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Milizen zerschießen Liberias Friedensplan

Seit Ostern wird in dem westafrikanischen Land heftig gekämpft. 15.000 Zivilisten haben sich in die US-Botschaft geflüchtet. 20 Soldaten der Friedenstruppe Ecomog sind verschleppt  ■ Von Dominic Johnson

London (taz) – Die schwersten Kämpfe in Liberia seit über einem halben Jahr drohen den wackligen Friedensprozeß in dem westafrikanischen Land zunichte zu machen. Gutausgerüstete Kämpfer des Milizenführers Roosevelt Johnson schießen seit vier Tagen mit schweren Waffen auf ihre Gegner in der Hauptstadt Monrovia und haben die Stadt in ein Schlachtfeld verwandelt. 20.000 Zivilisten haben sich in das Diplomatenviertel geflüchtet, 15.000 allein in das riesige Botschaftsgelände der USA. Auch dort sind sie jedoch vor Angriffen nicht sicher. Lebensmittel sind in der ganzen Stadt nicht zu haben, die Geschäfte sind geschlossen. Da auch die US-Botschaft mit der Versorgung der Schutzsuchenden völlig überfordert ist, überlegen die USA jetzt, die erreichbaren Ausländer in Monrovia zu evakuieren. Sie könnten mit Hubschraubern auf ein US-Kriegsschiff vor der Küste des Nachbarstaates Sierra Leone gebracht werden. Die Liberianer werden dann wohl ihrem Schicksal überlassen.

Seit Ende 1989 herrscht in Liberia Bürgerkrieg. Eigentlich sollte sich das Land aber auf dem Weg zum Frieden befinden, seit die verschiedenen Führer der verfeindeten Milizen im August 1995 ein Abkommen unterzeichneten. Vorgesehen war darin die Bildung einer gemeinsamen Regierung, die Entwaffnung der Milizen durch die seit Herbst 1990 in Monrovia stationierte Ecomog – die nahezu 10.000 Mann starke Eingreiftruppe der Regionalorganisation Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) – und schließlich freie Wahlen unter UNO-Aufsicht. Die gemeinsame Regierung kam tatsächlich zustande; die Entwaffnung gestaltete sich jedoch schwieriger, da sie in den Augen der Milizenführer mit einem Hoheitsverlust über das jeweils kontrollierte Territorium an die Ecomog verbunden war.

Die neue Kriegsrunde begann am Ostersamstag, als die Polizei der liberianischen Regierung versuchte, den Milizenchef Roosevelt Johnson zu verhaften. Johnson hatte sich in den letzten Monaten als einer der widerspenstigsten Gegner des Friedensprozesses erwiesen. Er führt Kämpfer des Krahn-Volkes, die Ethnie des im ersten Bürgerkriegsjahr 1990 ermordeten Präsidenten Samuel Doe. Der Krieg hatte als Aufstand nordliberianischer Stämme gegen die Krahn-Herrschaft begonnen, und Krahn-Führer sehen es heute mit gemischten Gefühlen, daß sie gemeinsam mit ihren damaligen Feinden in einer Regierung sitzen sollen. Die Johnson-Gruppe wehrte sich erfolgreich gegen die Polizei, andere Milizen griffen ein, und binnen kürzester Zeit befand sich Monrovia wieder im Kriegszustand.

Mittlerweile hat Johnsons Miliz das Berkeley-Armeelager in Monrovia zu einer Festung ausgebaut und etwa 400 Menschen als Geiseln genommen, darunter 20 Soldaten der Ecomog. Die eigentlich für die Friedenssicherung verantwortliche Ecomog-Truppe hat in die Kämpfe bislang nicht eingegriffen, sondern will sich auf Diplomatie beschränken. Ecomog-Kommandeur John Nyenga rief gestern zu Verhandlungen im Hauptquartier auf. „Unsere Basis ist frei, wir haben sie gesichert“, sagte er. „Wir können alle Führer der bewaffneten Gruppen in die Ecomog-Basis bringen.“

Die meisten Liberianer wären vermutlich froh, wenn das geschähe und die Milizenführer dann nie wieder aus dem Ecomog- Hauptquartier herauskämen. Doch wirft die Untätigkeit der westafrikanischen Truppe Fragen auf, zumal die liberianische Polizei ihren Verhaftungsversuch kaum ohne vorherige Absprache mit der militärisch dominanten Ecomog unternehmen konnte. Vor allem Nigeria hat ein besonderes Interesse an den Entwicklungen in Liberia. Es ist Hauptentsender und Ausrüster der Ecomog; viele nigerianischen Offiziere sollen sich mit Schmuggelgeschäften in Liberia bereichert haben, und da das nigerianische Ecomog-Kontingent vom internationalen Waffenembargo gegen Nigerias Militär ausgenommen ist, ist Liberia auch ein Schlupfloch für den nigerianischen Rüstungshandel. Gleichzeitig galt die Unterzeichnung des Liberia- Friedensabkommen im vergangenen August als wichtiger außenpolitischer Erfolg für Nigerias Diktator Sani Abacha. Eine neue Kampfrunde mag Nigerias Generälen ganz gut in den Kram passen. Wenn die Liberia-Beobachtermission der UNO scheitert, wenn dazu die USA ihre Botschaft in Monrovia evakuieren müssen, und wenn die Ecomog tatsächlich die Milizenführer an einen Tisch bringt, hat Nigerias Militär in Liberia ein Gewicht gewonnen, das es mit einer friedlichen Entwicklung nur verlieren könnte.

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