piwik no script img

Der Sturz der Schweinegöttin

Das Christentum: nichts als Leichenfledderei. „Auf den Spuren von Göttinnen“: ein Museumsrundgang mit der „Matriarchatsgruppe“ und eine Hexenausstellung im Rathaus Friedrichshain  ■ Von Ute Scheub

Gott ist der Spiegel des Menschen“, philosophierte Ludwig Feuerbach. „Der Frau fehlt ein Spiegel, um Frau zu werden“, entgegnete ihm Luce Irigaray. Elvira Büchner von der Berliner „Matriarchats-Arbeitsgruppe“, die beide Zitate ausgegraben hat, erinnert sich daran, „wie befreiend es für mich im Alter von circa 15 Jahren war, von weiblichen göttlichen Wesen zu lesen“.

Seit 1991 wandelt die fünfköpfige Matriarchatsgruppe „auf den Spuren von Göttinnen“ und bietet einen Diavortrag nebst Rundgang durch das Bode- und Pergamonmuseum als Volkshochschulkurs an, zuletzt in Rahmen des „Charlottenburger Frauenfrühlings“. Wer daran teilnimmt, erfährt: Ob Heilige Familie, jungfräuliche Madonna, Weihnachtsbaum oder Schlange – die christlichen Symbole wurden fast durchweg den entthronten und ermordeten Göttinnen der Vorzeit gestohlen.

Am Anfang unzähliger Kulturen war die Große Göttin mit ihren vielen Namen. Im gesamten Mittelmeerraum bis hinauf zu den Kelten sei das Schwein, die fruchtbare Muttersau, ihr Symbol gewesen, berichten die „Matriarchats“- Frauen. Eine 5.600 Jahre alte Statue der ägyptischen Schweinegöttin ist derzeit nicht im Bode-Museum, sondern in der „Afrika“- Ausstellung im Gropius-Bau zu besichtigen. Später, um 3.100 v. u. Z., verschmolz die Schweinegöttin mit der ägyptischen Allgöttin Nut zu einer Figur. Nut, auf den Sarkophagen im Bode-Museum als Beschützerin der Toten zu bewundern, galt als „das Mutterschwein, das alle Götter gebiert“.

Das Schwein, die Wildsau, war das Symbol der Gebärmutter. Im Griechischen ist diese Spur noch deutlich: Hys, das Schwein, Hystera, der Uterus, das Blutgefäß der Frau. Der Sturz der einst allmächtigen Schweinegöttin hallt bis heute nach, wenn über „Sauereien“ geschimpft oder Schweinefleisch als „unrein“ verpönt wird. „Der Fluch über die böse Sau ist der Fluch über die menstruierende Frau und die gesamte Schöpfungspotenz, die mit dem lebenschaffenden Blut verbunden ist, das Männer nicht haben“, schreibt die Mythenforscherin Jutta Voss.

Ähnlich tief stürzte Isis, die im Bode-Museum auf Wandbildern zu besichtigende Tochter der Himmelsgöttin Nut. Isis, ihr Bruder Osiris, ihr gemeinsamer Sohn Horus – das war wohl die ursprüngliche Heilige Familie. Doch Horus beging den ersten Muttermord und schlug Isis den Kopf ab. Ein mythologischer Reflex des patriarchalischen Umsturzes um 3.000 v.u.Z., als die kriegerischen Shemsu-Hor („Horus-Leute“) aus Mesopotamien die matrizentristischen Kulturen Ägyptens unterwarfen.

Zwar blieb der Isis-Kult bestehen, breitete sich sogar bis Griechenland, Germanien und Britannien aus, aber die Göttin wurde sukzessive entmachtet. Aus dem Geburtstag ihres Sohnes Horus am 25. Dezember und dem alten Sonnwendfest wurde irgendwann Weihnachten, das alte Göttinnensymbol, der Lebensbaum, mutierte zum Weihnachtsbaum. Die Kraft der Isis, Leben aus sich selbst heraus zeugen zu können, wurde zur sexualfeindlichen Jungfräulichkeit der Christusmutter.

Muttermörder in fast allen Mythologien

Die Darstellungen der Isis und der Madonna hätten sich in frühchristlicher Zeit so sehr geglichen, schreibt die Matriarchatsgruppe in ihrer Broschüre „Auf den Spuren von Göttinnen“, „daß zuweilen Christen Bilder der Isis für Madonnenbilder hielten“. Erst der christlich-römische Kaiser Justinian verbot um 535 n. u. Z. den Isis-Kult, ließ die Priesterinnen verhaften und ihren letzten Tempel in Philae zu einer Christenstätte umfunktionieren.

Isis' Sohn war nicht der einzige Muttermörder. Viele Mythologien, auch die babylonische und griechische, sind Nacherzählungen der patriarchalischen Machtergreifung. Im „Enuma Elisch“ wird berichtet, wie Marduk, um 1.800 v.u.Z. babylonischer Stadtgott, seine Mutter Tiamat umbringt und ihren Unterleib zerschmettert. Er schneidet sie in zwei Hälften und formt Himmel und Erde aus ihren Überresten: „Euphrat und Tigris entsprangen ihren Augen, aber er schloß ihr die Nase und hielt ihre Quellen zurück.“

Als das im Pergamon-Museum nachgebildete Ischtar-Tor oder der berühmte Turm zu Babel gebaut wurden, stand das Patriarchat in Vorderasien in voller Blüte. Von den alten Göttinnen (Tiamat, Ischtar, Innanah) können die Museumsführerinnen kaum mehr als ihre Symbole zeigen: die Löwin, der Drache, der Rosettenstern.

Den Höhepunkt dieser Muttermord-Trilogie aber bildet die griechische Mythologie. Der Muttermörder Orest wird nicht bestraft, weil Mütter und Kinder plötzlich nicht mehr miteinander verwandt sein sollen. „Nicht ist die Mutter eines Kindes Zeugerin“, verkündet der Gott Apollon während des Prozesses gegen Orest, „sie hegt und trägt den eingesäten Samen nur.“ Aber nicht mal in Griechenland ist die getötete Tiamat völlig unterzukriegen. Als Diameter, Durch-Schnitt, wird sie zur Fruchtbarkeitsgöttin Demeter und vermengt sich mit der Jagdgöttin Diana, die zur Schutzherrin der Zauberinnen und Hexen wird.

Wer diese Hexenspur bis in die Moderne verfolgen will, möge in die zweite Etage des Rathauses Friedrichshain gehen. Dort ist im Rahmen des „Friedrichshainer Frauenfrühlings“ noch bis Ende März eine kleine, eher unscheinbare Hexenausstellung zu sehen. Die Lieblingstiere der Hexen (Schlangen, Spinnen, Katzen) sind nicht zufällig genau die Symbole der alten Göttinnen.

Kontakt Matriarchatsgruppe über „Frauen unterwegs e. V.“, Telefon: 215 10 22

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen