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Und dann noch ein Sonnenuntergang

■ Ein Interview mit dem Kameramann Nguyen Tanh über das Bild Vietnams und der Vietnamesen in den westlichen Medien

Der heute 29jährige Nguyen Tanh kam 1986 aus Hanoi als Austauschschüler in die DDR und besuchte von 1988–93 die Filmhochschule „Konrad Wolf“ in Potsdam- Babelsberg.

taz: Du hast als Kameramann fürs deutsche Fernsehen einige Berichte über Vietnam gedreht und viele andere Beiträge über das Land gesehen: Was fällt dir auf an dem Bild von Vietnam und den Vietnamesen in den deutschen Medien?

Nguyen Tanh: Oft schalte ich diese Filme nach zehn Minuten aus, weil immer das gleiche berichtet wird. Da ist die Nationalstraße Nummer 1 oder der „Einheitszug“ als immer gleiche Reiseroute, die den Film strukturiert. Dann wird hier und da entlang des Weges von Saigon nach Hanoi ausgestiegen und berichtet: über das Massaker von My Lai, über die Tunnel von Cu Chi, über den Hafen von Danang und dann noch ein Sonnenuntergang in der Halong-Bucht.

Dazwischen Kriegsbilder, die meistens aus dem riesigen WDR- Archiv stammen, wo die ARD-Redakteure die Bilder umsonst bekommen, oder ein paar aus Vietnam gekaufte Archivbilder. Bei dieser Herangehensweise, also abwechselnd Klischees und Kriegsbilder, können gar keine Menschen mehr vorkommen. Wenn es Interviews gibt, dann mit den immer gleichen Personen, entweder die – von der Partei oft vorbestimmten – Partisanen oder aber mit Müttern oder Kriegsversehrten, die sehr unter dem Krieg gelitten haben.

Bis heute werden Vietnamesen gern als Volk von Kämpfern dargestellt, als kummergewohnte Typen, die auch wochenlang mit Wasser und einer Handvoll Reis überleben können.

Das halte ich nicht so sehr für ein Stereotyp der ausländischen Medien, sondern für vietnamesische Propaganda. Natürlich greifen die ausländischen Berichterstatter dieses Bild oft auf, wenn sie das entsprechende Archivmaterial zeigen und die Hardliner des vietnamesischen Militärs interviewen. Den Leuten in Vietnam macht diese Typisierung, glaube ich, mittlerweile nicht mehr so viel aus. Wer darunter leidet, sind vor allem Vietnamesen, die im Ausland leben, ich persönlich auch.

Warum sind diese Klischees eigentlich so zählebig?

Vielleicht liegt es am Arbeitsmuster von Journalisten: Sie hören oder lesen irgend etwas über Vietnam. Dann fahren sie hin, maximal für vier Wochen. Das reicht oft als Zeit nicht aus, wirklich interessante Menschen kennenzulernen, sie drehen irgend etwas, was am Ende aber nur das bebildert, was sie vorher schon wußten.

In Deutschland gab es einmal – durch die Vertragsarbeiter und durch die Volkssolidarität – ein besonderes Verhältnis zu Vietnam, das vielleicht die Basis für eine andere Berichterstattung hätte sein können. Aber dieses besondere Verhältnis gehörte zur DDR und damit eben zur Geschichte.

Kann es sein, daß die Bilder vom Krieg gegen die Amerikaner noch so stark sind, daß sie bis heute unsere medialen Bilder von Vietnam prägen oder zumindest beeinflußen?

Ich glaube nicht, es ist einfacher. Es ist eine bewußte Politik, immer nur Bilder des gleichen Typus zu produzieren.

Mit welchem Interesse?

Mit keinem Interesse, das ist der Punkt. Es ist ein Desinteresse. Wenn man in deutschem Fernsehen zum Beispiel ein Feature über Frankreich sieht, wird ganz anders gearbeitet und recherchiert. Aber wenn es um Vietnam geht, gibt es bei vielen ein unbewußtes Desinteresse. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß viele der sogenannten „Macher“ beispielsweise auf die dokumentarische Richtigkeit pfeifen. Da sieht man dann am Ende Bilder, die in Hanoi gedreht wurden, und der Text erzählt etwas über Saigon, weil sie sagen: Ach, das merkt doch sowieso kein Schwein!

Wie ist das mit den neueren französischen Spielfilmen über Vietnam: „Der Liebhaber“, „Der Duft der grünen Papaya“, oder „Cyclo“?

„Der Liebhaber“ ist vielleicht kein schlechter Film, weil er das Land gezeigt hat, wie man es hier zuvor nicht kannte. Unbewußt erzeugt dieser Film eine Affinität zu diesem Land, und jede kleine Sympathie ist gut für ein Land, das zu Unrecht bei vielen Menschen verhaßt ist. Vietnam hat während des Krieges ja viele Länder der Welt in zwei Lager gespalten, in die Kriegsgegner und die Kriegsbefürworter. In diesen Filmen werden die Vietnamesen zumindest als Menschen dargestellt, mit Gefühlen, Schwächen und Stärken und Schmerzen.

Wie verhält es sich aber mit den US-amerikanischen Filmen?

Ich erinnere mich beispielsweise an eine Vorführung von „Platoon“ in Potsdam 1987. Es waren viele Jugendliche gekommen, schließlich war es ein amerikanischer Film. Und der Film ist so gemacht, daß wenn ein Vietnamese von einem Amerikaner ein Bajonett in den Bauch bekommt, die Jungen hinter mir geschrien haben: „Sauber!“.

Diese Reaktion liegt aber nicht an den Jungen, sondern daran, wie Oliver Stone die Szene darstellt.

Aber um alle Götter der Welt: Ich kann doch nicht von den Amerikanern verlangen, daß sie Filme zugunsten der Vietnamesen machen, dazu bin ich zu realistisch! Ich bin der Meinung, daß die Vietnamesen selbst Filme machen müssen, die die Klischees brechen und für eine gewisse Sympathie sorgen, egal, wie viel mehr Geld die Amerikaner für die Filmproduktion zur Verfügung haben. Interview: Dorothee Wenner

Zum selben Thema findet heute um 19 Uhr im Arsenal-Kino (Welser Straße 25) eine Diskussion mit Filmbeispielen statt. Gäste sind unter anderen Tamara Henschel (Reistrommel e.V.), Nguyen Son Tach (Dolmetscher/Architekt) und Christian Semler (Redakteur, taz)

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