Schlachthöfe in die Frührente

BSE verschärft die Probleme der deutschen Schlachthöfe. Kapazitäten sollen verschwinden, deren Aufbau zuvor subventioniert wurde  ■ Aus Berlin Toralf Staud

Sie sehen aus wie x-beliebige Lagerschuppen: Flache, langgestreckte Leichtbauhallen, so groß, daß man bequem Fußball drin spielen könnte. Meist wurden sie am Rand irgendeines Provinzortes und nur ein paar Minuten von der Autobahn entfernt aus dem billigen Boden gestampft: zwölf neue Großschlachthöfe seit 1990 in Ostdeutschland, der Staat übernahm bis zu 40 Prozent der Kosten. Mehr als 250 Millionen Mark zahlten EU, Bund und Länder an die Bauherren – fast ausnahmslos westdeutsche oder dänische Fleischkonzerne.

Ein Teil der Betriebe wird höchstwahrscheinlich in den kommenden Monaten wieder abgerissen. Die hochsubventionierten Anlagen werden (möglicherweise mit Subventionen) wieder plattgemacht – ein Paradebeispiel für wohlüberlegte Agrarpolitik.

Seit Monaten verhandelt die Schlachterbranche über ein Strukturkrisenkartell, mit dem ein Fünftel der Kapazitäten stillgelegt werden soll. Angeregt hatte dies der Deutsche Bauernverband. „Weil auch die Landwirte ein Interesse daran haben, daß die Betriebe ausgelastet sind“, so Pressesprecher Bernhard Lütke Entrup. Bei hoher Auslastung verteilen sich die konstanten Betriebskosten breiter, der einzelne Landwirt bekommt höhere Preise pro Kilo Schlachtfleisch ausgezahlt.

Bisher sind 17 Firmen, die 75 Prozent der Schlachtleistungen erbringen, an den Gesprächen beteiligt. Der dramatische Rückgang des Fleischkonsums durch BSE erhöht nun den Druck, sich zu einigen. Und für den Bund wird es schwerer werden, sich den Forderungen nach finanzieller Unterstützung zu widersetzen oder gar die zum Aufbau ausgegebenen Beihilfen zurückzufordern.

Es hätte sogar noch schlimmer kommen können. Während in der Ex-BRD die Auslastung der Schlachthöfe zurückging, sollten im „Beitrittsgebiet“ nicht nur 12, sondern 19 neue Großbetriebe gebaut werden. Das schlug ein Strukturplan vor, den der Stuttgarter Professor Ewald Böckenhoff 1990 im Auftrag der Bundesregierung erarbeite. Die Betriebe sollten mit dänischen, italienischen und holländischen Großunternehmen konkurrieren können.

Die Überkapazitäten in den Schlachtfabriken betragen heute bei Schweinen 40 Prozent und bei Rindern 60 Prozent. Böckenhoff sah den Zusammenbruch der ostdeutschen „Tierproduktion“ nicht voraus. Statt des von ihm prognostizierten Rückgangs um 30 Prozent sank der Viehbestand zwischen Rügen und dem Erzgebirge seit 1989 doppelt so stark. Der Professor hat auch die LPG-feindliche Förderpolitik der Bundesregierung nicht einkalkuliert. So bekamen die Kooperativen lange Zeit keine Unterstützung für die Modernisierung ihrer Ställe, die neuen Kleinbauern konnten bei den Preisen der europäischen Agrarindustrie nicht mithalten. Böckenhoff rechnete auch nicht damit, daß sich mehr als 30 der alten DDR- Schlachthöfe bis heute halten konnten und der Fleischverzehr der Ostdeutschen von über 100 Kilogramm pro Jahr auf gut 60 Kilo zurückging.

Die Situation in Westdeutschland ist ähnlich, auch dort sind die Schlachthöfe nicht ausgelastet. Der Fleischverzehr sinkt seit Jahren, ohne BSE- und Rinderpestskandale und trotz der Werbekampagnen für Fleisch, die sich die Centrale Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) mehr als 20 Millionen Mark pro Jahr kosten läßt. Die Situation der ostdeutschen Neubauschlachthöfe ist allerdings besonders verheerend. Im mecklenburgischen Neustrelitz stehen die Bänder sogar schon seit knapp einem Jahr still, weil der bayerische Mutterkonzern Moksel die Verluste nicht mehr tragen wollte.

Mit dem Stukturkrisenkartell hoffen die Schlachthofbetreiber, aus den roten Zahlen zu kommen. Die Banken der verschuldeten Schlachtunternehmen sollen je nach deren Größe in einen Fonds einzahlen. Der Fonds entschädigt diejenigen, die ihre Betriebe ganz oder teilweise stillegen. Rund 300 Millionen Mark soll das Vorhaben kosten und sich am Vorbild der niederländischen „Sanierungsstiftung Schweineschlachtereien“ orientieren. Die wurde 1989 gegründet und finanzierte die Schließung von sechs Betrieben. Parallel dazu fordert die Schlachthofbranche Geld vom Bund. Damit sollen Unternehmen finanziert werden, die nicht dem Kartell angehören und für die keine Bank zahlt.

Ein Ja vom Kartellamt ist schwierig

Für ihr Vorhaben brauchen die Schlachtkonzerne die Zustimmung des Bundeskartellamtes. „Die Voraussetzungen zur Genehmigung eines Strukturkrisenkartells sind nicht so einfach zu erfüllen“, erklärt der Sprecher der Behörde, Jürgen Kieker. Der Paragraph 4 des Kartellgesetzes erlaubt Ausnahmen vom Kartellverbot nur bei einem Absatzrückgang, der auf einem nachhaltigen Rückgang der Nachfrage beruht. Dieser darf nicht nur saisonal oder konjunkturell bedingt sein und muß alle Unternehmen der Branche betreffen. Erst zweimal in der bundesdeutschen Geschichte hat es ein solches Kartell gegeben, nämlich in den achtziger Jahren unter Produzenten von Leichtbauplatten und Betonstahlmatten.

Vor einer Genehmigung des Schlachterzusammenschlusses müssen dem Kartellamt detaillierte Rückbaupläne vorgelegt werden. Die Betriebe dürfen nicht nur vorübergehend eingemottet, sie müssen abgerissen oder anderweitig genutzt werden. Ein Antrag über die Genehmigung des Kartells liege noch nicht vor, so Kieker. Zwar habe es „sicherlich“ eine nachhaltige Änderung im Verbraucherverhalten gegeben. „Die Auslastung der Schlachthöfe sank aber auch durch Fleischimporte und öffentlich geförderte Neubauten.“ Genau dies sind Gründe, die die Genehmigung des Kartells verhindern könnten.

Interessant wird die Frage, ob die Subventionsmillionen für die neuen Schlachthöfe bei deren Abriß zurückgefordert werden. „Pauschal werden wir nicht auf eine Rückforderung verzichten“, sagt Georg-Ludwig Jäger vom Bundeslandwirtschaftsministerium. Doch im Einzelfall ist immer eine Stundung oder gar der Erlaß möglich.

Mit der EU – immerhin einem der Hauptgeldgeber – habe noch niemand über die geplanten Stillegungen gesprochen, hieß es aus Kommissionskreisen. Entscheidendes Kriterium für eine Rückforderung werde sein, ob bei der Anforderung der Mittel schon absehbar war, daß sie nicht sachgerecht verwendet werden. Im Fall der Schlachthöfe sei die damalige Situation sehr unübersichtlich und die weitere Entwicklung nicht absehbar gewesen. Generell gelte: Rückforderungen von Subventionen sind möglich, aber selten.