: Unter kommen sie immer
■ Tranchieren, Blanchieren: An der Bremer „Akademie Überlingen“ werden arbeitslose KöchInnen fortgebildet
Ein paar Tropfen gehen schon daneben, als der Kellner den österreichischen 94er Cabernet Sauvignon Spätlese dekantiert. Bei der Cocktail-Bestellung hat er die falschen auf dem Tablett stehen. Dafür gehen dem Mann die Ingredienzien der alkoholfreien Cocktails „Simply Red“ und „Cool Water“ fließend von der Zunge. Perfekt auch das Ritual, wenn feierlich der Auftritt des „Chili con carne, Knoblauch Chablure“ von einer weiteren freundlichen Service-Kraft zelebriert wird, gefolgt vom „Schweinefilet Lambada mit Auberginen und Käse überbacken, Reis Equiplenia, Sauerrahm mit Rosmarin“. Ein paar adrett gedeckte Tische, allerhand livriertes Personal, gut gelaunte Esser. Vor dem Haus 117a an der Contrescarpe weisen jedoch weder Speisekarte noch Brauereiwerbung auf ein Restaurant hin. Denn in der „Akademie Überlingen“ wird bloß geübt.
Seit 1984 wird im Gastronomie-Trainingsbetrieb der Dienst am Gast trainiert. Mit allem, was dazu gehört. Filetieren, Tranchieren, Blanchieren zum Beispiel unter den wachsamen Augen von Küchenmeister Heinz Hieronymus. Vorlegen, Dekantieren, Silber-Polieren unter Restaurant-Fachfrau Franka Hieronymus, des Küchenmeisters Schwester, der Zufall will es so. Schließlich Reservierung, Abrechnung, Rezeptions-Tätigkeit in der Abteilung Hotel-EDV. 35 TeilnehmerInnen durchlaufen derzeit – im Rahmen einer sechsmonatigen Fortbildungsmaßnahme – wahlweise eine der drei Abteilungen in der Akademie Überlingen. Was sie verbindet: Alle sind arbeitslos. Manche sind Alkoholiker oder Analphabeten oder schieben Schuldenberge vor sich her. Elf Prozent sind Aussiedler und Ausländer. 70 Prozent sind ungelernte Kräfte. Etwas über die Hälfte der AbsolventInnen sind männlich.
Und einer von ihnen war Ladislav „Laci“ Klein, der heute eine Handvoll Restaurants betreibt – zum Beispiel das im Überseemuseum. „70 Prozent unserer Absolventen kriegen eine Stelle, ein sehr guter Schnitt“, sagt frohgemut Christian Memmert, Standortleiter der Akademie Überlingen, die früher mal am Bodensee residierte und nun bundesweit 33 Niederlassungen zählt. Einen ungeheuren Motivationsschub bedeute es denn auch, sagt Memmert, wenn seine Leute mitkriegen, daß wieder einer untergekommen ist. Zum Beispiel die junge Rußland-Deutsche, die die Fortbildungsmaßnahme nach kurzer Zeit abgebrochen hat. Sie konnte schon alles. Und wurde kurzerhand abgeworben von „Schröter's Leib und Seele“ im Schnoor. „Mittlerweile rufen die Arbeitgeber bei uns an“, sagt Heinz Hieronymus. Der aussieht, wie ein Koch aussehen muß, und dazu wie einer, der seinen Schülern den Spaß am Kochen vermitteln kann. Die 13, die zur Zeit dabei sind, wuseln um die Herde; bis zu 40 Essen täglich, dreigängige Menus, wollen zubereitet werden. Was auf den Teller kommt, entscheidet die Kreativität der SchülerInnen. Und wenn die mal in kostspielige Hummer-Phantasien verfallen? Schließlich wird die Arbeit der Akademie Überlingen vom Arbeitsamt finanziert. Hieronymus antwortet, indem er lässig einen Beutel mit Dutzenden wertvoller Safran-Näpfchen zu Tage fördert. „Unsere Gäste zahlen ja für das Essen“, sagt er. „Mischkalkulation.“
Ansonsten läßt man sich was einfallen: „Mal kommt die Industrie, um ein neues Convenience-Püree vorzustellen, mal laden wir einen Gemüsehändler ein, der zwei Stunden zum Thema referiert.“ Neulich habe ein Teilnehmer ein angefahrenes Reh angeschleppt, das mußte zerlegt werden und verarbeitet. Vorher wurden die Sensibilitäten geklärt: Nicht jeder hatte schon ein Tier „vom Leben zum Tode“ befördert. Aus „Solidarität“ wollte man dem Reh vorher eine Kapuze überziehen.
Und wenn keiner Ideen für die Speisenfolge hat, hilft Hieronymus nach. Erfahrung als Ausbilder hat er von seiner Zeit bei der Gemeinschaftsverpflegung bei der Bundeswehr. „Eigentlich bin ich ja als Koch überqualifiziert.“ Gelernter Betriebswirt und Diätkoch sei er außerdem. „Aber die Arbeitszeiten sind hier besser als draußen“.
Theoretischer Unterricht immer morgens von halb acht bis 11. Hausaufgabe, heute: „Was sind Finnen?“ Nämlich: nicht etwa die bekannten Skandinavier, sondern Bandwürmer im Jugendstadium. Außerdem auf dem Lehrplan: Welcher Aperitif paßt zu welchem Essen; was erzählt das Etikett auf der Weinflasche? Um dem Service-Team weinkundlich auf die Sprünge zu helfen, fährt man auch mal auf Exkursion in den Rheingau. Der Europäische Sozialfonds zahlt.
Daß Christian Memmert hinter seiner Akademie steht, beweisen nicht bloß die Zahlen. Der Mann hat eine Mission. Er glaubt an die berufliche Fortbildung. Seit viereinhalb Jahren ist er mit dabei, und wenn der Chef im Speisesaal sitzt, ist er der „schwierigste Gast“. Heute läßt er ein großes Lob an die Küche ausrichten. Und beiseite gesprochen: „Auch wenn der Wein etwas zu warm war.“ Und auch die Arbeitsberaterin Anne-Dorle Niepel betont, daß das alles ohne das Arbeitsamt nicht möglich wäre.
„Wir arbeiten ja auch an unserem Image.“ Zu ihr kommen wieder Arbeitssuchende, die sagen: ,Nur Tüten aufreißen, dafür bin ich kein Koch!' Die sind dann bei der Akademie Überlingen gut aufgehoben. Denn den Umgang mit Frischprodukten will Memmert fördern. Slow food ist angesagt. „Zwei Stunden Zeit sollen die Gäste schon mitbringen“, sagt Memmert. Die kommen vor allem aus den senatorischen Dienststellen, oder es sind ältere Leute, Mieter im Haus Contrescarpe 117a. Allesamt Freunde der Akademie. „Den Begriff fassen wir sehr eng.“
Alexander Musik
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