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Keine Spur von kreativer Energie

Seit Anfang der achtziger Jahre hat sich das intellektuelle Klima in Kenia deutlich verschlechtert. Die Regierung kontrolliert mit ihrem Schulbuchmonopol alle Lehrinhalte und zensiert die Presse. Private Verlage sind chancenlos  ■ Von Henry M. Chakava

Obwohl sich staatliche Zensur in Kenia auf viele Arten zeigt, ist sie nicht der entscheidende Faktor, der die Kenianer von Büchern fernhält. Kenias Verlage haben größere Probleme: Armut, Analphabetismus, unterentwickelte Marketing- und Vertriebsstrukturen und eine kaum entwickelte Buchkultur.

Solange diese Probleme nicht gelöst sind, wird das Verlegen von Büchern in Kenia ein „Minderheitenprogramm“ bleiben. Ihre Lösung hinge von einer Regierung ab, die politischen Willen genug hätte, veraltete Gesetze aufzuheben, neue zu erlassen und generell bereit wäre, die grundsätzlichen Menschenrechte zu garantieren.

30 Jahre nach der Unabhängigkeit hat Kenia bis heute keine landesweit gültige Sprachenpolitik. Das bedeutet, daß die Verlage in drei Sprachen – ohne Aussicht auf Profit durch hohe Auflagen – publizieren müssen: in Englisch, Kisuaheli und der jeweiligen Regionalsprache. Versuche, einen „Nationalen Rat zur Entwicklung eines Buchwesens“ einzuberufen, blieben bisher erfolglos. Außerdem gibt es ungelöste Widersprüche, die besonders die Verlage betreffen, beispielsweise absurde Steuergesetze. Insofern ist es nicht verwunderlich, daß die Regierung zwar einerseits die Einfuhrbestimmungen für Bücher gelockert hat, die heimische Verlagsindustrie jedoch fest im Griff eines staatlichen Monopols ist.

Der Verlagsindustrie fehlt es auch an Kapital. Banken verleihen ungern an Verlage, das Risiko gilt als zu groß, und die gedruckten Auflagen werden nicht als Sicherheiten anerkannt. Die Verleger beschränken sich daher in der Regel auf „sichere“ Publikationen wie Schulbücher und scheuen Investitionen in Literatur, wissenschaftliche und lexikalische Werke; das hat zur Folge, daß es in den „sicheren“ Gebieten einiges doppelt und dreifach gibt und auf anderen Gebieten gar nichts.

Unter dem Geldmangel leidet natürlich auch die Qualität: Man nimmt billiges Papier und arbeitet mit schlecht ausgebildetem Personal. Am härtesten trifft es natürlich diejenigen Autoren, deren Bücher nie erschienen, weil die Verleger ihren Druck nicht finanzieren konnten. Außer vielleicht den Druckereien leiden also alle, die professionell mit Büchern zu tun haben, unter Geldproblemen: Buchläden, Bibliotheken und Schulen ebenso wie die Autoren selbst, die so gut wie nichts mit ihrem Schreiben verdienen können.

Und Armut ist auch das größte Problem für die Leser in Kenia. Das Jahres-Pro-Kopf-Einkommen des Landes liegt bei 300 US-Dollar, das ist eines der niedrigsten der Welt. Arbeitslosigkeit, Lebensmittelengpässe, Gesundheits- und Wohnprobleme überragen alle anderen Sorgen. Bildung und Erziehung wird vor allem als Kostenfaktor wahrgenommen – das heißt Zahlung von Schulgeld –, und die Mehrzahl der Kenianer muß erst noch lernen, Bücher als integralen Bestandteil des Bildungsprozesses zu akzeptieren.

Fast 50 Prozent der Bevölkerung könen weder lesen noch schreiben können, und nur ein kleiner Bruchteil derer, die es können, hat genug Geld für Bücher oder überhaupt Interesse daran. 80 Prozent der Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten ohne Anschluß an ein Straßennetz, Post oder Elektrizität. Unter solchen Bedingungen für Bücher zu werben und sie zu vertreiben ist wahrhaftig Sisyphusarbeit.

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Die kenianische Regierung übt Zensur im Druckbereich über vielerlei Gesetze aus. Dazu gehören die Verfassung, das Strafgesetzbuch und ein ganzes Bündel von Gesetzen, die den Umgang mit Büchern und Zeitungen, Filmen und Theater regeln, zuzüglich einiger Paragraphen zur Schweigepflicht von Beamten und allgemeine Beleidigungsparagraphen. Mit einem dieser Statuten kann ein Minister immer eine Publikation verbieten. Zu den kenianischen Publikationen, die verboten wurden, gehören „Kenya: Return to Reason“ von Kenneth Matiba und die Zeitschriften Voice of Africa, Beyond, Financial Review, Development Agenda sowie Gikuyu, ein Gikuyu-Nachrichtenmagazin, das von der Katholischen Diözese von Murang'a herausgegeben wurde.

Die Liste für ausländische Publikationen führt etwa zwanzig Titel auf, unter ihnen Salman Rushdies „Satanische Verse“, „Sprüche des Vorsitzenden Mao Tse-tung“, William Attwoods „The Reds and the Blacks“ und Zeitschriften wie Who Rules Kenya, Revolution in Africa, The African Communist und Sauti ya Wananchi (Stimme des Volkes) – um nur einige zu nennen. Ausländische Zeitungen oder Zeitschriften, die kritische Artikel zu Kenia enthielten, wurden am Flughafen konfisziert und entweder vernichtet oder doch wenigstens tagelang zurückgehalten.

Für ein Land von Kenias Ruf ist das zwar keine besonders lange Liste. Aber man muß bedenken, daß in den letzten zehn Jahren systematisch versucht wurde, Kreativität zu ersticken. Viele Schriftsteller haben nach Verhaftungen und Verfolgungen das Land verlassen, unter anderen Ngugi wa Thiong'o, Abdilatif Abdalla, Ali Mazrui, Alamin Mazrui, Maina wa Kinyatti, Micere Mugo, Kimani Gecau, Ngugi wa Mirii und Atieno Odhiambo.

Sowohl einheimische als auch ausländische Journalisten wurden zusammengeschlagen und/oder verhaftet; Verlage wurden durchsucht und verwüstet; in Druckereien wie „Fotoform“ und „Colourprint“ zerstörte man die Maschinen, konfiszierte und vernichtete Material. Vielen Theaterproduktionen wurden Aufführungslizenzen verweigert, oder sie wurden ohne Angabe von Gründen abgesetzt. Zwischen 1987 und 1993 betraf dies „Kilio cha Haki“ (Ein Schrei nach Gerechtigkeit), „Die Farm der Tiere“, „Ein Feind des Volkes“, „Schicksal einer Küchenschabe“, „Die Trommeln von Kirinyaga“ (ein Musical) und „The Master and the Frauds“. Ironie am Rande: „Die Farm der Tiere“ und „Ein Feind des Volkes“ waren früher Pflichtlektüre für die Oberstufe der Gymnasien.

Staatliche Zensur geht etwas subtiler vor sich. Die Lehrpläne kenianischer Schulen sind derart vollgestopft, daß den Schülern außerhalb des Pflichtkanons keine Zeit zum Lesen bleibt. Absolventen sowohl der Haupt- als auch der Oberschulen kennen deshalb in der Regel keinerlei Literatur. Als Schulfach ist Literatur so gut wie verschwunden und wurde in das Fach Englisch „integriert“. Von Abiturienten wird die Lektüre lediglich eines Romans und eines Theaterstücks erwartet – was meilenweit entfernt ist von der Textvielfalt, die für dieses Fach einmal normal war. Die Sprach- und Schriftqualität ist gerade bei jungen Leuten dramatisch gesunken, und man muß sagen, daß sie nicht mehr in der Lage sind, sich präzise auszudrücken.

Das „Kenia-Schultheater-Festival“ ist ein weiterer kultureller Gradmesser. In den siebziger Jahren wurden Stücke aufgeführt, die in der Regel von den Schülern selbst geschrieben wurden. Sie behandelten gesellschaftliche Probleme wie Korruption, Geldgier, die vielen Verkehrstoten, soziale Ungerechtigkeiten, Gewalt gegen Frauen und Kinder und ähnliche Themen. In den achtziger Jahren wurden die Lehrer dann angewiesen, politische Stücke nicht mehr zuzulassen, alle Aufführungen streng zu zensieren und politische Anspielungen, die im Publikum zu kontroversen Reaktionen führen könnten, gegebenenfalls zu unterbinden. Alle Stücke sollten das Land in einem positiven Licht zeigen, für industrielle Entwicklung werben und das Motto des Präsidenten, „Liebe, Frieden, Einigkeit“, deuten. Zwar gibt es das Festival bis heute, aber es hat viel von seiner kreativen Energie verloren.

Eine ähnliche Lethargie kann man auch in Schulen, Universitäten und in der Gesellschaft insgesamt beobachten. Schöpferische Energie wird stranguliert durch die Kürzung der Mittel für Literaturseminare, Zeitschriften- und Autoren-Workshops und einen generellen Mangel an Einrichtungen und Initiativen, die akademische Qualität sichern. Das Land hat mit dem Verlust seines intellektuellen Klimas auch jede Diskussionsmöglichkeit wichtiger Themen verloren.

Kreative Energie und Begabung werden gesellschaftlich weder respektiert noch gefördert; Schriftsteller stehen selten auf den Listen zu ehrender Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Es gibt keine Bemühungen, Begabungen früh zu erkennen und zu fördern: keine Freitzeitzentren, Theatergruppen, Bibliotheken oder allgemeine künstlerische Anregungen. Es gibt keine Programme oder gar Gesetze für die Einrichtung solcher Förderinstitutionen in der Zukunft.

Von den Gemeinden über die Schulen und Universitäten bis hin zu Berufsorganisationen und Clubs wird den Künsten nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt. Wie nicht anders zu erwarten, kann ein Milieu, in dem kreative Energie gedeiht, in einer Kultur der Angst und des Schweigens nicht entstehen.

Auch die Gründung staatlicher Verlage bedeutet subtile Zensur. So sind das „Kenya Literature Bureau“ und die „Jomo Kenyatta Foundation“ die einzigen, die Schulbücher in Kenia produzieren dürfen. Kommerzielle Verlage dürfen zwar auch Textbücher verlegen, die aber lediglich als zusätzliches Unterrichtsmaterial herangezogen werden dürfen. Damit kontrolliert der Staat nicht nur alle Lehrinhalte, sondern hat auch private Verlage so weit geschwächt, daß sie noch weniger Risiken bei der Publikation von Literatur eingehen können. Die Tatsache, daß der Staat in das Verlagsgeschäft involviert ist, hat die Qualität des Publizierten absinken lassen, da kein Wettbewerb mehr stattfindet.

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