschichte, um die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu dokumentieren. Praktisch gegenüber dem Bundeskanzleramt baute das Haus der Geschichte ein großes Museum, in dem das Auto untergebracht wurde.

Aber mich trennte ein Ozean von meiner Liebe. Die Geschichte meines Wagens wurde mir vorenthalten, und den Grund kannte ich immer noch nicht. Jedesmal, wenn ich in Anzeigen einen alten Mercedes-Benz zum Verkauf angeboten sah, der als Wagen einer einstmals berühmten Persönlichkeit beschrieben wurde, rief ich an und fragte den Eigentümer, wie er seine Behauptung belegen könnte. Alle sagten, sie hätten die Originalunterlagen vom Mercedes- Benz-Museum. Keiner meiner Gesprächspartner hatte offenbar Probleme gehabt, von Mercedes die vollständigen Unterlagen zu erhalten, komplett mit dem Namen des Eigentümers.

Im Juni 1993 kaufte ich einen Wagen, den ich für Konrad Adenauers dritte Mercedes-Benz-Regierungslimousine halte, den Wagen von 1955. Im Interesse der Klarheit werde ich diese Geschichte hier nicht erzählen, obwohl auch sie ziemlich kompliziert ist. August 1993 fuhr ich wieder nach Stuttgart, wieder ins Mercedes-Benz-Museum. Ich sprach mit der jungen Dame am Empfang. Ich sagte ihr, ich besäße zwei der Wagen Konrad Adenauers, und fragte, ob sie mir die Unterlagen für die Wagen beschaffen könne. Sie sagte, sie sei sicher, daß die Unterlagen vorhanden wären und daß Leute auch schon früher die Unterlagen ihrer Wagen bekommen hätten. Sie bat mich zu warten.

Nach einigen Stunden, in denen ich das Museum besichtigte, ging ich wieder zum Empfang. Sie sagte mir, für das Kommissionsbuch sei Herr Maier verantwortlich, niemand sonst dürfe hineinsehen, aber Herr Maier sei nicht in der Stadt. Herr Kellert vom Museum kam herüber und bot mir an, mir Adenauers Limousine von 1959 zu öffnen, so daß ich sie fotografieren konnte. Oben suchte Herr Kellert in seinen Schlüsseln herum, probierte einen nach dem anderen und kämpfte mit der Fahrertür. Schließlich fand er den richtigen Schlüssel und drehte den Griff um 180 Grad, aber die Tür ging nicht auf. Er ging zur Hintertür; die ging unglücklicherweise auf und prallte direkt auf den Griff der Vordertür, so daß auf der hinteren Tür ein Kratzer entstand, direkt neben dem Schild „Bitte nicht berühren“.

Nachdem ich viele Bilder gemacht hatte, kam ein Mann angelaufen, die Fotokopien meiner Fahrzeugpapiere in der Hand. Herr Kellert stellte ihn als Herrn Krause vor. Herr Krause lächelte und sagte: „So, Sie haben ein paar Wagen mit Trennscheiben?“ Ich sagte: „Ich habe zwei von Konrad Adenauers Wagen.“ Herr Krause hörte auf zu lächeln. Er sagte: „Es könnte sein, daß diese Wagen die Wagen Adenauers sind, aber bei einem gibt es zwei Wagen mit den gleichen Nummern. Wie können wir wissen, daß Sie den richtigen haben?“ Ich wies auf die Kopien meiner Fahrzeugpapiere. Ich versuchte, ihm Bilder meiner Wagen zu zeigen, aber er wollte nicht.

Er fragte: „Warum schnüffeln Sie hier herum? Was wollen Sie mit diesen Wagen?“ Ich antwortete: „Wovon sprechen Sie? Mir gehören diese Wagen. Sie sind ein Teil der Geschichte, Ihrer Geschichte. Ich will die historischen Unterlagen.“ Herr Krause fragte mich, warum ich die Unterlagen wolle, wenn ich doch schon wüßte, welche Wagen es waren. Ich fragte ihn, warum er sie mir nicht geben wollte. Während wir da im Museum neben Konrad Adenauers Limousine von 1959 standen, sagte Herr Krause: „Wir sind an Adenauers Wagen nicht interessiert. Die sind uns egal.“

Ich sagte Herrn Krause, ihr Umgang mit mir sei unglaublich, und ich würde das in die Presse bringen. An diesem Punkt griff Herr Kellert ein. Die junge Dame vom Empfang wurde losgeschickt. Kurz darauf kehrte sie mit einer Botschaft für Herrn Krause zurück, die er mir weitergab. Er sagte, die Unterlagen seien in Rheinland- Pfalz, aber es würde dauern, sie zu beschaffen. Ich sagte ihnen, wenn sie mir sagten, wo in Rheinland- Pfalz die Unterlagen wären, könnte ich sie selbst abholen. Herr Krause zögerte und sagte: „Das ist leider nicht möglich.“

In Bonn sah ich nach, ob das Haus der Geschichte fertig war. Es war noch nicht fertig. An der Ecke war ein Schild: „Bundeskanzleramt“. Ich hoffte, dort könnte ich die Unterlagen für meinen Wagen bekommen. Ich ging ins Wachhaus. Die Wachen sahen sich meine Bilder und die Kopien meiner Papiere an, und dann ließen sie mich in den Wachraum. Ich saß vor einer Schranke, neben einem Maschinengewehr mit einem Patronengurt; die Wache legte ihre Heckler & Koch MP5-Maschinenpistole direkt neben mich.

Der Wächter rief Herrn Allemeier an. Dem sagte ich, ich besäße zwei von Adenauers Wagen und suchte nach Informationen und Unterlagen dafür. Er bat mich, im Wachzimmer auf ihn zu warten. Die Wachen schlossen mich in einem Hinterzimmer des Wachhauses ein. Herr Allemeier kam und wurde mit mir eingeschlossen. Er sah sich meine Bilder an und die Kopien meiner Papiere. Er fragte mich, warum ich noch nicht bei Mercedes gewesen sei. Ich sagte ihm, ich wäre schon dagewesen, aber ich sei überzeugt, daß man mich an der Nase herumführe. Er sagte, er kenne einen mächtigen Mann bei Mercedes, mit dem werde er reden. Er bat mich, ihn wieder anzurufen.

Als ich das tat, sagte er mir, wenn ich mich recht entsinne, Adenauer habe nie einen Mercedes von 1955 oder 1956 besessen, nur einen von 1951 und einen von 1959. Ich begann, ihm von meinen Beweisen zu berichten, daß es insgesamt sechs Wagen waren. Er unterbrach mich und sagte: „Ich kann Ihnen nicht helfen.“

Warum??? Warum versuchten alle, mich hinzuhalten? Warum???

Die Antwort erwartete mich auf einem Berg in Meschede. Nachdem ich im Mercedes-Benz-Museum gewesen war, und noch vor meinem Besuch im Bundeskanzleramt, war ich in das Deutsche Museum in München gegangen. Man hatte mir irrtümlich gesagt, Adenauers Mercedes von 1962 sei dort ausgestellt. Sie hatten ihn nicht, dafür wußten sie, wer ihn hatte, ein sehr netter Kraftfahrzeugmeister namens Edmund Eckers.

Ich rief Edmund an, und er lud mich ein. Seine Limousine aus dem Jahr 1962 war genauso ausgestattet wie meine aus dem Jahr 1956: Schiebedach, Trennscheibe, Tisch, der Vorhang über dem Rückfenster wurde mit einer Leine betätigt, etc. Ich holte mein schwarzes Fotoalbum heraus, er holte sein schwarzes Fotoalbum. Ich zog mein blaues Notizbuch voller Fotokopien hervor, er holte sein blaues Notizbuch voller Fotokopien. Er zeigte mir einen Artikel über Hermann Seitz. Und da wurde alles kristallklar: Ein Doppelgänger meiner Mercedes-Benz-Limousine von 1956 war aufgetaucht! Um 1980 herum fuhr ein Hermann Seitz aus Leer einen Mercedes- Benz 300C von 1956 und behauptete, das sei der Wagen Konrad Adenauers. Er habe ihn etwa 1977 gekauft – im gleichen Jahr, in dem auch in der Welt am Sonntag ein Artikel erschien, der behauptete, die 1956er Limousine Adenauers sei, wie seine anderen auch, verschrottet worden; als Quelle für diese Information wurde Mercedes-Benz angegeben.

Ein Zufall? Sehr seltsam, daß der verschrottete 1962er jetzt in Meschede steht. Und der verschrottete 1956er jetzt in meinem Besitz ist, während dieser verdammte Doppelgänger sich auf einem Boot auf den Kanälen Norddeutschlands herumtreibt. Der verschrottete 1955er gehört ebenfalls mir. Und der verschrottete Wagen von 1951 steht im Haus der Geschichte. Eine wahre Massenwiederauferstehung.

Wer lieferte der Welt am Sonntag die falsche Information, alle anderen Adenauer-Limousinen seien verschrottet worden? Wer konnte eine gefälschte Adenauer- Limousine mit falschen Papieren versehen? Wer hätte die Möglichkeit, die Echtheit des wirklichen Wagens abzuleugnen, falls er auftauchte?

Aus Oslo in Norwegen rief ich Herrn Krause beim Mercedes- Benz-Museum an. Er sagte, meine Unterlagen seien da. Er sagte, mein „1954er“ sei an eine Versicherungsgesellschaft geliefert worden, und mein „1957er“ an einen Parfümfabrikanten in Köln. Er weigerte sich, mir die Unterlagen zu faxen, und sagte, er werde sie mit der Post schicken. Es dauerte eine Weile. Im seinem Begleitbrief stellte Herr Krause fest: „(...) unter Bezugnahme auf Ihren kürzlichen Besuch in unserem Museum schicken wir Ihnen beiliegend die Fotokopien der ,Lieferscheine‘ für Ihre beiden oben erwähnten Fahrzeuge. Sie werden sich an unser Gespräch erinnern, in dem wir bezweifelten, daß diese Wagen ursprünglich von Konrad Adenauer bestellt wurden, dem ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik. Das fiel uns leicht, weil wir wissen, wo die sechs vom Kanzler benutzten Fahrzeuge sind. (...)“ Der Brief war unterzeichnet von einem Herrn Brommer und einem Herrn Maier. Der war wohl aus dem Urlaub zurück.

Also, meine Herren, wo sind denn nun die sechs Wagen, die der Kanzler benutzte? Warum ändert sich die Geschichte ständig? Die Datenkarte für meinen Adenauer- Mercedes-Benz 300C von 1956, die Herr Auffahrt mir 1992 geschickt hatte, tauchte als Lieferschein in Herrn Krauses Brief wieder auf und enthielt nun einige der Extras, die an meinem Wagen bestellt worden waren, sowie den geschützten Namen des angeblichen ersten Eigentümers: „Ferd. Mülhens, ,4711‘ Eau de Cologne Parfümeriefabrik“. War das Datenschutzgesetz aufgehoben worden? Hatte Mercedes eine Ausnahmegenehmigung erhalten? Hatte man mich angelogen?

Ich bat Edmund Eckers, mir eine Kopie des Artikels über Hermann Seitz und seinen gefälschten Wagen zu schicken. Nachdem ich alles zwei- und dreifach nachgeprüft hatte, stieß ich auf einige augenscheinliche Diskrepanzen: Seitz' Wagen hat elektrisch betriebene Fenster und Schiebedach, während Adenauers Mercedes- Benz von 1956 handbediente Fenster und ein handbedientes Webasto-Schiebedach aufweist (ich vermute, sie wollten Adenauers Image aufpolieren); der Wagen von Herrn Seitz hat die Türgriffe der Vorder- an den Hintertüren, was nicht richtig ist. Könnte es sein, daß Adenauers Mercedes-Benz von 1959 im Mercedes-Benz-Museum als Modell für den Nachbau des Wagens von Herrn Seitz benutzt wurde? Dagegen gibt es keinerlei Diskrepanzen zwischen meinem Mercedes-Benz 300C von 1956 und Konrad Adenauers Mercedes-Benz 300C von 1956.

Mitte Juni 1995 interessierte ich Dr. Peter Rzeznitzeck, einen Washington-Korrespondenten der Rheinischen Post, für meine Geschichte. Dr. Rzeznitzeck forschte ein bißchen nach und erhielt schließlich per Fax einen Brief von Herrn Krause. In diesem Brief behauptet Herr Krause vom Mercedes-Benz-Museum, Herr Bjerknes erlaube sich mit Dr. Rzeznitzeck einen Scherz. Herr Krause behauptet, mein 1956er 300C, lange Ausführung, sei für einen sehr guten Freund Adenauers gebaut worden, dessen Namen Herr Krause aus Datenschutzgründen nicht preisgeben könne. Herr Krause behauptet, diese berühmte Kölner Persönlichkeit habe ein mit Adenauers Wagen identisches Fahrzeug bestellt und erhalten.

Also wirklich, Herr Krause, das ist doch eine Frechheit! Adenauers Wagen war zu seinem Markenzeichen geworden – wäre es da nicht respektlos gewesen, wenn ein enger Freund mit einem identischen Wagen herumgefahren wäre? Wäre das nicht ein Sicherheitsrisiko gewesen: Ferdinand Mülhens in Adenauers Stadt in einem identischen Wagen? Aber vielleicht hat Herr Mülhens Konrad Adenauer so bewundert, daß er den identischen, vom Fahrer bedienten Vorhang am Rückfenster brauchte, weil er ebenfalls ein Schläfchen hielt, wenn er Adenauer von Rhöndorf nach Bonn hinterherfuhr. Und außerdem hatte Herr Krause doch schon gesagt, mein Wagen sei mit dem Adenauers identisch!

Am 6. November 1995 faxte ich Herrn Ritter einen Brief. Ich wies ihn darauf hin, daß die Aufbaunummer A186017-6500153 meinen Wagen als den von Adenauer identifiziert, und schloß die Möglichkeit aus, daß mein Wagen erst 1957 geliefert worden sei.

Am 29. Dezember 1995 erhielt ich einen Brief von Dr. Schwung von der Rechtsabteilung von Mercedes-Benz. „(...) Laut den Unterlagen in unserem Besitz und unseren Nachforschungen wurde der Mercedes 300 in Ihrem Besitz 1957 an einen Industriellen in Köln geliefert, mit ähnlichen Extras wie bei dem von Konrad Adenauer benutzten Mercedes. Es gab jedoch einen grundlegenden Unterschied zwischen den beiden Mercedes. In der ursprünglichen Datenkarte, in der die vom Bundeskanzleramt bestellten Ausstattungsextras aufgeführt sind, ist festgehalten, daß der ursprüngliche Adenauer-Mercedes mit einer elektrischen Glastrennscheibe bestellt wurde. Der oben erwähnte Mercedes wurde nur mit einer mechanischen Glastrennscheibe ausgeliefert. Wir bekräftigen daher noch einmal, daß der oben erwähnte Mercedes in Ihrem Besitz NIEMALS von Konrad Adenauer benutzt wurde. Außerdem ist der Original-Mercedes von Konrad Adenauer im Besitz einer Privatperson, mit der wir in Kontakt stehen. Wir fühlen uns daher zu der Forderung verpflichtet, daß Sie sich aller öffentlichen Erklärungen enthalten, die geeignet wären, hinsichtlich des Eigentums an dem ursprünglichen Mercedes, der von Konrad Adenauer benutzt wurde, Verwirrung stiften könnten, insbesondere Erklärungen mit Bezug auf das Mercedes-Benz- Museum. Wir sind auch davon überzeugt, daß es in Ihrem ureigenen Interesse liegen dürfte, den von Ihnen geschriebenen Artikel nicht zu veröffentlichen, weil die darin aufgestellten Behauptungen, Sie seien Eigentümer des originalen Adenauer-Mercedes, nachweislich unwahr sind. (...)“

Ich schickte Dr. Schwung ein Fax mit den bekannten Fragen. Bis zum 1. Februar 1996 ist mir noch keine Antwort von Dr. Schwung zugegangen. Wer liefert die falschen Informationen? Hier werden historische Tatsachen verdreht. Man muß sich ernstlich fragen, ob dem eine Absicht zugrunde liegt. Vielleicht der Plan, eine Lüge so oft zu erzählen, bis sie zur Wahrheit wird? Das Duell möge beginnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen