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"Hundert Prozent der Autorität"

■ Der guatemaltekische Präsident Alvaro Arzu zur Frage, wieviel Macht er tatsächlich hat, über den Druck von Armee und Unternehmerverband und die jüngst vereinbarte Feuereinstellung zwischen Regierung und Gue

taz: Die Feuereinstellung zwischen Regierung und Guerilla ist ein Fortschritt, den Ihre Vorgänger in viel längeren Verhandlungen nicht erreicht haben. Wie haben Sie das angestellt?

Arzú: Wir haben uns um ein Vertrauensverhältnis zur URNG- Kommandantur bemüht. Da wir einander nicht kannten, mußten wir bei Null anfangen. Wir wollten zu globaleren und einfacher verifizierbaren Absprachen kommen, die die Lebensumstände der Guatemalteken spürbar verbessern.

Wann hatten Sie den ersten persönlichen Kontakt?

Ich traf die Kommandanten einen Monat vor der zweiten Wahlrunde. Später habe ich sie noch einmal getroffen.

Wird die Feuerpause halten?

Wir sehen mit Besorgnis, daß die Kommandanten der URNG das nicht als Waffenstillstand sehen, sondern als Einstellung der Offensivhandlungen, und daß die Guerilla weiterhin ihre „Kriegssteuern“ erhebt. Das ist eine feindselige Haltung, die wir nicht verstehen.

Eine Guerilla, die nicht lästig ist, wird doch am Verhandlungstisch nicht ernstgenommen.

Wir haben nichts gegen friedliche Aktionen, wenn sie zum Beispiel unbewaffnet ihre Propaganda verteilen. Wenn das mit dem Gewehr auf der Schulter passiert und die Bevölkerung gezwungen wird, den Ansprachen auf dem Hauptplatz zuzuhören, wenn Autos auf den Straßen angehalten werden, um den Fahrern Geld abzuverlangen, ist das keine friedliche Haltung. Wenn es weiterhin solche Aktionen gibt, sehen wir uns gezwungen, im Einklang mit unserem verfassungsmäßigen Auftrag einzuschreiten.

Zur Verteidigung der Großgrundbesitzer und Unternehmer?

Auch der Passanten auf der Straße, die ein Recht auf Bewegungsfreiheit haben.

Die URNG stimmt ihre Positionen regelmäßig mit der Zivilgesellschaft ab. Muß die Regierung nicht parallel zu den Sitzungen mit der Guerilla auch noch mit dem Unternehmerverband Cacif aushandeln, wie weit sie gehen kann?

Verhandelt wird nur an einem Tisch, der vom UN-Delegierten Jean Arnault koordiniert wird. Beide Parteien können sich aber nebenbei mit verschiedenen Gruppen beraten.

Die angepeilten Reformen schädigen die Interessen der Landoligarchie. Unter der vergangenen Regierung versuchten die Großgrundbesitzer, den Chef der Friedenskommission vor Gericht zu zerren, um die Verhandlungen zu sabotieren.

Wir haben noch keinen Versuch der Störung des Verhandlungsprozesses durch den Privatsektor oder die Armee registriert.

Erscheinen Ihnen die Forderungen der URNG utopisch, oder geht es um ein überfälliges Projekt der Modernisierung des Staates?

Viele der bisher verhandelten Punkte waren innerhalb der vorgesehenen Frist undurchführbar und nicht verifizierbar. Zum Beispiel die zweisprachige Erziehung im gesamten Staatsgebiet innerhalb von zwei Jahren. Schließlich werden in Guatemala 26 verschiedene Sprachen gesprochen. Wir versuchen, zu konkreteren und realisierbareren Abkommen im Sozialbereich zu kommen, mehr Geld für Erziehung und Gesundheit. Ich glaube, auch die Comandancia ist damit einverstanden.

Präsident Vinicio Cerezo hat vor zehn Jahren gesagt, er hätte nicht mehr als 30 Prozent der Macht. Wieviel Macht haben Sie?

Die Exekutive hat 100 Prozent der Autorität. Aber wir respektieren die anderen Staatsgewalten.

Alle Ihre Vorgänger in den letzten zehn Jahren mußten angesichts von Putschversuchen, Drohungen oder Steuerrebellionen zurückstecken. Haben sich die Zeiten wirklich geändert?

Ich werde meine Pläne nicht ändern, außer es dient dem Land.

Viele Militärs klagen darüber, daß jetzt die Oligarchie an der Macht sei und sie eine gewisse Verachtung spüren lasse, eine Art klassenbedingten Haß.

Die Oligarchen behaupten das Gegenteil. Wir stehen hinter keiner Machtgruppe. Es geht uns darum, mit der Straffreiheit, den Privilegien und dem Elend aufzuräumen. Wir tolerieren keine Pressionen von irgendwem.

Die Regierung hat durch ihr Vorgehen gegen Militärs, die in gemeine Verbrechen verwickelt sind, ein Tabu gebrochen. Wann werden Offiziere, die im bewaffneten Konflikt Exzesse begangen haben, zur Rechenschaft gezogen?

Das wird in den Friedensverhandlungen klar definiert. Daran werden wir uns halten.

Erlaubt die Feuereinstellung den Abzug der Armee aus den Konfliktzonen und ihren Einsatz zur Verbrechensbekämpfung?

Das ist so vorgesehen. Vor allem gegen die Drogenkriminalität und für den Schutz der Natur vor illegaler Ausbeutung.

Im Wahlkampf gab es eine Annäherung zwischen der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú und Ihrer Partei, der PAN. Wie konkret ist die Zusammenarbeit?

Wir sind in vielen Dingen einer Meinung, und sie zeigt große Ernsthaftigkeit. Es gibt einen ständigen Kontakt, der uns den Austausch von Ideen erlaubt.

Kann man sie als informelle Beraterin der Regierung bezeichnen?

Vielleicht nicht Beraterin. Aber wir nehmen ihre Empfehlungen und Kriterien sehr ernst.

Ist es vorstellbar, daß sie sich als Kandidatin der PAN um die Präsidentschaft bewirbt?

Natürlich.

Ist das reine Spekulation oder hat man das konkret diskutiert?

Ich weiß nicht. Sie ist jedenfalls eine wichtige Führerfigur mit internationaler Statur.

Wann wird der Frieden unterzeichnet?

Wir wollen am 15. September, dem Jahrestag unserer Unabhängigkeit, unterschreiben. Interview: Ralf Leonhard,

Guatemala-Stadt

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