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Falsche Punkte in der Wolke

■ Die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel ist ein Windei. Noch kann niemand Manipulation mit unbekannten Genen nachweisen. Aber ein Bremer Molekularbiologe ist auf dem besten Weg.

Es gibt sie alle schon: die Tomate, die nicht mehr matschig wird; die frostresistente Erdbeerpflanze; den Zucker aus genmanipulierten Zuckerrüben. Die Gentechnik entwickelt sich zu einem Boom-Geschäft, da will jeder mitverdienen. Skepsis gibt es nur beim Verbraucher, der die tollen neuen Speisen nicht essen will.

Um ihn zu beruhigen, hat das Europäische Parlament jetzt eine Kennzeichnungspflicht für solche Nahrungsmittel beschlossen, die sich in ihrer Substanz von nicht manipulierten unterscheiden. Zucker aus genmanipulierten Rüben gehört nicht dazu: Er unterscheidet sich vom herkömmlichen Zucker wie Strom von Atomstrom – gar nicht.

Die Kennzeichnungspflicht hört sich erfreulich an. Doch sie hat einen Haken: Niemand kann ihre Einhaltung überprüfen. Wissenschaftlich möglich ist bis heute nur der Nachweis einer Manipulation, wenn der Hersteller sagt, daß und wie er ins Erbgut eingegriffen hat. Doch so dumm werden die Produzenten immer weniger sein – erstens kann dann die Konkurrenz ihr Verfahren klauen; und zweitens reagiert der Markt noch sehr sensibel auf das Label „genetisch verändert“. Die Kennzeichnungspflicht wird die Verlockung, heimlich genmanipulierte Nahrung auf den Markt zu bringen, verstärken. Und der einzige Betrüger, den man dank der EU jetzt erwischt, ist einer, der fälschlicherweise angibt, manipuliert zu haben. Das ist bis dato der Stand der Wissenschaft.

Wer jetzt meint, in zahlreichen mikrobiologischen Labors der Welt säßen, reichlich mit Forschungsgeldern ausgestattet, Wissenschaftler und suchten nach Nachweismöglichkeiten für Genmanipulation, irrt. Es sind Einzelkämpfer, wie der Bremer Professor Armin Hildebrandt, die diesbezüglich der Ehrgeiz gepackt hat. Ohne Drittmittel, „als Hobby“ befaßt er sich mit der wichtigen Frage: Wie entdecke ich ein fremdes Gen? Und der Clou ist: Hildebrandt weiß, wie es gehen kann. Zusammen mit zwei Mitarbeitern hat er sich sogar schon ein Nachweisverfahren patentieren lassen. Nur: bis es praxistauglich ist, bedarf es noch jeder Menge Arbeit. Und Geld.

Der Laie stellt sich Gentechnik so vor: Da ist eine Kette von Genen, aus denen wird ein Stück herausgeschnitten und ein neues Gen eingesetzt. Die Schnittstelle müßte man doch unter dem Mikroskop sehen. „Sie sehen gar nichts,“ erklärt Armin Hildebrandt. Um überhaupt Aussagen über den Träger der Erbinformationen, die DNA, machen zu können, schickt man sie auf die Wanderung. Sie kriecht über eine elektrisch geladene Gel-Platte. Je nach Größe unterschiedlich schnell. Mit Farbstoffen kann man die DNA dann sichtbar machen.

Es sind bestimmte Enzyme, die die DNA an einer Stelle aufschneiden und das Einbauen eines fremden Gens ermöglichen. Kennt man die Bausteine dieses Fremdgens, kann man mit einem sogenannten „DNA-Marker“ den manipulierten Abschnitt in der DNA farblich markieren. Mit dieser Methode kann man heute Tomaten auf bekannte Manipulationen wie das Anti-Matsch-Gen untersuchen. An einem nationalen Ringversuch, der die Tauglichkeit dieser Methode untersuchte, war auch Professor Hildebrandt beteiligt. Sie wird vermutlich demnächst amtlich anerkannt sein.

Kennt man die Bausteine des Fremdgens nicht, handelt es sich um die „Suche nach der Nadel im Heuhaufen“. Würde man in einer menschlichen Zelle nach solchen Veränderungen suchen, müßte man ein Gen unter einer Million anderen finden. Deshalb beschränkt sich Hildebrandt bei seiner Detektivarbeit auf niedere Organismen, Bakterien, Pilze, Hefen, deren Erbmaterial auf nur einigen tausend Genen liegt. Sein sogenanntes „2-D-Verfahren“ schickt die zu untersuchende DNA auf eine zweite Gelplatte, in die „zweite Dimension“. Und hier kann er die verschiedenen Gene so trennen und färben, daß ein nur für diesen Organismus charakteristisches Bild entsteht. Für den Laien ist das eine diffuse „Wolke“; der Fachmann aber kann, mit viel Glück, in der Wolke einen Punkt erkennen, der da nicht hingehört. Das wäre das erwischte Fremdgen. Die Methode, so Hildebrandt, sei leider „nicht idiotensicher“; eine Garantie, den falschen Fleck in der Wolke zu erkennen, gebe es nicht. Er setzt allerdings auf einen Effekt, den er selbst im Bereich der Lebensmittelkontrolle schon einmal beobachtet hat: Als die aus seinem Institut hervorgegangene Firma „Hanse-Analytik“ (im Technologiezentrum BITZ) eine Methode publik machte, wie „Panscherei“ in Wurst nachzuweisen ist, schien die Panscherei sofort nachzulassen. Hildebrandt hofft auch im Bereich der Genmanipulation auf einen solchen Abschreckungseffekt. Immerhin könnte der Manipulator mittels der 2-D-Methode auffliegen.

Professor Hildebrandt erwartet für die Zukunft eine „exponentielle Zunahme gentechnisch veränderter Lebensmittel“. Für den früher einmal „begeisterten Genforscher“ sind das finstere Aussichten: „In den seltensten Fällen nützen diese Veränderungen dem Verbraucher.“ Hildebrand lehnt auch die Anti-Matsch-Tomate ab. Nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern: „Es wird da eine Schleuse geöffnet.“

Er warnt aber vor allem vor den Veränderungen bei Mikroorganismen. Tatsache ist, daß manipulierte Gene von bestimmten Milchsäurebakterien, zum Beispiel aus dem Yoghurt, auf die Bakterien der Darmflora übergehen können. Das muß nicht schädlich sein, könnte aber. Und wenn in 99 Prozent der Fälle nichts passiert – „das eine Prozent Gefahr schaffen Sie nicht mehr aus der Welt“. Zum Gen-Skeptiker wurde Hildebrandt übrigens nach einem „Schlüsselerlebnis“: In den USA waren Erdbeerpflanzen mit einem Bakterium besprüht worden, das die Frostempfindlichkeit reduziert. Dieses Bakterium verbreitete sich derart, daß es später noch in der Stratosphäre entdeckt wurde. Es gab aber Vermutungen, daß solche „Eis-Bakterien“ den Regenniederschlag beeinflussen können. Also keine erfrorenen, sondern vertrocknete Erdbeeren... Den Fachleuten schlotterten damals die Knie. Zum Glück ging der Versuch harmlos aus. Für Armin Hildebrand war er ein Zeichen dafür, daß auch Biologen nicht mehr als Fachidioten mit Scheuklappen arbeiten dürfen. Was sie freisetzen, könnte ungeahnte Auswirkungen auf ganz anderen Gebieten haben.

Doch der Zug geht in eine andere Richtung. In der Gentechnik sind Miesmacher und Bedenkenträger nicht gefragt. Und darum wird der Bremer Molekularbiologe weiter allein und hobbymäßig werkeln. Sein Verfahren ist „mühsam, kompliziert, teuer“, kein Test-Stäbchen leuchtet rot auf. Doch er kennt das schon: „Es muß erst mal etwas schiefgehen.“

Burkhard Straßmann

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