Ein Alptraum kehrt zurück

■ Rentner steht ab morgen wegen Kinderschändung vor Gericht: Er schweigt Von Lisa Schönemann

Morgen beginnt der Prozeß gegen einen Mann, dem die polizeiliche Ermittlungsgruppe „SoKo Ohlstedt“ monatelang auf den Fersen war: Der gelernte Schiffahrtskaufmann aus der Nähe von Bargteheide, der sich an zwei Mädchen im Alter von neun und elf Jahren vergangen haben soll, muß sich wegen Entführung und Vergewaltigung vor dem Landgericht verantworten. Zudem soll der 63jährige Rentner versucht haben, eine 15jährige zu mißbrauchen. Das Mädchen konnte jedoch fliehen.

Die Ermittler präsentierten die Festnahme des gehbehinderten Rentners im Juli 1995 als den Fahndungserfolg überhaupt. In der Nacht zum 12. Juli wurde der mutmaßliche Triebtäter in seinem Haus in Jersbek festgenommen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft und schweigt. Kripo und Staatsanwaltschaft sehen in ihm den Mann, der am 31. August 1994 ein neunjähriges Mädchen in Ohlstedt vom Fahrrad riß, mit einem Messer bedrohte und im Kofferraum seines Wagens zu seinem Haus brachte. 40 Stunden lang war die Kleine in seiner Gewalt. Nachdem er sie mißbraucht hatte, setzte er sie auf einem Feldweg aus. Ein Landwirt las das verstörte Kind auf.

Acht Monate später wurde eine Elfjährige in Duvenstedt ebenfalls in ein Auto gelockt und vergewaltigt. Auch sie wurde vom Täter ausgesetzt. Sie soll den Schiffahrtskaufmann bei einer Gegenüberstellung im Polizeipräsidium im August 1995 wiedererkannt haben. Ein Triumph für die Fahnder, denen der mutmaßliche Sexualtäter nur durch einen Zufall ins Netz ging: Eine Kriminalbeamtin entdeckte beim Samstagseinkauf auf einem Parkplatz den rotbraunen Opel mit Oldesloer Kennzeichen, nach dem die Beamten gesucht hatten. Zuvor hatte die dreißigköpfige Sonderkommission Zehntausende Flugblätter mit einem Phantombild verteilt – immer die Boulevardpresse und ihre Schlagzeilen im Nacken. In Ohlstedt und Umgebung ließen Eltern ihre Kinder nicht mehr allein auf die Straße. Die Kripo erhielt 4500 Hinweise. Plötzlich schien es in Hamburgs Nordosten von Sexgangstern und ebensovielen Hobby-Detektiven zu wimmeln. Auf dem Volksdorfer Wochenmarkt stellten die Beamten sogar eine Schaufensterpuppe mit der Kleidung und der Frisur des gesuchten Mannes auf. Ohne Erfolg. Bis zur Beobachtung der Kommissarin auf dem Supermarktparkplatz.

Der Prozeß wird die beteiligten Familien erneut mit den Grausamkeiten konfrontieren, die ihre Töchter erlitten haben. Die in der Angklageschrift aufgelisteten Vorwürfe reichen von Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung über Vergewaltigung bis zu Entführung und sexuellem Mißbrauch von Kindern in einem besonders schweren Fall. Die Verhandlung wird entsetzenerregende Tatumstände zutage fördern, das Wimmern und die Erniedrigung der Kinder werden im Saal zu spüren sein. Voraussetzungen, die es der Kammer des Schwurgerichts nicht leicht machen werden, trotz des Scheinwerferlichts der Medien in Ruhe zu einem Urteil zu kommen.

Das Verfahren wird sich mindestens bis zum Herbst hinziehen, da der Rentner bisher geschwiegen oder die ihm zur Last gelegten Taten bestritten haben soll. In dem Indizienprozeß wird es auf jede Aussage ankommen. Rund 60 Zeugen und diverse Gutachter werden nicht die Frage nach gut oder böse, sondern nach belastenden Details zu beantworten haben. Fachleute werden über Faserspuren, Fingerabdrücke und DNA-Analysen referieren. Im Fond des braunroten Opels wurden Blutspuren gefunden. Mosaiksteine, die – am Ende zusammengefügt – ein Bild davon ergeben sollen, was der schweigende Schiffahrtskaufmann zu verantworten hat.

Unterdessen ermittelt die „SoKo Ohlstedt“ der Kripo, ob dem Schiffahrtskaufmann noch andere, bisher nicht aufgeklärte Verbrechen anzulasten sind.