piwik no script img

Versetzt, verkleinert oder wiederverwertet

■ Matthias Schmidt und Dan Peterman befragen das Verhältnis des Menschen zur Stadt und ihrem Müll

Matthias Schmidt

Zwei Leiterholme, zwei Streben, zwei Armlehnen, 13 Sprossen, zwei Sitzträger, ein Sitzbrett, eine Gewehrauflage, drei Rückenlehnenbretter, ein Fußholz, ein Mittelholm, zwei Dachträger, acht Dachbretter, drei Fundamentsteine, zwei Querstreben kurz, zwei Querstreben lang, vier Heringe: dieses hölzerne Baumaterial für einen Hochsitz vom Typ „Kanzelleiter“ liegt in der Galerie Basta bereit und wartet auf die Ausführung des Projekts Hochsitze für die Stadt.

Matthias Schmidt möchte zwei Hochsitze in der Stadt aufstellen. Den Besteigern wird dann „durch die ursprüngliche Funktion des Hochsitzes eine bestimmte Rolle angeboten bzw. nahegelegt, und sie sind aufgefordert, sich probeweise darauf einzulassen oder sich davon zu distanzieren...“

Eine merkwürdige Idee für ein Projekt im öffentlichen Raum: Was kann der Herrschaftsgestus gegenüber der Natur in der Stadt leisten, die selbst völlig beherrschte zweite Natur ist? Dient der Blick von oben der befreienden Übersicht oder der größenwahnsinnigen Verachtung der herumlaufenden Menschentiere? Dient der Hochsitz der Sache der Stadtindianer?

Am Eröffnungsabend der Ausstellung Hochsitz und offener Raum kam der Jäger Rainer Grobecker und beschrieb die Beobachtungssituation: versteckt aus erhobener Warte beobachten, wahrnehmen und bewertend einordnen, zehnmal schauen und einmal schießen. Die Parallelen zum Umgang mit Kunst sind durchaus deutlich.

Die Geschichte des Themas in der Kunst brachte der Kunsthistoriker Ludwig Seyfarth anhand seiner Postkartensammlung nahe: Er rief die prachtvollen Bilder höfischer Jagdgesellschaften und barocke Wildbret-Stilleben in Erinnerung und erweiterte das Genre um die schon im 18. Jahrhundert ausdrücklich so definierte Jagd auf idyllische Landschaftseindrücke.

Doch in der aktuellen Kunst gibt es nichts Vergleichbares. Kunst und Jagd reden nicht miteinander. Das ist ab sofort anders. Vorausgesetzt der Betrachter entdeckt die Wildschweine und röhrenden Hirsche, die sich als winzige Bleistiftzeichnungen von Klaus Hoefs auf der großen, fast leeren Wand verstecken, bevor er sich wieder mit dem neu erwachten Blick des Jägers und Sammlers in den Großstadtdschungel wagt. Galerie Basta, Großheidestr. 21, Di-Fr, 14-19, Sa, 12-15 Uhr, bis 29. April

Dan Peterman

Hier wäre Dan Peterman ein Grüner. Doch der engagierte Mann aus Chicago übersetzt seine Beschäftigung mit Ökologie in Kunst. Zugleich in Hamburg und Berlin zeigt er eine neue Installation mit einem umfangreichen Materiallager aus Tischen und kleinen Paletten. Accessories To An Event heißt die spröde Arbeit und läßt offen, ob das Ereignis bereits stattfand.

Der erste Blick in die vollgestellte Galerie Klosterfelde bleibt ratlos. Handelt es sich um individuell bemaltes Holz oder ein romantisierendes Serienprodukt, um Anfertigung oder Zitat? Auch ist es nicht einfach, die zwischen Picknickplatz und Industrie angesiedelten Dinge begrifflich zu fassen: Sind es Tisch und Stuhl oder Bank und Fußbank oder Ablage und Palette, Design oder Kunst?

Der 1960 geborene Dan Peterman gehört einer Künstlergeneration an, die weder reinem Aktionismus noch reinem Minimalismus nacheifert. Minimalistisch geschulte Ästhetik wird auf Abfallmaterial ausgedehnt, und das Konzept umfaßt ökologische Gesichtspunkte: Fünf Tische entsprechen dem Jahresverbrauch an Plastik eines US-amerikanischen Zwei-Personenhaushalts, 14 Paletten sind aus dem Kunststoffmüll einer Person. Solche Zuordnungen sind kein aufgesetzter Gag bei einem Künstler, der auf dem Recyclinghof sein Atelier hat. 1992 hat er in Wisconsin Käse aus vergifteter Milch herstellen lassen, den zwei Jahre lang in versiegeltem Kühlschrank aufbewahrt und dann auf der Sondermülldeponie entsorgt: ein aktueller Kommentar zum Agrar-Wahnsinn.

Doch immer mischen sich bei Dan Peterman die schweren Bedeutungsebenen mit der optimistischen Spielaufforderung: 14 Paletten sind auch die kleinste Verkaufseinheit, damit der Kunde genug Material hat, in steter Änderung neue Gruppierungen zu bilden. So wie die Teile im Raum stehen, sind sie nicht nur selbst ein Beispiel für Zuordnungen, im Benutzen entfaltet sich ihr sozialer Effekt.

Im Material ist die Zusammensetzung erkennbar, und die Täuschung der scheinbar sanft bemalte Oberfläche wird aufgelöst. Und so wie der Werkstoff den unterschiedlichen Kunststoffteilen eine neue Grundform gibt, werden in der spielerischen Benutzung individuelle Eigenschaften zu sozialer Kompetenz verbunden: Aus dem einst schönen, speziell Designer-gestalteten Produktmantel ist wieder der rauhe Stoff der Möglichkeiten geworden. Hajo Schiff

Galerie Helga Maria Klosterfelde, Admiralitätstr. 71, Di-Fr, 12- 18, Sa, 12-15 Uhr, bis 31. Mai

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen